Der Künstler Günter Fruhtrunk hat die Aldi-Tüten gestaltet – und es bereut. Foto: Landesmuseum Württemberg

Das Museum der Alltagskulturen in Waldenbuch widmet sich einem spannenden wie brisanten Thema: der Plastiktüte. Vielleicht werden einige seltenen Exemplare eines Tages hoch bezahlte Sammlerstücke sein.

Waldenbuch - Eine spannende Frage wird leider nicht beantwortet: Sollte man Plastiktüten, die sich im eigenen Haushalt im Lauf der Jahre angesammelt haben, nicht zu Mülltüten umfunktionieren, sondern sie lieber ordentlich in Mappen ablegen, sortieren und katalogisieren? Werden einige exquisite Exemplare dieses Alltagsgegenstands eines Tages womöglich wertvolle Sammlerstücke sein?

Die Ära der Plastiktüte geht zu Ende, so die These der neuen Sonderausstellung „Adieu, Plastiktüte“ im Museum für Alltagskultur in Waldenbuch. Das Museum besitzt seit einigen Jahren eine stattliche Sammlung an Aldi- und Breuninger-Tüten, Tüten, die für Frischmilch oder Schokolade werben, für Jeans oder Kassettenrekorder. Denn letztlich sind Plastiktüten eben nicht nur Gebrauchsartikel, sondern für die Unternehmen mobile Werbeflächen. Als die ersten Tüten in den sechziger Jahren auf den Markt kamen, machten sich die Kunden willig zu Werbeträgern und waren stolz, Logos und Markennamen durch die Welt tragen zu dürfen. Das hat sich bis heute letztlich nicht geändert.

Wie sortiert man Plastiktüten eigentlich?

Die Aldi-Tüten, die nun in der Ausstellung zu sehen sind, könnten eines Tages vielleicht wirklich im Wert steigen, denn sie wurden von Günter Fruhtrunk gestaltet. Der Künstler, der bei der Documenta und der Biennale von Venedig vertreten war, wurde Anfang der siebziger Jahre von Aldi beauftragt – und obwohl seine Entwürfe so bekannt wurden wie kaum eine andere Tüte, bereute er insgeheim, sich für den Discounter hergegeben zu haben. „Ich habe gesündigt“ soll er zu seinen Studenten an der Münchner Akademie gesagt und zur Buße 400 Mark für die Kaffeekasse gespendet haben.

Wie sortiert man aber eine Tütensammlung? Diese Frage stellte sich dem Kurator Frank Lang, als er die Kisten voller Tüten sichtete. In der Waldenbucher Ausstellung hat er nun einige Vorschläge gemacht – und hier sämtliche orangefarbenen Motive zusammengestellt, dort Tüten mit Mustern versammelt oder jene, die aus Stuttgart kommen. Eine Tüte vom guten alten „Radio Barth“ ist dabei, aber auch die knallrote Tüte der einstigen Buchhandlung von Wendelin Niedlich. Die Farbe war hier auch politisches Programm.

Im Zentrum der Ausstellung stapeln sich Kisten mit zahllosen weiteren Tüten, denn die ausgestellten Stücke sollen während der Laufzeit regelmäßig ausgewechselt werden, damit man bis zum Schluss mehr als tausend verschiedene Exponate gezeigt haben wird.

Eine Billionen Tüten kommen jährlich in Umlauf

Mathias Kotz ist über den Kunstunterricht zum Tütensammler geworden. Der Lehrer brachte ein Exemplar mit in die Stunde, um anhand des mit farbigen Quadraten bedruckten Materials zu erläutern, was abstrakte Kunst ausmacht. Kotz war infiziert und sammelte fast zwanzig Jahre lang Tüten, die er schließlich ebenso an das Waldenbucher Museum übergab wie die Tübingerin Monika Breuninger, die bis 2010 Tüten sammelte.

Eine Billion Tüten kommen pro Jahr auf der Welt in Umlauf, neunzig Prozent davon landen auf Mülldeponien, in Flüssen und Meeren – und die Reste davon schließlich im Magen von Tieren. Papiertüten, erfährt man in der Ausstellung, seien keine ernst zu nehmende Alternative, sie ließen sich zwar besser abbauen, verbrauchten in der Produktion aber mehr Ressourcen. An sich wäre gegen die Plastiktüte nichts einzuwenden, so das Fazit, verheerende Folgen für jeden Einzelnen hat nur der Umgang mit ihr, weil das Mikroplastik auf unser aller Teller landet. So staunt man, dass die Umweltschutzorganisation WWF in früheren Jahren einen Aufruf auf Tüten startete, dass eben diese „praktisch und hygienisch-umweltfreundlich durch gefahrenlose Vernichtung“ seien – weil man die Gefahren, die vom Kunststoff bei falscher Entsorgung ausgeht, nicht ernst nahm.

Schon bald könnten mehr Plastikabfälle als Tüten im Meer schwimmen

Im Jahr 2050, heißt es an einer Stelle in der Ausstellung, könnte es gut sein, dass mehr Plastikteile als Fische im Meer schwimmen. Längst sind Plastiktüten, Symbol für unsere Wegwerfgesellschaft, zum Fluch geworden. Auf Bali gründeten zwei Schülerinnen 2013 deshalb die Kampagne „Bye Bye Plastic Bags“ – mit Erfolg. Seit diesem Jahr sind Wegwerfkunststoffe auf Bali verboten. Aber die Schau in Waldenbuch macht eben auch deutlich, dass das beste Verbot nichts daran ändert, dass uns die Folgen der Plastiktüte noch sehr lange begleiten werden.