Enkel Florian und Sohn Martin Wiedmann halten das Erbe des Malers Willy Wiedmann hoch. Foto: Lichtgut - Oliver Willikonsky

Am Reformationstag soll eine 1.5 Kilometer lange Menschenkette mit insgesamt 1000 Helfern Bibelbilder präsentieren. Die Bibel stammt von Maler Willy Wiedmann, der in 16 Jahren ein ungewöhnliches Lebenswerk geschaffen hat.

Stuttgart - Es hört sich wie ein Kapitel aus Michael Endes „Unendlicher Geschichte“ an, in dem der kleine Atréju auf dem Dachboden ein geheimnisvolles Buch findet. So märchenhaft klingt auch die Geschichte von Martin Wiedmann, dem Sohn des Bad Cannstatter Künstlers Willy Wiedmann.

Nachdem der Vater vor vier Jahren gestorben war, entrümpelte Martin Wiedmann das Wohnhaus und die Galerie in der Tuchmachergasse 6. 16 Container mit Krempel hat er gefüllt – „aber das Haus war immer noch voll“ bis unters Dach. Darunter waren auch vier Alukisten. Wie Wiedmann schnell merkte, waren es Schatzkisten, „die da ganz hinten im Eck“ standen. Darin eine einzigartige Bilderbibel und des Vaters Memoiren.

Martin Wiedmann (49) war wie vom Donner gerührt, als er dieses Vermächtnis seines Vaters entdeckte. In 16-jähriger Arbeit hatte Willy Wiedmann (1929-2013) im Leporello-Format gemalt. In der Summe sind es 3333 Bilder, die sämtliche Geschichten des Alten und des Neuen Testaments zeigen. Bad Cannstatts evangelischer Dekan Eckart Schultz-Berg nennt das Zieharmonika-Kunstwerk „die längste Bibel der Welt“. Tatsächlich wird das Kunstwerk, wenn man es auffächert, 1,5 Kilometer lang, aufeinander gestapelt ist es zwei Meter hoch. Ein Weltrekord.

Der Maler arbeitete 16 Jahre an seinem Kunstwerk

Für Willy Wiedmann war es mehr. Es war seine Mission, sein Vermächtnis an die Christenheit. Er wollte die Bibel mit seinem Stil, der Polykonmalerei, vereinfachen. Aber seine Vision, diese für alle Menschen, auch Analphabeten, in verständlicher Bildsprache in die Welt zu tragen, war alles andere als einfach. „Viele Anläufe habe ich unternommen“, schreibt Wiedmann in seinen Memoiren resigniert, „aber die meisten Vorhaben blieben an der Geldbarriere hängen“. Kein Verleger konnte mit den Polaroidbildern und auf Schreibmaschine geschriebenen Erklärstücken etwas anfangen. Doch die Rückschläge spornten das Multitalent eher an. „Ich versank umso stärker in mein Werk“, schrieb er und arbeitete zurückgezogen von Freunden und Familie an seinem Lebenswerk.

Für Martin Wiedmann ist dies nun nicht nur Erbe, sondern ein Auftrag. Er will das vollenden, was dem Vater nicht gelang. Die Digitalisierung hilft ihm dabei. „Wir haben die Bibel in drei Monaten gescannt“, sagt er. Nun ist die Wiedmann-Bibel auf einer DVD, in einer Smartphone-App und in einem Virtual-Reality-Programm zu sehen. Bei der Frankfurter Buchmesse, die am Mittwoch begonnen hat, soll eine gedruckte Ausgabe in zwei Faksimile-Varianten in Kooperation mit der Deutschen Bibelgesellschaft der Öffentlichkeit präsentiert werden. Die Gold-Edition in einer Auflage von 333 Stück kostet 790 Euro. Die rote Variante mit einer Stückzahl von 3000 ist für 590 Euro zu haben. Experten des Kunstdrucks halten diese Preise für Schnäppchen. Aber Martin Wiedmann ist bewusst diesen Weg gegangen. „Es soll kein Geschäft sein. Ich will die Mission meines Vaters erfüllen“, sagt er und hält nicht hinter dem Berg damit, welch ein Genius seinen Vater beseelte: „Er war ein Tausendsassa, den man nie greifen konnte. Man konnte ihm nie folgen, so schnell war er. Dieser Mensch muss sieben Leben auf einmal gelebt haben.“

Magische Momente beim Betrachten

Wie auch immer: Willy Wiedmanns Lebenswerk wirkt schon jetzt genau so, wie es sich der Maler und Musiker vorgestellt hat. Sein gleichnamiger Enkel beschreibt es so: „Wenn man die Bilder anschaut, gibt dir das ein Gefühl. Wenn ich das Bild mit Adam und Eva anschaue, fühle ich, dass man das nicht machen soll.“ Der Gestalter der Wiedmann-Bibel, Manfred Rieker, formuliert das so: „Für mich war die Arbeit mit der Bibel so was wie eine Magie.“ Rieker selbst sagt, er habe durch die professionelle Auseinandersetzung mit den Bildern einen neuen Zugang zur Bibel bekommen.

Genau das soll nun auch am Reformationstag (31. Oktober) mit allen Menschen in Bad Cannstatt geschehen. 1000 Ehrenamtliche bilden in zwei Schichten eine Menschenkette und zeigen zwischen 12 und 14 Uhr in der Altstadt die komplette Bibel. „Damit wird die biblische Tradition lebendig, dem modernen Menschen wird so vielleicht eine neue Welt erschlossen“, sagt Bad Cannstatts Pfarrer Florian Link. Mehr noch: „An diesem Tag kommen und schaffen bei dieser Aktion unterschiedliche Menschen zusammen. Es gibt keinen Unfrieden, keine Trennung. Die Bibel soll Gemeinschaft und Verbundenheit schaffen.“

Wer Interesse hat, am Reformationstag bei der Menschenkette, die die Wiedmann-Bibel hochhält, mitzumachen, kann sich per E-Mail unter Cannstatt.1517.Meter.Bibel@t-online.de melden.