Staatschef Erdogan will sein Land zum Schlüsselakteur in Ost und West machen. Die Türkei wäre das erste Nato-Mitglied und EU-Bewerberland in der Brics-Organisation.
Recep Tayyip Erdogan weiß, dass Kritiker im eigenen Land und im Westen seine Außenpolitik argwöhnisch beobachten. „Manchen mögen die Vision und die Bemühungen der Türkei nicht passen“, sagte der türkische Präsident jetzt in einer Rede. „Aber wir hören nicht darauf.“ Erdogan peilt den Beitritt seines Landes zur Staatengruppe Brics und damit eine engere Zusammenarbeit mit China und Russland an. Die Türkei wäre das erste Nato-Mitglied und EU-Bewerberland in der Brics-Organisation. Das bedeute aber nicht, dass sich die Türkei von ihren traditionellen Partnern im Westen abwende, sagt Erdogan. Die USA und Europa haben Zweifel, können die türkische Brics-Mitgliedschaft aber nicht verhindern.
Zu Brics gehören außer den Gründungsmitgliedern Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika seit Jahresbeginn die Neuzugänge Ägypten, Äthiopien, Iran und die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE); auch Saudi-Arabien ist zum Beitritt eingeladen, zögert aber noch.
Erdogan sieht mehrere Vorteile
Erdogan hat nun nach Medienberichten seine Teilnahme am Brics-Gipfel in Russland im Oktober zugesagt. Seine Regierungspartei AKP erklärte, der Prozess des türkischen Beitritts sei im Gange. Erdogan interessiert sich auch für eine Mitgliedschaft der Türkei in der Schanghaier Organisation für Zusammenarbeit, einem Zusammenschluss asiatischer Staaten unter Führung von China und Russland. Beijing und Moskau sind auch die bestimmenden Mächte bei Brics und sehen die Organisation als Vertreterin einer neuen Weltordnung ohne westliche Dominanz.
Aus Erdogans Sicht bietet Brics mehrere Vorteile für die Türkei. Ankara könnte besonders seinen Handel mit China verstärken und vom Vorhaben der Brics-Länder profitieren, den US-Dollar als Zahlungsmittel im internationalen Handel abzulösen. Anders als bei EU und USA muss die Türkei auch nicht befürchten, von Brics-Partnern wegen Verstößen gegen demokratische Grundsätze gerügt oder mit Sanktionen belegt zu werden.
Voraussetzung für einen Beitritt sind gute Beziehungen zu den derzeitigen Brics-Mitgliedern. Erdogan hat in den vergangenen Jahren seinen Dauerstreit mit den VAE beigelegt und sich auch mit dem ägyptischen Staatschef Abdel Fattah el-Sisi ausgesöhnt, den er einst als Diktator beschimpfte; ein Besuch von Sisi in Ankara soll die Wiederannäherung besiegeln.
Westliche Staaten, angeführt von Deutschland, sind bisher die wichtigsten Handelspartner der Türkei. Unter den zehn größten Abnehmern türkischer Exporte finden sich nach Angaben des türkischen Statistikamtes sieben europäische Länder und die USA. Als einziges Brics-Mitglied auf der Liste liegt Russland auf Rang zehn. Erdogan bemüht sich um bessere Beziehungen zur EU, um die Zollunion mit Europa zugunsten der Türkei modernisieren und die Wirtschaft seines Landes aus der Krise führen zu können.
Aber Erdogan ist auch frustriert vom Stillstand der EU-Beitrittsgespräche der Türkei. Innerhalb der Nato ist die Türkei umstritten, weil sie den Beitritt von Finnland und Schweden lange blockierte. Der Einfluss Europas und der USA auf Ankara ist gesunken. Dagegen arbeitet Erdogan mit dem russischen Staatschef Wladimir Putin zusammen und hat seinen Streit mit China über die Unterdrückung der muslimischen Minderheit der Uiguren entschärft.
„Ankara geht geschickt vor“
Die Türkei habe früher nur auf den Westen geblickt, richte ihre Außenpolitik heute aber auf verschiedene Akteure und Machtzentren aus, sagt Soner Cagaptay, Türkei-Experte beim Washingtoner Institut für Nahost-Politik. Dabei gehe Ankara geschickt vor, sagte Cagaptay unserer Zeitung: Die Türkei trenne die Bereiche, in denen Einvernehmen bestehe, von denen, bei denen es Streit gebe. Das gelte auch für die türkischen Beziehungen zu China und zu Brics insgesamt. „Die Türkei ist uneins mit China bei den Uiguren, will mit China aber wirtschaftlich zusammenarbeiten.“
Sollte die Türkei in die Brics-Gruppe aufgenommen werden, könne sie als Verbündete des Westens ihre verschiedenen Rollen auf der internationalen Bühne ausspielen, meint Cagaptay: „Die Türkei ist Partner der EU, ein wichtiger Akteur in der Nato und will jetzt auch in Brics ein Schlüsselakteur werden.“ Erdogan wolle die türkischen Beziehungen zu allen Großmächten und allen weltweit wichtigen Bündnissen in Handel, Sicherheit und Politik so aufstellen, dass die Türkei überall mitreden könne.
Dieser Kurs könnte das Misstrauen in Europa und den USA gegenüber der Türkei verstärken. Schon jetzt sind westliche Regierungen irritiert, weil Erdogan sich nicht an den Sanktionen gegen Russland wegen des Ukraine-Krieges beteiligt. Er hoffe, dass die Türkei dem Brics-Bündnis nicht beitreten werde, sagte der US-Botschafter in Ankara, Jeff Flake, vor kurzem. Russland habe der Türkei doch nichts zu bieten. Erdogan sieht das offenbar anders.