Foto: J. Barnerßoi

An der Körschtalschule nehmen Autisten am regulären Schulbetrieb teil. Es hat gedauert, doch inzwischen haben sich die beiden Welten angenähert.

Plieningen - Sebastian blickt schüchtern über seinen grün-schwarz gestreifen Schal hinweg, den er sich bis über die Nase gewickelt hat. Das macht er immer so, er schützt sich damit vor der Außenwelt. Wenn fremde Schüler ins Klassenzimmer kommen, versteckt er sich auch mal hinter dem Vorhang. Lara hingegen tänzelt durch den Raum, ist neugierig, zwischendurch bleibt sie aber immer wieder wie festgefroren stehen und taucht kurz in ihre ganz eigene Welt ab. Adrian wiederum redet mehr als alle anderen. Der Neuntklässler klingt dabei wie ein Erwachsener, die jugendliche Leichtigkeit fehlt ihm.

Sebastian, Lara und Adrian sind Autisten. Autismus ist eine Wahrnehmungsstörung des Gehirns. Autisten sind oft in sich gekehrt, ihnen fehlt die soziale Empathie. Manche sind besonders begabt.

Die Formen des Autismus sind unterschiedlich

Die Formen des Autismus sind höchst unterschiedlich, erklärt die Lehrerin Sonja Klein. Sie unterrichtet die „Schneckenhaus“-Schüler wie sich die Klasse der Plieninger Dietrich-Bonhoeffer-Schule nennt. Der Unterricht findet allerdings nicht in den Räumen der Schule für Erziehungshilfe statt, sondern in der Plieninger Körschtalschule. Das „Schneckenhaus“ ist seit dem vergangenen Schuljahr als Außenklasse in der Grund- und Werkrealschule.

Die Klasse der Schulkinder mit autistischen Verhaltensweisen hat ein eigenes Zimmer in der Grund- und Werkrealschule. „Hier ist unsere Basis, unser sicheres Quartier“, sagt Sonja Klein, die die neun Schüler gemeinsam mit ihrer Kollegin Hilde Madel unterrichtet. Die Schüler mit autistischen Verhaltensweisen bleiben keinesfalls nur unter sich, sie strecken auch vorsichtig die Fühler aus. So kommen sie immer wieder mit den anderen Schülern in Kontakt. Sie verbringen ihre Pausen zum Beispiel mit den anderen auf dem Schulhof, sind bei Schulfeiern, Ausflügen oder der Aktivwoche dabei. Außerdem ist der „Schneckenhaus“-Klassensprecher Mitglied der Schülermitverwaltung.

Adrian kann mit seinen Altersgenossen mithalten

Und, ganz wichtig: Sie sitzen regelmäßig im Unterricht der anderen Klassen. Wie an jenem Vormittag. Da steht Zweierlei auf dem Programm. Ein Teil der Viert- bis Neuntklässler aus dem Schneckenhaus geht für eine Stunde in die siebte Regelschulklasse, die sich gerade mit Ottfried Preußlers „Krabat“ befasst. Die anderen machen Sport mit der Zweiten.

Nur Adrian, der so erwachsen klingt, ist eine Ausnahme. Er ist seit diesem Schuljahr fast nur in der neunten Regelschulklasse. „Er ist kognitiv sehr fit“, sagt Sonja Klein. Das heißt, er kann inhaltlich mit seinen Altersgenossen mithalten. An seinen Autismus hat sich Adrian gewöhnt. „Er hat gelernt, sich anzupassen“, sagt Sonja Klein. „Er akzeptiert die Dinge, wie sie sind.“ Was anderes bleibe ihm gar nicht übrig. Denn Autismus habe man für immer, man könne ihn nicht wegtrainieren. „Die Kinder können nur lernen, damit umzugehen“, sagt Sonja Klein.

Adrian selbst weiß, was an ihm anders ist. „Früher haben alle gesagt, ich klinge wie ein Roboter“, sagt er, seine Sprache ist tatsächlich etwas abgehackt. Der Autismus beeinflusse seine Bewegungen und seine Sprachmelodie, erklärt er und klingt wie ein Arzt. Auf die Frage, wie er seine Mitschüler findet, sagt er: „Sie sind eben, wie sie sind.“ Während die anderen in der Kunst-Stunde lachen, witzeln und erste Flirtversuche wagen, sitzt Adrian dabei, hält sich raus und arbeitet konzentriert. Er wirkt älter und reifer als seine Mitschüler.

„Autisten verstehen das Zwischenmenschliche nicht“

„Autisten verstehen das Zwischenmenschliche nicht“, erklärt Sonja Klein. Leute wie Adrian könnten nur auswendig lernen, was sie zu Mitschülern oder Lehrern sagen dürfen und was nicht. Freundschaften zu knüpfen, fällt ihnen schwer.

Am Anfang sei die neue Situation an der Schule für alle schwierig gewesen, erzählt Klein. Eben weil die Regelschüler und die Autisten in unterschiedlichen Welten leben und sich deshalb erst verstehen lernen mussten. „Inzwischen hat sich der Alltag aber sehr gut eingespielt“, sagt Klein.