Die Spuren der Verwüstung sind auch am Montagmittag noch zu sehen. Foto: AFP/THOMAS KIENZLE

Scherben, Kamerateams und neugierige Passanten: Am Montag nach den Krawallen in der Stuttgarter Innenstadt versucht nicht nur der Einzelhandel zurück zur Normalität zu finden. Ein Stimmungsbild, das zwischen Unverständnis und Sensationsgier schwankt.

Stuttgart - Der Montag nach den Krawallen in der Stuttgarter Innenstadt ist ein Tag der Anrufe bei Versicherungen, dem Aufkehren von zerbrochenem Glas, dem Klopfen von Pflastersteinen auf der Königstraße – und großem Unverständnis. „Wir waren fassungslos, als uns Nachts gegen 1.30 Uhr die ersten Anrufe erreichten“, berichtet Fadi Mongid, der in der Marienstraße ein Juweliergeschäft betreibt. „Uns hat es viel schlimmer als die Königstraße erwischt, weil hier ja viel mehr Außenbestuhlung rumsteht“, sagt er und zeigt auf sein eingeschlagenes Schaufenster. Mongid sagt, was an diesem Vormittag noch viele Stuttgarter Passanten erzählen werden, wenn sie über die Beweggründe für die Straßenschlacht sinnieren: „Diese Kinder haben nichts zu verlieren.“

Ratlosigkeit und Blutspuren

Es sind viele Sätze, die mit einem Aber enden und hier nicht alle wiedergegeben werden müssen: Ich bin kein Rassist, aber. Ja, es waren auch Deutsche dabei, aber. Die Randale ist das Gesprächsthema des Tages: Kamerateams der öffentlich Rechtlichen, regionale Reporter und neugierige Passanten, die vor den eingeschlagenen Scheiben ihre Handys zücken, bevölkern an diesem Montagmorgen die obere Königstraße und die Marienstraße. Auch die Kriminalpolizei ist zugegen und spricht mit Ladenbesitzern, während sich vor dem Pavillon des Eiscafés schon eine kleine Schlange bildet.

Vor einem Handyladen hocken die Beschäftigten und atmen kurz durch. „Wir müssen erst einmal eine Inventur machen und überprüfen, was alles gestohlen wurde“, sagt Buce Cay, die für die Beweggründe für den Gewaltausbruch keine Antwort hat. Es ist eine Ratlosigkeit, die vielen an diesem Montag ins Gesicht geschrieben steht. Auch Fadi Mongid kann nur mutmaßen und hält eine Mischung aus fehlender Bildung, Drogen und einer Wut gegen Autoritäten für plausibel. „Vielleicht wurden sie auch durch die Videos aus den USA inspiriert“, so der Juwelier.

Forderung nach Ausgangssperren

Vor dem Einkaufszentrum Gerber sind noch Flecken, die wie Blutspuren aussehen, zu erkennen, die sich die Straße hoch ziehen. Eine Passantin bleibt länger vor einem Wollgeschäft stehen und blickt fassungslos auf die Zerstörung. „Ich habe keine Worte für diese Taten. Es gibt hier keine Not – es kann doch nicht sein, dass es an den geschlossenen Clubs und Bars liegt. Vielleicht wären Ausgangssperren am Samstagabend eine Lösung“, so die Frau, die lieber anonym bleiben möchte. Sie will, dass sich die Politik Gedanken macht, wie man so einen Ausbruch in Zukunft verhindern könnte. „Das Potential ist da, es könnte wieder passieren.“ Tatsächlich denken Polizeigewerkschaften zumindest über eine Sperrstunde in Stuttgart nach.

Lesen Sie hier: Pressestimmen zu Randalen in Stuttgart

Auch Manuela Nedorna, die mit ihrem kleinen Kind über die Königstraße flaniert, zeigt sich wie viele andere Passanten geschockt. „Ich denke, dass es wieder so weit kommen könnte“, sagt sie. Auch ein junger Mann, der lieber anonym bleiben möchte, glaubt, dass es nicht bei diesem einen Mal bleiben muss. „Man kann den Jugendlichen alles zutrauen, und trotzdem haben wir in Stuttgart kein Sicherheitsproblem. Jetzt liegt es daran, die Hintergründe offenzulegen“, sagt der 30-Jährige.

Während vor einigen Läden noch Scherben liegen, wird in anderen Geschäften auf der Königstraße wieder der Corona-Normalität nachgegangen. Um die Mittagszeit herrscht reges Treiben, Kamerateams filmen die Aufräumarbeiten und am Brezelkörbchen wird wild anaylsiert. Wer hat eine Versicherung, wer muss selbst zahlen, war es pure Langweile? „Man darf jetzt nicht eine ganze Gruppe unter Generalverdacht stellen“, sagt Dušan, der über die Königstraße läuft. Er befürchtet eine politische Vereinnahmung aller Parteien. „Die einen können nicht behaupten, dass alle Polizisten Rassisten sind – und genauso wenig kann man alle, die sich am Samstagabend am Eckensee treffen, in den gleichen Topf werfen.“

Auch die Polizei ist an diesem Montag stark präsent. Ein Einsatzwagen, dessen Scheiben zur Hälfte abgeklebt sind, hält auf dem Rotebühlplatz und wird zum beliebten Fotomotiv. Später wird Bundesinnenminister Horst Seehofer den Wagen ausgiebig inspizieren und der Polizei für ihren Einsatz danken.