Polizei und Protestanten stehen sich in Neapel gegenüber. Foto: imago/Alessandro Barone

Der „Feierabend-Lockdown“ der Regierung provoziert gewalttätige Straßenschlachten in der süditalienischen Stadt Neapel.

Rom - Statt menschenleerer Straßen, wie von Regionalpräsident Vincenzo De Luca angeordnet, erlebte Neapel in der Nacht auf Samstag die schwersten Ausschreitungen, die Italien seit Ausbruch der Corona-Pandemie im Frühling erlebt hat: Hunderte vorwiegend jugendlicher Demonstranten lieferten den Sicherheitskräften in der Altstadt stundenlange Straßenschlachten. Anlass war die am Freitagabend von De Luca in Kraft gesetzte abendliche Ausgangssperre in der ganzen Region Kampanien. Sowohl links- als auch rechtsradikale Demonstranten zündeten Knallkörper und Rauchraketen, Müllcontainer wurden in Brand gesteckt; mehrere Polizisten wurden verletzt, es kam zu unzähligen Sachbeschädigungen.

 

An den Protesten hatten sich auch Bandenmitglieder verschiedener Camorra-Clans beteiligt: Dutzende vermummte Mafiosi rasten laut Polizei auf Motorrollern ins Stadtzentrum und griffen Beamte an. Der Präsident der parlamentarischen Antimafiakommission, Nicola Morra, sprach am Sonntag von einer „gekonnten Regie“ durch die Camorra, die keine Gelegenheit auslasse, das politische System zu destabilisieren. Für den aus Neapel stammenden Antimafiaautor Roberto Saviano ist klar: „Es ist genau das geschehen, was zu befürchten war: Clans, rechtsextreme Gruppen und linksextreme Aktivisten bilden eine Art Joint Venture und mischen sich unter friedliche Demonstranten, um eine legitime Protestkundgebung in eine Stadtguerilla zu verwandeln.“

Die Besitzer von Bars, Restaurants und Geschäften fühlen sich in ihrer Existenz bedroht

Am Sonntag ist es in Neapel zu weiteren Demonstrationen gekommen – und die Protestwelle ist bereits nach Rom übergeschwappt: Auch in der Hauptstadt ist es am Samstag zu Demonstrationen mit (kleineren) Ausschreitungen gekommen. Wie in Neapel, hatten auch in Rom zunächst Gewerbetreibende friedlich gegen die abendliche Ausgangssperre demonstriert – und auch ihr Protest ist von links- und rechtsextremen Gruppierungen zum Anlass für Randale geworden. Die Besitzer von Bars, Trattorien, kleinen Läden und Geschäften fühlen sich durch die geplanten neuen Anti-Covid-Maßnahmen in ihrer Existenz bedroht. Die Stimmung ist gereizt. Für den sozialdemokratischen Ex-Innenminister Marco Minniti befindet sich das Land „nahe an der Alarmstufe Rot“, wie er in der römischen Zeitung „La Repubblica“ betonte.

Die Mehrheit der Italiener hat die von der Regierung verfügten Restriktionen immer diszipliniert mitgetragen. Die mehr als 30 000 Toten vom Frühling sind nicht vergessen. Doch angesichts eklatanter behördlicher Versäumnisse lässt die Geduld nach. Ein anschauliches Beispiel ist die süditalienische Region Kampanien mit ihrem Hauptort Neapel: Obwohl seit Beginn der Epidemie acht Monate vergangen sind, verfügt die Region mit ihren 6,3 Millionen Einwohnern gerade mal über 110 Intensivbetten, die medizinische Grundversorgung ist schlecht wie eh und je. Der Regionalpräsident De Luca hat in den letzten Monaten wenig unternommen, um dies zu ändern. „Das wahre Problem ist der katastrophale Zustand unseres Gesundheitswesens“, sagt Neapels Bürgermeister Luigi De Magistris.

Die Intensivbetten werden laut Experten spätestens Mitte November aller belegt sein

Den Vorwurf, die ruhige Zeit nach dem Lockdown nicht genutzt zu haben, um das Gesundheitswesen fit für die zweite Infektionswelle zu machen, muss sich auch die nationale Regierung von Giuseppe Conte gefallen lassen. Zwar wurde seit Epidemiebeginn die Zahl der Intensivbetten landesweit von 3900 auf 6500 erhöht, doch laut Experten werden sie spätestens Mitte November alle belegt sein. Seit Anfang Oktober verdoppelt sich die Zahl der Neuinfizierten jede Woche, am Freitag hat Italien die Schwelle von 20 000 Neuinfektionen gestreift. Weiteres Versäumnis: Die Testinfrastruktur ist ungenügend, und die Rückverfolgung der Infektionsketten ist in den Millionenstädten Rom, Mailand und Neapel zusammengebrochen.

Doch nun hält die Regierung von Giuseppe Conte, der bei der ersten Welle im Frühling rigoros durchgegriffen hatte, dagegen: Die Regierung verfügte eine Art „Feierabend-Lockdown“. Bars, Restaurants und Geschäfte bleiben künftig ab 18 Uhr geschlossen. Theater, Kinos, Fitnesscenter und Spielsalons müssen schließen. Die sozialen Kontakte sollen eingeschränkt werden; an höheren Schulen soll 75 Prozent auf Fernunterricht umgestellt werden. Der „Feierabend-Lockdown“ gilt zunächst für einen Monat.