In der Aktivhaus-Siedlung in Winnenden wohnen Flüchtlinge. Die Unterkunft hat eine Hugo-Häring-Auszeichnung des Bundes Deutscher Architekten erhalten. Foto: Martin Stollberg

Holz dominiert die Aktivhaus-Siedlung im Winnender Schelmenholz, die 145 geflüchteten Menschen ein Zuhause auf Zeit bietet. Die Unterkunft hat einen Architekturpreis gewonnen, das spielt für die Bewohner aber eine untergeordnete Rolle.

Winnenden - Wer zu Familie Rahimi aus Afghanistan will, muss die Treppe in den ersten Stock nehmen, über die man zunächst auf einen breiten Balkon gelangt, dessen Holzdielen an diesem kalten Wintermorgen ein wenig rutschig sind. Farzaneh Rahimi öffnet die Tür mit einem freundlichen Lächeln. Die 19-Jährige wohnt hier mit ihren Eltern und zwei Brüdern auf rund 45 Quadratmetern – in der Flüchtlingsunterkunft in Winnenden (Rems-Murr-Kreis) im Schelmenholz.

Die sechs zweistöckigen, kastigen Gebäude liegen versetzt zueinander auf dem Gelände und fallen durch ihre hellen Holzfassaden auf. Dass diese Aktivhaus-Siedlung des Architekten Werner Sobek jüngst eine Hugo-Häring-Auszeichnung des Bundes Deutscher Architekten erhalten hat, wussten die meisten ihrer Bewohner noch gar nicht. Die Menschen, die hauptsächlich aus dem Irak, Afghanistan und Syrien geflohen sind, beschäftigen sich mit anderen Dingen: In einem der Gemeinschaftsräume im Erdgeschoss lernen sie Deutsch, bei der Sozialarbeiterin holen sie sich Rat in Behördenangelegenheiten.

Die Möbel sind Spenden

Familie Rahimi empfängt den Besuch in ihrem kleinen Wohnzimmer gleich hinter der Eingangstüre. Ein Ecksofa, ein Couchtisch, ein Regal, an den hellen Holzwänden einige Bilder. Über den Flur, in dem sich die Küche befindet, gelangt man in das Schlafzimmer. Hier schläft Farzaneh mit ihren Eltern, die Brüder verbringen die Nächte im Wohnzimmer. Dafür räumen sie abends ein wenig um und legen Matratzen auf den Boden, berichtet die 19-Jährige. „Es geht schon“, sagt sie, angesprochen auf die Enge in der Unterkunft. „Wir haben alles, was wir brauchen.“

Als die Familie 2016 ihr Zimmer in einer Gemeinschaftsunterkunft verließ und hierher kam, war die Wohnung leer. Es gab nur einen Kühlschrank. Mithilfe von Möbelspenden haben sich die Rahimis häuslich eingerichtet. „Hier sind sehr viele Ehrenamtliche tätig“, sagt Sabine Mamedov von der Winnender Stabsstelle für Integration. Es gebe eine Hausaufgabenbetreuung, Energie- und Hygieneschulungen. Fast die Hälfte der rund 145 Bewohner der Aktivhaus-Siedlung sind Kinder.

Nachhaltiges Bauen

„Beispielhaft ist der schonende Umgang mit dem Energieverbrauch bei der Herstellung und im Gebrauch. So sind die in Holzrahmenbauweise gefertigten Module erweiterbar, rückbaubar und vollständig recycelbar“, heißt es in der Würdigung der Jury der Häring-Auszeichnung.

Man lege viel Wert darauf, möglichst nachhaltig und ressourcenschonend zu bauen, betont Stephanie Fiederer, die Geschäftsführerin der AH Aktiv-Haus GmbH, die das Projekt des Architekten Werner Sobek umgesetzt hat. So stamme etwa das Holz aus nachhaltiger Forstwirtschaft. Von den Materialien profitieren auch die Bewohner: „Holz hat eine beruhigende, entspannende Wirkung. Die Unterkünfte sind kein Luxus, aber die Fläche ist optimal gestaltet, es ist behaglich“, sagt Fiederer, während die Aktivhaus-Siedlung um weitere acht Module erweitert wird. Durch die serielle Fertigung der einzelnen Module im Werk kann der neue Wohnraum im Schelmenholz innerhalb von zwei Tagen aufgebaut werden.

Der Balkon wird zum Treffpunkt

Farzaneh Rahimi hält sich besonders gerne auf dem Balkon auf. Bei gutem Wetter werden die Außenflächen zu Treffpunkten. „Alle sitzen zusammen und reden. Wir kommen gut miteinander aus“, sagt die junge Frau und lobt die Gemeinschaft der Bewohner: „Auch Hochzeiten und Geburtstage haben wir hier schon zusammen gefeiert.“ Selbst diejenigen, die inzwischen woanders wohnen, kämen häufig in der Aktivhaus-Siedlung zu Besuch.

Dennoch sei das Ziel der Familien hier natürlich, langfristig eine eigene Wohnung zu finden, erklärt Sabine Mamedov: „Aber die Situation auf dem Wohnungsmarkt ist schwierig.“ Daher wird Farzaneh Rahimi, die davon träumt, Apothekerin zu werden, wohl noch eine Weile mit ihrer Familie im Schelmenholz wohnen bleiben. Wenn sie und die anderen Geflüchteten eines Tages ausziehen, könne die Siedlung anderweitig genutzt werden – etwa als geförderter Wohnraum, so Stephanie Fiederer. Dazu könne man etwa Module miteinander verbinden. „Wir wollten hier etwas schaffen, was auf Dauer stehen bleiben kann.“

Die Aktivhaus-Siedlung in Winnenden

Die Siedlung
: 38 Module sind auf dem Gelände im Winnender Schelmenholz verbaut. Außen sind sie mit imprägniertem Lärchenholz verkleidet, innen mit Fichtenholz-Schalplatten und Laminatböden ausgekleidet. Die Wohneinheiten wurden inklusive Fußbodenheizung, Elektrik, Bad- und Küchenausstattung komplett geliefert und mussten lediglich an Strom- und Wasserleitungen angeschlossen werden.

Die Idee:
Wichtig ist dem preisgekrönten Stuttgarter Architekten Werner Sobek vor allem nachhaltiges und ressourcenschonendes Bauen. So können die Module, wenn sie eines Tages abgebaut werden, vollständig und sortenrein in ihre Ausgangsmaterialien zerlegt werden.

Die Jury:
„Der gekonnte und konsequente Umgang mit Holz im Innen- und Außenbereich sowie die formale Haltung schaffen ein stimmiges und beispielhaftes Gesamtkonzept“, lobt die Jury in ihrer Würdigung für die Hugo-Häring-Auszeichnung.