Denkmalgeschützte Baukunst und moderne Architektur mit großen Glasfronten ergänzen sich im Oberen Schloss in Neuhausen. Foto: Horst Rudel

Ein gestalterischer und finanzieller Kraftakt war die Sanierung des Oberen Schlosses für Neuhausen. Nun ist das Bildungs- und Kulturzentrum ein beliebter Anlaufpunkt.

Kinder in rosaroten Ballettröckchen steigen die Holztreppen im Oberen Schloss in Neuhausen hoch. In der Musikschule lernen sie spielerisch die Kunst des Tanzes. In den oberen Stockwerken hat die Öffentliche Katholische Bücherei ihr Domizil. Das Gebäude aus dem Jahr 1518 haben die Architekten Peter Cheret und Jelena Bozic aus Stuttgart restauriert und als Kultur- und Bildungszentrum ausgebaut. Täglich kommen Hunderte Menschen in das Fachwerkgebäude, das der Ritter Hans VIII. einst für sich als Wohnhaus baute. Im Volk’schen Salon zeigt die Gemeinschaft für Heimatgeschichte, wie einst bürgerliche Familien gelebt haben. Zu den Öffnungszeiten der Bücherei oder bei öffentlichen Veranstaltungen sind Teile des Gebäudes zu besichtigen.

Wer hat das Gebäude errichtet? Eine Karriere wie aus dem Bilderbuch machte der Ritter Hans VIII. am herzoglichen Hof in Stuttgart. 1483 begann er als Diener in der Hofhaltung. Im Jahr 1509 wurde er zum Landhofmeister und damit zum Regierungschef des Herzogtums ernannt. Dieser Status spiegelte sich auch in den Lebensumständen des Ritters von Neuhausen. 1518 begann er mit dem Bau eines eigenen Domizils, dem Oberen Schloss. 1624 gab es dort zwölf Räume – darunter eine Rüstkammer und Silberstube sowie eine Schreib- und Gastkammer. Im Unteren Schloss ist heute das Rathaus von Neuhausen untergebracht. Die Architekten Peter Cheret und Jelena Bozic haben in ihren Plänen eine Sichtachse geschaffen, die beide Bauwerke über den Schlossplatz mit dem Café Rotenhan’s hinweg verbindet.

Wie lief die Sanierung? Das Land Baden-Württemberg hatte im Jahr 1999 die Gemeinde Neuhausen in das Landessanierungsprogramm aufgenommen. Das wurde zur Initialzündung für die innerörtliche Entwicklung. Die Gemeinde hat rund 30 Projekte realisiert, private Investoren zahlreiche weitere. Städtebaulich und architektonisch ist das sanierte und zum Bildungszentrum umgebaute Obere Schloss mit dem neu gestalteten Kirchplatz der markante Höhepunkt aller Projekte im Rahmen der Ortskernsanierung – für das Gesamtvorhaben hat die Gemeinde die gefragten Architekten Peter Cheret und Jelena Bozic gewonnen. „Die Sanierung hat von Anfang an eine große Zustimmung und breite Basis im Gemeinderat und in der Bevölkerung gefunden“, blickt Bürgermeister Ingo Hacker auf das Projekt zurück. 5,2 Millionen Euro haben Umbau und Sanierung gekostet, der Zuschuss der Baden-Württemberg-Stiftung von 833 000 Euro und vom Landesdenkmalamt von 90 000 Euro haben die Finanzierung erleichtert. Das Projekt begann im August 2007, die Einweihung wurde mit einem großen Fest im Februar 2011 gefeiert.

Was waren die Herausforderungen? Die Statik stellte die Planer der Sanierung vor große Probleme. „Das Wichtigste war uns, so viel originale Bausubstanz wie möglich zu erhalten“, sagt der Statiker Andreas Bewer, der das Großprojekt betreut hat. Er ist zugleich Sachverständiger für historische Bauwerke. Dass es gelungen ist, den Bau aus dem 16. Jahrhundert in vieler Hinsicht zu erhalten, zeigen aus seiner Sicht die aufwendig reparierten Eichenstützen im Erdgeschoss sowie die fast vollständig erhaltene Holzkonstruktion des Spätmittelalters im Dachgeschoss. Der Keller ist ebenfalls restauriert worden, darf jedoch wegen fehlender Brandschutzwege nicht für öffentliche Veranstaltungen genutzt werden. Er ist über steile Steintreppen zu erreichen. Daneben gibt es eine Fassrutsche, über die einst Weinfässer rollten. Einen starken Kontrast zur historischen Substanz bilden riesige Glasfronten.

Wie wird das Obere Schloss genutzt? Die Herausforderung für die Gemeinde ist es, das denkmalgeschützten Bauwerk aus dem 16. Jahrhundert mit Leben zu erfüllen. „Für Trauungen und kleinere Veranstaltungen wie Lesungen oder Konzerte ist der Saal im Erdgeschoss mit seiner besonderen Atmosphäre ideal“, bringt Elke Eberle, die Sprecherin der Fildergemeinde Neuhausen, die Nutzung auf den Punkt. Die Musikschule im ersten Obergeschoss mit Verwaltungsräumen und Ballettsaal und die Bücherei in den beiden darüber liegenden Stockwerken haben viele neue Möglichkeiten erhalten, ihr Programm auszubauen und ihre Angebote zu gestalten.

Wie nutzt die Bücherei die Räume? Als das Bildungszentrum Oberes Schloss geplant wurde, hat die Bibliothekarin Marianne Ruckdeschel viele Ideen eingebracht. Sie leitet die Öffentliche Katholische Bücherei in Neuhausen, die früher im relativ beengten Saal des Gasthauses Ochsen untergebracht war. „Die historische Bausubstanz schafft eine ganz besondere Atmosphäre für die Menschen, die zu uns kommen und lesen.“ Mit modernen Designersesseln hat Ruckdeschel Leseecken geschaffen. Besonders im oberen Stockwerk ist das ein Hochgenuss. Da schweift der Blick von den Buchseiten auf das Gebälk des Dachgeschosses. Mit einem Team von 50 Ehrenamtlichen betreuen Marianne Ruckdeschel und ihre Kollegin die Bücherei. Im unteren Saal veranstaltet das Team regelmäßig Lesungen, Konzerte, Theaterabende oder Vorträge. „Das historische Gebäude zu einem Lebensmittelpunkt für die Gemeinde zu machen“, das findet die Bibliothekarin sehr wichtig. Schon die Grundschulkinder der benachbarten Mozartschule sind regelmäßig in den historischen Räumen des Schlosses zu Gast.

Wie ist das gastronomische Angebot? Das Obere Schloss in Neuhausen liegt zentral in der Ortsmitte – dort haben Gäste die Qual der Wahl, was Lokale und Restaurants angeht. Auf dem Schlossplatz lockt das Café Rotenhan’s mit kleinen und großen Speisen und einer reichen Getränkeauswahl – auch diesen filigranen Pavillon haben die Architekten Cheret und Bozic gestaltet. Vor allem Kinder und Jugendliche lieben es, sich an heißen Tagen an den Wasserspielen zu erfrischen. Die Neugestaltung des Schlossplatzes im Jahr 2004 war zunächst heftig umstritten. Inzwischen ist die historische Ortsmitte ein Anziehungspunkt für Ausflügler aus der ganzen Region.

Unterwegs in der Region

Serie
Auf Erkundungstour in der Region – zu geheimnisvollen Burgen und Ruinen, prächtigen Schlössern und eindrucksvollen Kirchen. Wir machen uns in und um Stuttgart auf die Suche nach Schlossgespenstern, erzählen spannende Geschichten aus vergangenen Tagen und liefern Wissenswertes zu mächtigen Mauern in luftigen Höhen. Unsere Sommerserie widmet sich diesen kulturellen und historischen Sehenswürdigkeiten und bietet Anregungen für Ausflüge, die sich lohnen. Wetten, dass auch für Sie etwas dabei ist?

Anfahrt
Aus Esslingen ist die Anfahrt zum Schlossplatz in Neuhausen mit Bussen möglich. Die Linie 120 verkehrt regelmäßig vom Busbahnhof in Esslingen. Vom Bahnhof in Bernhausen verkehren die Linien 816 und 817 nach Neuhausen.

Rundgang
Wer das Obere Schloss besucht, sollte sich einen Rundgang durch Neuhausen gönnen. Die Gemeinschaft für Heimatgeschichte hat Tafeln gestaltet: www.heimatgeschichte-neuhausen.de