Auch sie ringen im Jahr 2019 um Aufmerksamkeit: David Tennant (li.) und Michael Sheen in „Good Omens“ bei Amazon Foto: Amazon

Was bringt das Fernsehjahr 2019? Der Wettbewerb zwischen linearem Fernsehen und Streamingdiensten nimmt weiter Fahrt auf – zum Glück für die Zuschauer. Und „Game of Thrones“ bekommt mit den „Barbaren“ einen römisch-germanischen Bruder.

Stuttgart - Hundert Milliarden! Man muss diese Zahl kurz mal Null für Null durchgehen, um ihr Ausmaß zu begreifen. Es ist der Dollar-Börsenwert von Netflix – dabei schreibt diese Firma auch 22 Jahre nach ihrer Gründung als Videothek noch rote Zahlen. Der Tech-Gigant Apple dagegen agiert hochprofitabel. Wäre jene Billion Dollar, die er seit August wert ist, das Bruttoinlandsprodukt einer Nation: mit 123 000 Mitarbeitern rangierte Apple nur knapp hinter Indonesien auf Platz 16 der wirtschaftsstärksten Länder.

Die Großen kommen

Solche Zahlen sollten die Mitbewerber von Sky bis Amazon im Kopf haben, wenn sie das neue Jahr planen. Denn Apple will 2019 ins boomende Streaminggeschäft einsteigen. Parallel drängt der Medienmulti Warner auf einen Markt, der erneut um 30 Prozent auf nun 31 Milliarden Euro Umsatz explodiert ist. Auch der weltweit wertvollste Entertainer Disney will am Boom teilhaben, sein gewaltiger Filmfundus soll künftig online abrufbar sein.

Amazon bietet Aberwitz

Nicht nur die Streamingkonkurrenz, auch das alte Fernsehen blickt gespannt auf die neuen Dienste. Schließlich machen die ihm Feuer unterm Ohrensessel. Amazon Prime Video zum Beispiel bastelt aus der Kinoreihe „Bibi & Tina“ ein Serien-Event und bindet Kunden damit von klein auf. Benno Fürmann wird als Held des europäischen Reihenthrillers „Hanna“ aufgeboten, während der britische Aberwitz von „Good Omens“ sechs Teile lang an „Dirk Gently’s Holistische Detektei“ erinnert, mit der Amazons Konkurrent Netflix 2016 Furore gemacht hat.

Netflix heuert die Barbaren

Netflix plant gleich fünf deutschsprachige Serien. „Die Barbaren“ wird ein römisch-germanisches „Game of Thrones“, in „Tribes of Europa“ wird in einem postapokalyptischen Morgen gekämpft. Die Milieustudien „Skylines“ und „Don’t try this at home“ wildern mit Gangstarap und -chic in der Zielgruppe von „Narcos“ bis „4 Blocks“. Und mit einem Weihnachtsmehrteiler mischt der Frischling die Familienkuschelecke der Platzhirsche auf. Was die dagegen machen? Genau: weiter wie bisher.

Beim ZDF fällt die Mauer

Das Erste setzt den Quotenerfolg „Charité“ am 19. Februar fort: Staffel zwei spielt im Nationalsozialismus. Vor der „Tagesschau“ debütieren Watzmann-Ermittler, im Anschluss Irland-Krimis, und Zeitgeschichte wird im Mauerfall-Drama „Wendezeit“ aufgearbeitet. Zum 30. Jahrestag der Wende setzt auch das Zweite mit dem Zweiteiler „Walpurgisnacht“ auf Zeitgeschichte. Dazu gibt’s ein Rührstück zum 100. Bauhaus-Geburtstag und die Brauerei-Erzählung „Bier Royal“. Sicher: Mit Montagsfilmen und Mittwochsdramen, Infotainment und Nachrichtenkompetenz setzen ARD und ZDF samt Arte und Neo weiterhin die Maßstäbe seriöser Vollprogrammversorgung.

Vereint das Teure wagen

Neue Serien jedoch dreht die private Konkurrenz. Nun muss man wegen „Der Bulle und das Biest“, womit Sat 1 das Prinzip von „Kommissar Rex“ vom Hundefriedhof holt, keine Filmpreisjurys anrufen, auch nicht im Fall von RTL-Reihen mit Klempnerin oder Nachtschwester oder einer TNT-Mockumentary über Helikoptereltern im März. Immerhin versucht man es dort aber mit Stoffen jenseits des medizinisch-kriminologisch-juristischen Mainstreams. Ganz Großes indes ist offenbar nur im Tandem mit Onlinern denkbar. Amazon arbeitet an der Deutschland-Saga von RTL mit, Netflix stellt Pro-7-Sat-1-Serien ins Portal. Und da „Babylon Berlin“ im Ersten ein ähnlicher Erfolg war wie schon Ende 2017 bei Sky, wird das Kooperationskonzept fortgesetzt: Topstars in Topkulissen, die man sich einzeln kaum leisten könnte.

Bei der ARD schlägt der Meteor ein

Trotzdem bleibt die ARD ein Konkurrent um Marktanteile im Meer der Angebote, das zusehends durch gut bestückte Mediatheken ergänzt wird. Ab 25. Januar jagen Nicholas Ofczarek und Julia Jentsch daher auf Sky im Stil von „Die Brücke“ einen Serienkiller durchs österreichisch-deutsche Grenzgebiet. Im März schlagen sich Mark Waschke und Christiane Paul in „8 Tage“ durch eine präapokalyptische Zivilisation vorm Meteoriteneinschlag. Alles hochwertig, spannend, oft couragierter als das Regelprogramm. So richtig Geld aber wird durch einen Koproduktionsdeal über 250 Millionen Dollar mit HBO – dessen Bestseller „Game of Thrones“ im Juni bei Sky endet – bewegt. Wenn Netflix aber zugleich neunstellige Summen in Mafiafilme von Martin Scorsese steckt, wenn Warner sein Spielfilmarchiv ins Netz stellt, wenn selbst Youtube Inhalte produziert – stellt sich die drängende Frage: Wer soll das eigentlich alles gucken, um es zu finanzieren?

Mehr Angebot als Nachfrage

Selbst Serienjunkies haben nur 24 Stunden Zeit zum Binge-Watching. Das Angebot Hunderter Portale und Sender übersteigt die Nachfrage schon jetzt. Es ist wie im Fußball: Das Publikum wird der astronomischen Spielergehälter wegen mit aufgeblähtem TV-Sport gemästet, bis die Liebe dem Verdruss weicht. So faszinierend das neue Fernsehen ist, es muss bald mal rentabel wirtschaften. Anders als das Sportportal DAZN sind Streamingdienste nicht nur einem Milliardär, sondern Aktionären verpflichtet – und nicht zuletzt den Gläubigern gigantischer Kredite.

Die Chance der Alten

Darin liegt womöglich die Chance des alten Fernsehens. Winzlinge wie Funk und Neo zeigen ja mit drolliger Low-Budget-Fiktion, wie viel das wenige erreichen kann. Bei den Scheinriesen hingegen macht das ZDF Frank Schätzings „Schwarm“ und RTL ein Remake von „M – Eine Stadt sucht einen Mörder“, Jörg Kachelmann kehrt ins Erste und Pro 7 mit einer – pardauz! – Datingshow auf den Kuppelmarkt zurück. Nur Arte traut sich mit einem Drama übers Flüchtlingselend aus der Deckung öliger Unterhaltung. Aber wo sind die noch mal auf der Fernbedienung? Wenn Disney mit Superhelden ums Portaleck biegt und Warner mit Harry Potter, siegt Masse 2019 wohl doch über Klasse.