Im Ausbildungsdschungel verlieren viele Abiturienten den Überblick – eine Messe versucht Abhilfe zu schaffen.
Abi in der Tasche – und dann? Gute Frage. Manchmal ist es für junge Menschen nicht so einfach zu wissen, was man gut kann und wofür man sich wirklich interessiert. Hinzu kommt: Die Möglichkeiten, die der Arbeits- und Ausbildungsmarkt bietet, sind inzwischen nahezu unbegrenzt. Die Folge ist nicht oft: Orientierungslosigkeit.
Was soll ich studieren?
Die Messe Horizon (zu Deutsch: Horizont), die am Freitag und Samstag in der Hanns-Martin-Schleyer-Halle stattfand, hat den Bedarf erkannt und nennt sich selbst folgerichtig „Orientierungsmesse“: Das Angebot gibt Hilfestellung bei der zunehmend komplexer werdenden Berufs- und Studienwahl. Über 80 Aussteller aus Wirtschaft und Bildung informierten auf der Messe zwei Tage lang über Themen wie Studium und Ausbildung, aber auch über die vielfältigen Möglichkeiten, nach der Schule erst einmal eine sinnvolle Auszeit zu nehmen. Zielgruppe der Messe sind Abiturienten kurz vor oder nach Abschluss der Schullaufbahn.
Angst vor dem Studium
Dass genau die häufig zu jung sind, um sich im extrem weit verzweigten Berufs- und Ausbildungsdschungel zurechtzufinden, gibt Elisabeth Schloss zu bedenken. Die Calwerin besucht am Samstag mit ihren beiden Söhnen und einer Tochter die Messe. Durch G8 fehle manchen Jugendlichen ein Entwicklungsjahr, sagt sie. „Es gibt bei den jungen Leuten die Angst, im Studium verloren zu gehen.“ – „Eigentlich müssen die Jugendlichen nach der Schule erst einmal einen Fuß auf den Boden bekommen.“ Ein Plädoyer für die betriebliche Ausbildung vor dem Studium? Ja, warum nicht, sagt Schloss.
Orientierung durch das FSJ
Dass viele nach der Schule tatsächlich unschlüssig sind, merkt man auch beim Landesarbeitskreis Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ), wo die Nachfrage ungebrochen ist. Die hohe Motivation zum FSJ sei zum Teil darin begründet, dass manche Schüler nach der Schule nicht wüssten, wie es weitergehen soll, sagt Elisabeth Hoffmann, Bildungsreferentin des Freiwilligendienstes der Diözese Rottenburg-Stuttgart. „Viele brauchen eine Auszeit, in der sie sich orientieren können.“
Zu viele Angebote?
Die Erfahrung, dass Bewerber angesichts der gegebenen beruflichen Vielfalt den Durchblick verlieren, macht auch Tobias Leopold von Netze BW. „Dass viele Firmen unter Fachkräftemangel leiden, führt dazu, dass die Bewerber enorm viele Zusagen bekommen“, so der Ausbilder für die dualen Studenten in den technischen Studiengängen bei Netze BW. Die Folge sei, dass die jungen Leute am Ende nicht mehr wüssten, wofür sie sich entscheiden sollen.
Die Pandemie wirkt nach
Diese Entwicklung hat sich nach Ansicht Leopolds durch die Pandemie verstärkt: „In den Jahren 2020 bis 2022 hat zu wenig Berufsorientierung an den Schulen stattgefunden“, sagt er. Das führt dazu, dass die Abiturienten nicht nur das Bedürfnis haben, sich nach dem Schulabschluss Freiräume zu schaffen. Aufgrund der komfortablen Arbeitsmarktsituation können sie es auch.
Die Pläne der 19-jährigen Antonia König aus Stuttgart passen da ins Bild: Die junge Frau macht gerade ein Freiwilliges Soziales Jahr. Dabei weiß sie eigentlich schon, dass es bei ihr in Richtung Filmproduktion gehen soll. „Ich versuche hier jetzt herauszufinden, welches Studium oder welche Ausbildung ich machen kann“, erklärt sie. Aber eben auch: dass gegen eine Zeit lang „Work and Travel“ nichts einzuwenden wäre.
Ganz andere Fragen stellen sich Antonia Königs Freundinnen Gulhahor Qodirova und Shahnoza Saidjanova. Die beiden kommen aus Tadschikistan. „Für uns“, sagen sie, „ist es wegen der Sprache, aber vor allem wegen der Anerkennung der Zeugnisse schwierig, einen Studien- oder Ausbildungsplatz zu finden.“