Ausbilder und Lehrlinge: Bernd Petersen und Dieter Müller (v. li.) betrachten Yaya Ceesays Arbeit Foto: Lichtgut/Max Kovalenko

Das Handwerk hat Nachwuchssorgen. Dementsprechend wird in Berufsschulklassen häufig die erforderliche Mindestschülerzahl nicht mehr erreicht – ein Erhalt des Angebotes ist gefährdet.

Stuttgart - So richtig zufrieden ist Yaya Ceesay noch nicht. Bei seinem ersten Werkstück, das eine Übung für den Bau eines Fensterrahmens sein soll, greifen die beiden Holzteile zwar akkurat ineinander – sitzen aber zu locker. An seinem zweiten Modell scheint nichts auszusetzen zu sein. Ceesay schüttelt den Kopf und runzelt die Stirn. Er zeigt auf eine kleine Ecke, die aus dem Holz gebrochen ist: „Das darf nicht sein“. Er macht sich wieder ans Werk.

„Yaya Ceesay ist sehr ehrgeizig“, sagt Bernd Petersen, sein Werkstättenleiter an der Gewerblichen Schule für Holztechnik in Feuerbach. Das kann Dieter Müller bestätigen, in dessen Fensterbau-Betrieb in Bad Cannstatt der 29-Jährige aus Gambia einen Ausbildungsplatz hat. Müller ist froh um Ceesay. Sein Gewerk hat große Nachwuchssorgen – wie das Handwerk überhaupt. Es gebe kaum mehr junge Menschen, die Glaser lernen möchten, „alle wollen studieren oder zu Daimler“, sagt er. Von seinen sieben Angestellte haben deshalb sechs einen Migrationshintergrund, sind also Zuwanderer – oder wie jetzt Ceesay – Flüchtlinge.

Zwölf von 25 Schülern sind Geflüchtete

Friedrich-Jasper Stahl, der stellvertretende Schulleiter der Gewerblichen Schule für Holztechnik, bestätigt, dass viele handwerkliche Betriebe Schwierigkeiten haben, Auszubildende zu finden – speziell die Glaser. Das freilich bekommen auch die Schulen zu spüren: Vor drei Jahren gab es an der Gewerblichen Schule für Holztechnik Kleinstklassen bei den Glasern. Im Zuge der Regionalkonferenz des Regierungspräsidiums wurde dies auf einer Liste vermerkt, um zu beobachten, wie sich die Klassenstärke entwickelt – und notfalls zu handeln, also etwa die Schüler an eine andere Schule zu schicken. Die einzige andere Schule für Glaser im Regierungsbezirk Stuttgart liegt in Aalen.

Auch für das aktuelle Lehrjahr sah es schlecht aus: Bis zum Stichtag Anfang Juli 2017 gab es bei den Glasern nur acht Anmeldungen für das erste Ausbildungsjahr – im Normalfall muss eine Klasse aber aus mindestens 16 Schülern bestehen. Erst nach und nach kamen noch weitere Anmeldungen hinzu: „Die Betriebe haben uns ihre Auszubildenden für das laufende Jahr erst sehr, sehr spät genannt“, sagt Stahl. Das lag daran, dass viele Betriebe, die zunächst keinen Auszubildenden gefunden hätten, „auf einen Flüchtling zurückgegriffen hätten“. Letztlich konnte die Glaser-Klasse mit 25 Schülern in das Lehrjahr starten – davon sind zwölf Geflüchtete. „Man kann also durchaus sagen, dass es die Klasse ohne die Flüchtlinge nicht gegeben hätte“, sagt Stahl.

„Die Geflüchteten sind motiviert, die wollen“

Die Gewerblichen Schule für Holztechnik besuchen insgesamt rund 850 Schüler, sie kommen aus dem ganzen Bundesgebiet. 74 davon sind Flüchtlinge. „Wir haben mit den Geflüchteten sehr gute Erfahrungen gemacht“, sagt Stahl, „die sind motiviert, die wollen.“ Auch Yaya Ceesay will: „Mein größtes Ziel ist es, die Ausbildung zu schaffen“. Seine Chancen stehen nicht schlecht: „Bei der praktischen Arbeit ist er sehr gut“, sagt der Werkstättenleiter Bernd Petersen. Auch Dieter Müller ist sehr zufrieden mit seinem Azubi, der zunächst eine Einstiegsqualifizierung, also ein Langzeitpraktikum bei ihm machte – und würde ihn wieder als Lehrling nehmen. Obwohl es Müller viel persönlichen Einsatz abverlangt, Cessay vernünftig durch die Lehrjahre zu bringen. Die Probleme fingen damit an, dass der junge Mann aus Gambia in einer Sammelunterkunft lebte, mit zwei anderen Männern im Zimmer. „Die feierten bis spät in die Nacht – und Ceesay musste morgens um fünf Uhr raus, um pünktlich im Betrieb zu sein“, sagt Müller. Auch dank dem Einsatz seines Chefs hat Ceesay eine eigene kleine Wohung gefunden, in der er seit Januar wohnt.

Ein weitaus größeres Problem ist die Sprache. „Yaya Ceesay war sehr motiviert, aber er saß in der Schule und hat nichts verstanden“, sagt Müller. Da er noch das Anrecht auf einen Sprachkurs der Stadt hatte, machten sich Ceesay und Müller kundig – doch die Angebote der Stadt fanden nur tagsüber statt, wenn der junge Auszubildende in der Schule oder im Betrieb war. „Wir haben einen entsprechenden Abendkurs gefunden, der jedoch nicht von der Stadt angeboten wurde. Den zu zahlen, hat die Stadt sich geweigert“, sagt Müller. Also übernahm er die Gebühr für seinen Azubi. Dreimal die Woche geht Ceesay nun nach der Schule in den Kurs – lange Tage, die von 8 bis 21 Uhr dauern.

Besonders die fachbezogene Sprache ist schwierig

Dennoch ist für den jungen Mann, der 2013 nach Deutschland kam, besonders die fachbezogene Sprache schwierig. Dieses Problem geht die Schule gezielt an: Sie bietet Sprachförderkurse an. An der Gewerblichen Schule für Holztechnik ist Mehmet Kara für diese Kurse zuständig. Der studierte Germanist bekommt von den Lehrern des Kollegiums das aktuelle Lehrmaterial zur Verfügung gestellt. Seine Aufgabe ist es, die Texte in verständliche Sprache zu übersetzen, indem er sie sie überarbeitet. Zudem gibt er den Schülern Hilfen an die Hand, mit deren Hilfe sie Textaufgaben in Formeln übersetzen können. Die Schulleiterin Birgit Scholze-Thole schätzt diese Kurse. „Es ist sehr wichtig, dass man sich auf diese Schüler einrichtet und nicht erwartet, dass sie einfach mitkommen“, sagt sie – die Schüler seien sehr dankbar für die erlernten Techniken. Zudem könne man durch die Kurse den Betrieben die Scheu zu nehmen, einen Flüchtling aufzunehmen, aus Angst, er könnte scheitern.

Dieter Müller schätzt Yaya Ceesay sehr, nicht nur für seine Leistung. Er sei respektvoll, pünktlich und integriere sich gut in sein Team. Durch seinen persönlichen Bezug zu Ceesay hätten manche Themen eine neue Dimension bekommen: „Yaya Ceesay hat eine Frau in Gambia und wünscht sich natürlich, er könnte sie nachholen. Wenn man sieht, wie ihn die Trennung mitnimmt, kann man nicht mehr nach einem Schwarz-weiß-Raster entscheiden.“ Seiner Meinung nach ist es wichtig, verstärkt solch persönlichen Bezüge zwischen den Stuttgartern und den Geflüchteten zu schaffen, „dann läuft die Integration besser“. Ceesay steht an der Werkbank und feilt an einem neuen Stück Holz. Kraftvoll und achtsam zugleich.

Flüchtlinge in der Ausbildung

Region Stuttgart
Generell erfasst die Handwerkskammer nicht den Status der Auszubildenden, sondern die Nationalität. Insofern gibt es nur eine Statistik über Azubis, die aus den Hauptherkunftsländern von Asylsuchenden stammen. Es kann also vorkommen, dass der ein oder andere gar kein Geflüchteter ist.

Auszubildende
In der Region Stuttgart gibt es 213 Azubis (in allen drei Ausbildungsjahren) aus eben diesen Hauptherkunftsländern (Afghanistan, Albanien, Eritrea, Gambia, Irak, Iran, Nigeria, Pakistan und Syrien).

Nationalitäten
Die Gruppe der Afghanen (61) und Syrer (ebenfalls 61) stellt schon über die Hälfte zahlenmäßig dar. Die drittgrößte Gruppe sind die Gambier (32).

Stuttgart
Im Stadtkreis Stuttgart gibt es derzeit insgesamt 60 Azubis, die wohl Geflüchtete sind und aus den genannten Hauptherkunftsländern stammen.

Gewerke
Ein Blick auf die Gewerke ist ebenfalls interessant. Generell sind ganz verschiedene Berufe vertreten. Besonders häufig sind aber: 30 Auszubildende zum Friseur, 18 Auszubildende zum Maler/Lackierer, 18 Auszubildende zum Elektroniker, 14 Auszubildende zum Anlagenmechaniker für Sanitär-, Heizungs- und Klimatechnik, zusätzlich gibt es im Nahrungsmittelhandwerk annähernd 30 Azubis, die entweder Bäcker, Konditor oder Metzger werden wollen.