Die meisten Besucher wissen wahrscheinlich nicht, dass sie auf einem besonderen Kies entlangspazieren. Foto: Werner Kuhnle/ 

Der Ludwigsburger Schlosshof ist mit Steinchen bedeckt, die nur aus bestimmten Flussbetten herantransportiert werden. Vor allem aus Sicherheitsgründen.

Eine Menge Touristen und Einheimische spazieren Woche für Woche am Ludwigsburger Residenzschloss vorbei und genießen die prächtige Barockkulisse. Vielleicht registriert der eine oder andere dabei sogar, dass der Kies leise unter den Schuhsohlen knirscht. Aber mit ziemlicher Sicherheit wird sich niemand Gedanken darüber machen, woher die ganzen Steinchen eigentlich kommen. Dabei verbirgt sich dahinter eine ungewöhnliche Geschichte.

 

Um den vorderen, mittleren und hinteren Schlosshof abzudecken, wird nämlich kein x-beliebiger Kies verwendet. Das Material stammt ausschließlich aus dem Neckar. Und auch da nur aus ausgewählten Flussbetten, die ziemlich weit entfernt liegen. In den vergangenen Jahren seien zum Beispiel 48 Tonnen aus Rottenburg und zwei Margen mit insgesamt mehr als 200 Tonnen aus Neckartenzlingen zum Schloss transportiert worden, sagt dessen Verwalter Stephan Hurst. Vor Ort wurden die kleinen Steine teils vermischt. Kein Mensch könnte wohl unterscheiden, aus welcher Stadt die einzelnen Kiesel geliefert wurden. Doch wenn man in den Boden greift und sich ein paar von ihnen genauer anschaut, wird man erkennen, dass sie eines eint: „Sie sind relativ flach und eher rund und haben keine Kanten“, erklärt Hurst.

Die Sturzgefahr wird minimiert

Der Vorteil sei, dass dank dieser Beschaffenheit die Sturzgefahr minimiert werde. Und falls sich je jemand doch nicht mehr auf den Beinen halten könne, pralle die- oder derjenige zumindest nicht gegen spitzes Material, erläutert der Schlossverwalter. Bei einem Konzert ist das Szenario gar nicht so unwahrscheinlich, dass jemand ausrutscht. Vor allem, wenn Fans nach dem Einlass direkt zur Bühne flitzen, um ihrem Star später beim Auftritt ganz nah zu sein.

Ludwigsburger Kies ist ungeeignet

Eine Rolle spiele außerdem, dass sich spitze Steinchen in der Schuhsohle verhaken könnten, um dann bei einer Führung durch das Schloss womöglich den historischen Boden zu beschädigen, sagt Hurst. Folglich scheidet als Alternative auch der Kies aus, der vor den Toren Ludwigsburgs im Neckar lagert. Dieser gilt als längst nicht so flach wie das Pendant aus Rottenburg.

Foto: Werner Kuhnle/ 

Davon abgesehen sei der Farbton angenehm zurückhaltend, stehle damit dem Schloss optisch nicht die Schau, sondern ordne sich unter, betont Stephan Hurst. Konkrete Vorgaben zur Beschaffenheit des Materials gebe es aber nicht, sagt der 47-Jährige. Doch mehrere Generationen kennen keinen anderen Untergrund im Hof. „Wie lange genau dieser Kies verwendet wird, ist nicht genau bekannt, aber sicher schon seit 50 Jahren“, sagt Hurst.

Belag wird bei Konzerten stark abgenutzt

Zwei Mitarbeiterinnen schauen danach, dass der Hof in einem repräsentativen Zustand ist. Die beiden fischen unter anderem Zigarettenkippen heraus, die zwischen den Steinchen hervorlugen. Man kann sich gut vorstellen, wie aufwendig die Pflege ist. Davon können auch die Eventstifter als Veranstalter der jährlichen Open-Air-Konzert-Reihe KSK Music Open ein Lied singen. „Es gibt kein Konfetti mehr, und es gibt keine Luftschlangen mehr“, sagt Michael Scholz, einer der Macher der Agentur. Der Reinigungsaufwand würde sonst den Rahmen sprengen, wenn die Papierschnipsel zwischen die Steinchen rutschen. Man habe schon zig Tonnen Kies bezahlt, um die Fläche nach der Nutzung auffüllen zu lassen, berichtet Scholz. Man fahre mit schweren Fahrzeugen über das Gelände. Zudem hüpften die Besucher bei den Konzerten. In Summe nutze man also den Belag stärker ab als alle anderen.

Es kann aber auch sein, dass abseits der KSK Music Open Handlungsbedarf besteht. Zum Beispiel, wenn an einer Stelle Material fehlt oder die Verdichtung zu stark ist, erklärt Stephan Hurst. „Eine Tonne Kies geliefert frei Baustelle kostet zwischen 30 uns 35 Euro netto“, erklärt der Schlossverwalter.

Schon 1904 gab es Kies im Schlosshof

Auf dieser Aufnahme aus dem Jahr 1904 aus dem Buch „Barockbauten in Deutschland“ ist der Hof schon mit Kies bedeckt. Foto: Barockbauten in Deutschland/ 

Seit wann genau der Schlosshof mit Steinchen bedeckt ist, ist unklar. „Wir haben keine Kenntnis, dass vor dem Kies ein durchgehendes Pflaster vorhanden war. Das könnte man nur durch Untersuchungen feststellen“, erklärt Elena Hahn, die als Konservatorin für das Schloss zuständig ist. Auf Aufnahmen aus dem Buch „Barockbauten in Deutschland“ aus dem Jahr 1904 ist aber bereits Kies zu erkennen.

Die meisten Passanten werden trotz allem in der Regel weiter nur Augen für das Schloss haben. Für Stephan Hurst ist hingegen der Belag keine Nichtigkeit. „Das ist wichtig und Teil des Ensembles. Der Schlosshof würde ganz anders wirken, wenn er asphaltiert wäre“, betont er.

Der Schlosshof im Barock

Zufahrt für Kutschen
In barocker Zeit diente der Schlosshof laut der zuständigen Konservatorin Elena Hahn als Zufahrt, über die der Herrscher und seine Gäste mit ihren Kutschen bis vor die Gebäude fahren konnten. Bei Empfängen sei sicher auch die Garde beziehungsweise das Militär im Ehrenhof aufmarschiert.

Aufbauten
Außerdem wisse man aus der Zeit von Herzog Carl Eugen, „dass er bei Festen prächtige Aufbauten für seine Feiern dort aufbauen ließ, zum Beispiel 1764 zu seiner Geburtstagsfeier ein Amphitheater nach dem Vorbild des Kolosseums in Rom, das angeblich Platz für 4000 Personen bot“.