Manfred Rommel zu Beginn seiner dritten Amtszeit als Oberbürgermeister von Stuttgart. Foto: picture-alliance / dpa/Kraufmann

Zum 75-Jahr-Jubiläum der Stuttgarter Zeitung stöbern wir im Archiv und präsentieren unseren Leser die originale Berichterstattung früherer Zeiten. Dieses Mal: Der Stuttgarter Oberbürgermeister Manfred Rommel kurz vor seiner Wiederwahl 1990.

Stuttgart - Wenn auf dem Cannstatter Wasen das Volksfest eröffnet wird, ist er in seinem Element. Dann stimmt er mit dem Bild überein, das sich die Leute von ihm machen: volkstümlich, humorvoll, saumäßig g’scheit, dabei ohne Überheblichkeit, keinem Kalauer abhold, selbst dann nicht, wenn es deftig wird. Lachen als politische Medizin. Was die Volksfestreden angeht, so hatte der Sohn des legendären Wüstenfuchses schon 1975, bei seinem Debüt, die ‚Klasse seines Vorgängers Arnulf Klett erreicht. Das zählt bei den Leuten. Ein gut Teil seiner Popularität verdankt der bald 62jährige seinem rhetorischen Talent, wobei es scheint, als habe er den kleinen Sprachfehler, dieses gelegentlich angestoßene „S“ und dazu ein leichtes Stottern, gar zum Stilmittel kultiviert.

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Das Volk schlägt sich auf die Schenkel, wenn sein Oberbürgermeister, wie diesmal geschehen, im prallvollen Bierzelt seine Gegenkandidaten namentlich begrüßt und ihnen dann dröhnend zuruft: „Seid froh, wenn ihr net g’wählt werdet, sonst müßt ihr nächstes Jahr die Volksfestred’ halten.“ Unausgesprochen zwar, doch unüberhörbar klingt da mit: Euch Schwachbrüstler wär’ ja himmelangst, bei so wenig Humor vor so viele Leut’. Kunststück. Seit 16 Jahren, seit er im Amt ist, hat Manfred Rommel sein Redetalent weidlich genutzt. Als er neu war, ließ er verlauten, er werde sich nicht zum „Tanzbär“ machen lassen. Doch längst tanzt er auf allen Hochzeiten, empfängt alle und jeden, redet - meist launig - überall.

Sensibel und leicht verletzbar

Die Kehrseite: Als sich vor knapp einem Jahr der neu gewählte Gemeinderat konstituierte, als sechs „Republikaner“ den Sprung in den Ratssaal geschafft hatten, da sah man dem Stadtoberhaupt an, wie sehr ihm dies zusetzte, sogar körperlich. Als einer der sechs prompt versuchte, den in Wahrheit sensiblen und leicht verletzbaren Oberbürgermeister vor vollem Ratssaal bloßzustellen, ihm den Handschlag zu verweigern, stand der für kurze Zeit leidend da, ehe er Luft holte und sich, was ihm im Grunde widerstrebt, kraft Amtes durchsetzte.

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Seit dem Herbst 1989, der letzten Kommunalwahl, sind der Vorsitz des Gemeinderates und die Führung der Verwaltung, ist das Regieren der Stadt noch schwieriger geworden. Als es jüngst um die Porsche-Parkplätze ging, griff der sonst so geschickte Diplomat Rommel zum ersten Mal in 16 Jahren zum Holzhammer: Gegen die Mehrheit des Rates genehmigte er den Bau der umstrittenen Parkplätze, und das wenige Wochen vor dem Wahltermin.

Das Regieren fällt ihm zunehmend schwer

Kein Zweifel, dem so populären Manfred Rommel, der vor acht Jahren mit 69,8 Prozent der Stimmen seine erste Wiederwahl glänzend schaffte, fällt das Regieren der Großstadt zunehmend schwer. Die Gründe liegen nicht nur darin, daß ihm die politische Hausmacht fehlt und er sich seine Mehrheiten stets mühsam suchen muß. Mancher Rückschlag hat ihn vorsichtig werden lassen: Sein eigener Gemeinderat klagt vor dem Verwaltungsgerichtshof gegen den Ausbau des Flughafens, die Fildergemeinden machen Front gegen die Stadt. Vielleicht rührt es daher, daß Rommel sich scheut, den mutigen Vorreiter für die so dringend notwendige Regionalpolitik zu spielen. Die Führungsschwäche der CDU-Ratsfraktion kommt erschwerend hinzu. Die „Republikaner“ bereiten die erwarteten Probleme. Auch die Freidemokraten, lange Jahre das Zünglein an der Waage, machen Rommel immer häufiger das Leben schwer. Daß der Christdemokrat Rommel einen guten Draht besitzt zur SPD-Fraktionschefin Helga Ulmer, ist kein Geheimnis. Doch um reibungslos Kommunalpolitik zu betreiben, reicht das nicht.

Kritiker sagen, Rommel sei als Oberbürgermeister eigentlich der Staatssekretär im Finanzministerium des Landes geblieben, der er früher einmal war - ein Mann, der alle Politik, alle Sachfragen nur vom Geld her angehe, streng darauf fixiert, ob etwas bezahlbar sei oder nicht. Wahr ist: Dieser Mann will sich kein Denkmal setzen. Für die Porsche-Parkplätze riskierte er den größten Krach seiner Amtszeit mit dem Stadtparlament. Für die von vielen erhoffte neue städtische Galerie am Kleinen Schloßplatz legte er sich nicht so kräftig ins Zeug. Überhaupt ist er als Kulturbürgermeister manches schuldig geblieben - konzeptionell, personalpolitisch und an persönlicher Durchsetzungskraft. 1993 will er sich von diesem Ressort trennen. Der „Treffpunkt Rotebühlplatz“, das neue Stammhaus der Volkshochschule, das bald fertig wird, trägt seine Handschrift nicht, eher schon das Kongreßzentrum an der Liederhalle. Für die Daimler-Ansiedlung an der Landhauskreuzung strampelte er sich einst geradezu ab - ausgerechnet der Weltkonzern bescherte ihm nun, nach interner Neuordnung, ein Gewerbesteuerloch von 145 Millionen Mark. Vom Neuen Jahr an muß er der von ihm nach Kräften geforderten Wirtschaft eine erhöhte Gewerbesteuer abverlangen.

Verhältnis zu Kanzler Kohl gilt als frostig

In weithin sichtbaren· Bauten wollte sich der Hegelianer Manfred Rommel nicht verwirklichen. Wohl aber als politischer Kopf. Das ist ihm, rückblickend, nicht geglückt, legt man die Elle der modernen Parteiendemokratie an. Die unabhängige Rolle des vom Volk gewählten Oberbürgermeisters hat ihn geprägt, hat ihm den Mut zur eigenen, unbequemen Meinung gegeben, was man in den höheren Sphären der CDU gar nicht schätzt. Das Verhältnis zu Bundeskanzler Kohl beispielsweise ist frostig, seitdem Rommel, immerhin Präsident des Deutschen Städtetags und mithin prominentester CDU-Kommunalpolitiker, die Steuerreform, die Wohnungs- und die Ausländerpolitik der Kohl-Regierung ungeschminkt als falsch bezeichnet hat. Wenn in Bonn der Name Rommel falle, lache alles nur, hieß es vor einiger Zeit. Man nehme den Mann aus Stuttgart nicht mehr ernst. Rommels Replik: „Selbst wenn mich der Kanzler nicht in sein Abendgebet einschließt, muß ich diese Kritik anbringen.“ Unbestritten bleibt: Wenn Rommel sich nicht ins Zeug legte, wäre der in seiner Führungsriege schwer angeschlagene Deutsche Städtetag zur Bedeutungslosigkeit verurteilt. Im übrigen verstärkt sich der Eindruck, der Stuttgarter OB sei froh, sein schwieriges Rathaus öfter mal verlassen zu können. Seine früher schon sprichwörtliche Abneigung gegen das Reisen hat er jedenfalls überwunden.

Das so wichtige Verhältnis zu Lothar Späth, den er einst beerben wollte, bleibt freundlich, aber distanziert. Deshalb hat er es auch nicht geschafft, das Verhältnis zum Land und zum Landtag, wobei die Betonung auf Land liegt, spürbar zu verbessern. Ein Nachteil für die Stadt, den Rommel oft genug zu spüren bekam, zum Beispiel bei der Berufung Wolfgang Gönnenweins zum Staatsrat. Dem Ministerpräsidenten scheint es diebische Freude zu bereiten, den·Parteifreund gerade in kulturellen Dingen ein ums andere Mal schlecht aussehen zu lassen, mit den kulturellen Pfunden seines Landes zu wuchern - und das mithin in der Landeshauptstadt. Daß Späth die Wohnungsmisere mit eingebrockt hat, die Rommel nun schwer zu schaffen macht, mag im Landtag wie in der Villa Reitzenstein niemand gerne hören.

Die Gesundheit hat gelitten

Rommels Pluspunkte: Eine über die Jahre grundsolide städtische Finanzpolitik - sein ureigenes Betätigungsfeld, auf dem ihm keiner etwas vormacht; eine liberale bis progressive Ausländerpolitik, die seinen nach wie vor sehr guten Ruf im Ausland begründet; seine kommunale Außenpolitik, mit der er neue Städtepartnerschaften mit Kairo, Lodz und Brünn eingeleitet hat; sein neu entdecktes Interesse für den Sport, das Stuttgart zur heimlichen Sporthauptstadt machte; sein gutes,. persönliches Image in der bundesdeutschen Öffentlichkeit, das Stuttgart auf vielerlei Weise zugute gekommen ist.

16 Jahre an der Spitze einer 17.000 Mitarbeiter zählenden Stadtverwaltung, als Vorsitzender eines 60köpfigen Gemeinderates, als Aufsichtsratsvorsitzender von Technischen Werken und Straßenbahn, dazu in vielerlei anderen Ehrenämtern - das alles ist an Manfred Rommel, Jahrgang 1928, nicht spurlos vorübergegangen. Seine Gesundheit hat gelitten, wenngleich er gerne davon ablenkt. Im Sommer 1989 mußte er sich einer schweren Magenoperation unterziehen. Die Folgen spielt er herunter. Schließlich soll niemand glauben, er sei amtsmüde geworden oder gar diesem Amt nicht mehr gewachsen. Als jüngst bekannt wurde, daß die Operationsnarbe Beschwerden bereitet und Deutschlands größte Boulevardzeitung mutmaßte, Rommel ‚könne seine Amtsgeschäfte nicht mehr führen, konterte er mit der Waffe, die er am besten beherrscht - mit schwarzem Humor: „Ich gedenke weiterzuleben, weiterzuarbeiten und besuche noch nicht diverse Bestattungsunternehmen, um mir einen angemessenen Sarg auszusuchen.“

Niemand zweifelt daran, daß Manfred Rommel die Wahl am 4. November gewinnen wird. Doch das allein genügt ihm nicht. Er will unter allen Umständen ein starkes Ergebnis als Bestätigung seiner Arbeit, seiner Mühen, ja auch seiner Leiden. Ein starkes Ergebnis, das wären zumindest die 69,8 Prozent von 1982. Rommels Wunsch wären mehr als 70 Prozent. Ob die Bürger ihm diesen Wunsch erfüllen? Womöglich hängt es von diesem Wahlergebnis ab, ob der 61jährige mit der festen Absicht in die dritte Amtsperiode geht, bis zum 68. Lebensjahr dabei zu bleiben, wie es das Gesetz zuläßt. Vielleicht macht Manfred Rommel auch schon früher Schluß. Bei mancher Gelegenheit in letzter Zeit standen Züge von Resignation in seinem Gesicht.

Anmerkung der Redaktion: Es handelt sich um einen ungekürzten Bericht aus Stuttgarter Zeitung vom 20. Oktober 1990. Angereichert ist der Artikel mit Fotos, die nicht im Zusammenhang mit dem Bericht erschienen sind. Die Rechtschreibung ist weitgehend im Original belassen.