In der Metall- und Elektroindustrie Baden-Württemberg gelten seit Jahren Aufstockungsregelungen zur Kurzarbeit – Vergleichbares hätten die Gewerkschaften gerne überall. Foto: picture alliance / dpa/Patrick Seeger

Einige Branchen und Arbeitgeber bessern das staatliche Kurzarbeitergeld bereits auf – für die Gewerkschaften sind es in der Corona-Krise allerdings noch viel zu wenige Unternehmen. Sie setzen sich auf breiter Front für höhere Zuzahlungen ein, bisher mit gemischter Resonanz.

Stuttgart - Wegen des Runs der Firmen auf die Kurzarbeit fordern Gewerkschaften und Betriebsräte auf breiter Front eine Aufstockung des Kurzarbeitergeldes durch die Arbeitgeber. Bisher übernimmt die Bundesagentur für Arbeit (BA) 60 Prozent (bei Kindern 67 Prozent) des durch die Kurzarbeit ausgefallenen Nettolohns. Weil die BA aber den Unternehmen auch die Sozialbeiträge für ausgefallene Arbeitsstunden komplett erstattet, verlangen die Gewerkschaften, dass zumindest der Arbeitnehmerbeitrag an die Beschäftigten weitergegeben wird.

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Vorbild sind die Metaller im Südwesten

Vorbild aus Arbeitnehmersicht ist vor allem die Metall- und Elektroindustrie Baden-Württemberg: Dort gibt es seit Jahren eine Regelung im Flächentarifvertrag, sodass das Kurzarbeitergeld je nach Umfang der Kurzarbeit auf 80,5 bis 97 Prozent des Nettogehalts erhöht wird. Ähnliches gilt in den IG-Metall-Branchen Kfz-Handwerk, Holz- und Kunststoffverarbeitende Industrie, Edelmetallindustrie, im Metallhandwerk sowie in der Technischen Gebäudeausrüstung. Teilweise unterscheiden die Berechnungen zwischen Brutto-und Nettoaufstockungen, in all diesen Branchen erreichen Beschäftigte in „Kurzarbeit Null“ aber mindestens 80 Prozent ihres normalen monatlichen Netto, teilweise sogar deutlich mehr. „Die Sozialpartner in Baden-Württemberg gehen mit gutem Beispiel voran und haben schon vor vielen Jahren Regelungen geschaffen, um ihre Beschäftigten in Kurzarbeitsphasen finanziell zu entlasten“, sagt Bezirksleiter Roman Zitzelsberger.

Verdi hat den Einzelhandel im Fokus

Andernorts gibt es nur wenige Lichtblicke: Die chemische Industrie bietet eine Aufzahlung auf 90 Prozent. Bei der Bahn erhalten die Beschäftigten 80 Prozent des letzten Bruttogehalts. Die Telekom will den bestehenden Zuschuss zum Kurzarbeitergeld von aktuell 80 auf 85 Prozent des Brutto-Unterschiedsbetrags anheben.

Die Gewerkschaft Verdi hat neben dem öffentlichen Dienst vor allem die Mammutbranche Einzelhandel im Visier und strebt – bisher gegen den Widerstand des Dachverbandes HDE – eine branchenweite Aufstockung des Kurzarbeitergelds auf 90 Prozent an. Auch Verdi Baden-Württemberg und die Betriebsräte verhandeln in etlichen Betrieben. „Es wird angesichts der Drohungen der Arbeitgeber mit Kündigungen nicht überall gelingen, Aufstockungen zu erreichen“, sagt Landeschef Martin Gross. „Nun drohen Hunderttausenden im Land existenzielle Einkommensverluste.“ Daher dürfe die Landespolitik die Arbeitgeber nicht aus ihrer Verantwortung entlassen.

Gewerkschaft NGG war schon erfolgreich

Die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) hat in vielen Branchen der Ernährungsindustrie Baden-Württemberg 90 Prozent Aufstockungsleistungen vereinbart. Nachbesserungen seien aber im Gastgewerbe und im Lebensmittelhandwerk dringend geboten, heißt es.

Aus Sicht von Thorsten Schulten, dem Leiter des WSI-Tarifarchivs der Hans-Böckler-Stiftung, kann unterm Strich nur eine Minderheit der Tarifbeschäftigten auf eine Aufstockung hoffen. Vor allem in den Niedriglohnsektoren gebe es oft keine tarifvertraglichen Zuschüsse zum Kurzarbeitergeld. Geringverdiener könnten bei einem Nettoeinkommensverlust von 40 Prozent aber nicht lange über die Runden kommen. Folglich bestehe akuter Handlungsbedarf – möglichst in Form einer nationalen Lösung. Eine gesetzliche Regelung dazu lehnt die Bundesregierung bisher ab.