Bei einem Besuch der Remstalwerkstätten setzt sich Selina Stihl probeweise an den Montagetisch für Kettenfeilen in der Stettener Mercedesstraße. Foto: Horst Rudel

Der Waiblinger Motorsägenhersteller Stihl hat sein Engagement bei den von der Diakonie Stetten betreuten Remstalwerkstätten deutlich gesteigert. Das liegt nicht nur am Imagefaktor, sondern auch an der guten Arbeit.

Wenn Mimi Ullah am Montagetisch sitzt, passt jeder Handgriff. Hier der Holzschaft, da die Sternmutter, dort die Schiene für die Rundfeile. Ein kurzer Schwenk mit dem Elektroschrauber, fertig ist das Schärfset für die Motorsäge. Forstleute, Landschaftspfleger und private Brennholzmacher werden das kleine Werkzeug zu schätzen wissen, wenn die Sägekette bei der Arbeit im Wald ihren Biss verliert.

Und Mimi Ullah ist sichtlich stolz, dass sie mit der Montage weit besser zurechtkommt als viele ihrer Kollegen bei den Remstalwerkstätten in der Stettener Mercedesstraße. „Da brauche ich keinen, der mir das erklärt“, sagt sie im Brustton der Überzeugung und legt den fertigen Feilenhalter achtsam in eine blaue Plastikbox. Ihre Kollegen werden das Werkzeug in eine Tüte packen und mit einem selbst aufgeklebten Etikett versehen. Im Großkarton geht das kleine Produkt in die Lagerhallen des Waiblinger Motorsägenherstellers Stihl – und an Kunden in aller Welt.

Wie viele Feilen produziert werden, hängt auch an der Tagesform

Dass Mimi Ullah weiß, was sie kann, darf nicht über die Tatsache hinwegtäuschen, dass die 38-Jährige mit einer komplexeren Aufgabe schnell überfordert wäre – und auf dem regulären Arbeitsmarkt leider keine Chance hat. Lange konzentriert bleiben kann die Frau nicht, nach einer guten halben Stunde am Montagetisch braucht es mehr als nur eine kleine Pause. Und ob in Stetten an einem Arbeitstag 300 oder auch mal nur 200 Schärfsets in die Tüte wandern, hängt stark von der Tagesform der geistig wie körperlich gehandicapten Beschäftigten ab. Dass es zu Schwankungen bei der Arbeitsleistung kommt, ist Normalität, keine Ausnahme.

„Wir richten die Arbeit an den Fähigkeiten der Menschen aus“, sagt Pfarrer Rainer Hinzen, der Vorstandschef der Diakonie Stetten, über den Ansatz der Werkstätten. Knapp 100 Beschäftigte mit Handicap hat der Sozialträger allein in dem Betrieb in der Mercedesstraße unter seinen Fittichen, mit den Standorten in Schorndorf, Fellbach oder Lorch gehen insgesamt gut 1300 Menschen bei der Diakonie Stetten einer betreuten Arbeit nach. Die pädagogische Begleitung ist auch das Plus der Einrichtung.

An den Behindertenwerkstätten entzündet sich auch Kritik

In den jeweils 15 Köpfe zählenden Werkgruppen kümmert sich jeweils ein Betreuer und in der Regel auch eine Zweitkraft um die Abläufe im Team, aber auch um Wohl und Wehe, Sorgen und Nöte der Beschäftigten. Bei den regulär in Unternehmen vermittelten Mitarbeitern hat ein Sozialpädagoge etwa 40 Klienten. Die Betreuung durch den Integrationsfachdienst ist schon wegen des Fahrtwegs von Betrieb zu Betrieb ein Schwachpunkt – allzu oft sehen die Beschäftigten im Arbeitsalltag ihren pädagogischen Begleiter nicht.

Auch deshalb nennt Rainer Hinzen die betreuten Werkstätten für Menschen mit Behinderungen einen Segen. Die Arbeit könne so gestaltet werden, dass sie auch bei erheblichen Einschränkungen noch leistbar sei. In der Sozialpolitik ist diese Sicht der Dinge durchaus umstritten. Kritiker bemängeln die hohen Kosten und die niedrigen Löhne und würden die geschützten Werkstätten am liebsten abschaffen. Durch die Alternative zum ersten Arbeitsmarkt werde verhindert, dass sich Menschen mit Behinderungen ihren Lebensunterhalt in regulären Firmen selbst verdienen könnten.

Nur wenige Beschäftigte können in der Wirtschaft Fuß fassen

In der Praxis sieht es freilich so aus, dass nur die wenigsten Menschen mit Handicap in der modernen Arbeitswelt auch wirklich Fuß fassen können. „Die Abläufe sind vielleicht noch einigermaßen vergleichbar, aber nicht der Zeittakt“, weiß Betreuer Holger Thelen, dass die meisten Menschen mit Behinderung gerade am in der Wirtschaft geforderten Tempo scheitern. Gerade mal zwei bis drei Beschäftigte mit Einschränkungen kann die Diakonie Stetten pro Jahr an Unternehmen vermitteln. Für ungleich mehr Menschen gilt eher der umgekehrte Weg. Sie fallen nicht selten wegen psychischer Probleme durchs Raster und müssen in den geschützten Werkstätten aufgefangen werden.

„Die meisten unserer Mitarbeiter fühlen sich so wohl, dass sie weiterarbeiten wollen, wenn sie nach zwanzig Jahren einen Rentenanspruch erworben haben“, betont Thomas Illigmann von den Remstalwerkstätten. Wer Mimi Ullah bei der Arbeit am Montagetisch eine Weile über die Schulter schaut, kann erahnen, was er damit meint.