Der Boss: Stuttgarts neuer Schauspielintendant Burkhard C. Kosminski (57) hofft auf Theaterwunder zum Saisonstart. Foto: dpa

An diesem Freitag eröffnet das Schauspielhaus Stuttgart die Saison mit drei Premieren. Der Intendant Burkhard C. Kosminski sagt, warum er zurzeit nur wenig schläft und ob die Drehbühne wieder repariert ist, warum er weiterhin VfB-Fan bleibt und was er vom Stuttgarter Publikum hält.

Stuttgart - Herr Kosminski, Sie waren kürzlich mit unserem Theaterkritiker im Stadion bei einem niederschmetternden VfB-Dramolett. Auch jetzt ist der Fußballverein letzter, trotz des Siegs in Nürnberg. Haben Sie überlegt, nicht mehr Fan des Vereins zu sein?

Man kann nicht nur mit einem Verein sympathisieren, wenn es gut läuft und sich sowieso alle freuen. Man wünscht sich nur, dass es wieder aufwärts geht! Die Spieler sind gut. Mir kommt das ein bisschen so vor, als sehe man lauter tolle Schauspieler auf einer Bühne, die aber paralysiert wirken.

Wie sieht es denn mit Ihrem Nervenkostüm aus, kurz vor der Eröffnung an diesem Freitag: Wer ist nervöser, der Intendant Kosminski oder der Regisseur Kosminski, der zwei Inszenierungen in zwei Wochen zeigt?

Die „Äpfel“ sind schon fertig!

Sie meinen, das Stück von Theresia Walser „Ich bin wie Ihr, ich liebe Äpfel“ am 23. November?

Genau. Das ist eine Übernahme aus Mannheim, allerdings mit einigen neuen Schauspielern, das haben wir schon vor der Sommerpause geprobt.

Und was ist mit Ihrer Uraufführung von Wajdi Mouawads „Vögel“ an diesem Freitag?

Die Endproben stimmen mich zuversichtlich – auch was die „Orestie“ nach Aischylos am Samstag und „Die Abweichungen“ von Clemens Setz am Sonntag betrifft. Das Grauenhafte und Tolle am Theater ist ja, dass man keine Garantie hat und nicht weiß, ob sich ein Theaterwunder ereignet oder nicht. Es bleibt also spannend. Und was die Nervosität betrifft . . . (lächelt)

Schlafen Sie überhaupt noch?

Ja, aber wenig.

Wie verläuft Ihr Tag zwischen Chef- und Regisseursdasein?

Sehr strukturiert. Gegen 6.30 Uhr aufstehen, mit der Tochter frühstücken, ab etwa acht Uhr auf der Fahrt führe ich wichtige Telefongespräche. Im Theater angekommen erledige ich, was gerade zu tun ist. Um 10.30 Uhr geht’s auf den Pragsattel, ins Nord, auf die Probe. Gegen 16.30 oder 18 Uhr bin ich zurück im Schauspielhaus und arbeite da bis 20 Uhr, manchmal bis 23 Uhr. Wenn ich heimkomme, höre ich Musik, schaue Nachrichten. Und wenn ich mich dann ganz entspannt zur Ruhe begebe, denke ich noch einmal über den Tag nach und überlege, was zu tun ist. Am nächsten Morgen fällt mir oft eine Antwort auf ein ungelöstes Problem ein.

Müssen Sie auch noch über die Drehbühne nachdenken? Die kaputte Technik ist ja ein Grund für die so späte Eröffnung.

Gedreht hat sich die Bühne schon vorher, aber sie konnte nicht drehend von hinten nach vorne in Richtung Publikum gefahren werden. Und auch beim seitlichen Wegfahren hatte es gehakt. Das sieht jetzt aber alles gut aus. Es wird rundgehen ab Freitag, das steht fest. Wir sind alle schon sehr froh, dass es endlich losgeht und sind schon sehr gespannt auf die Reaktionen des Publikums.

Neben den sechs Premieren in zwei Wochen planen Sie schon für die nächste Saison: eine Koproduktion mit den Salzburger Festspielen, ein Stück von Theresia Walser. Wie kam’s dazu?

Theresia Walser und mich verbindet schon lange eine intensive Arbeitsbeziehung, insgesamt sieben Stücke hat sie in den letzten Jahren für mich und vor allem für die beteiligten Schauspieler und Schauspielerinnen geschrieben. Das macht die Arbeit mit ihr so besonders. Mit den Salzburger Festspielen und insbesondere der Schauspieldirektorin Bettina Hering gab es bereits seit einiger Zeit Überlegungen zu kooperieren.

Wie konnten Sie überregional und aus Film und Fernsehen bekannte Schauspieler wie André Jung und Caroline Peters für die Produktion gewinnen?

Eine Zusammenarbeit mit Caroline Peters und André Jung steht nicht erst seit gestern auf meiner Wunschliste. Manchmal muss man ein bisschen warten, bis alle Puzzleteile ineinander fallen, aber jetzt kam glücklicherweise alles zum richtigen Zeitpunkt zusammen. Ich glaube, das wird eine tolle Truppe: Theresia Walser, Caroline Peters, André Jung und aus unserem Ensemble Silke Bodenbender, Anke Schubert und Sven Prietz.

Was tun Sie am ersten Premierentag an diesem Freitag?

Der Tag wird wohl von hoher Nervosität geprägt sein. Keine Ahnung. Vielleicht kaufe ich mir ein Hemd!

Einige potenzielle Zuschauer kennen Sie ja schon. Sie haben Hausbesuche gemacht und den Spielplan vorgestellt. Warum machen Sie das?

Ich finde es wichtig, mit den Menschen ins Gespräch zu kommen, zu erfahren, was möchten sie, was kann man besser, anders machen. Deshalb machen wir auch demnächst Reihen wie „Auf ein Glas mit . . .“, wo sich das Publikum, die Schauspieler und andere Künstler in einem lockeren Rahmen noch einmal anders kennen lernen können.

Wie waren Ihre Erfahrungen bei den Hausbesuchen?

Wir saßen mal in einer Küche zusammen, mal im Garten eines Schlosses. Und es waren sehr unterschiedliche Leute, junge, ältere, mal eine Gruppe von Architekten, mal lauter Studenten. Mal waren es Leute, die das Theater meines Vorgängers Armin Petras mochten – oder nicht. Aber das ist für mich kein Thema. Wir wollen nach vorne schauen. Es war toll, mit den Leuten ins Gespräch zu kommen. Ich habe den Eindruck, sie lachen gern, sie haben schon viel Theater gesehen und sie wollen herausgefordert werden. Ich habe eine Neugierde und eine große Offenheit erlebt.

Kann sich Kunst aber nicht selbst erklären?

Doch. Und wir werden auch nie den Geschmack von jedem treffen können. In manchen Fällen aber halte ich zum Beispiel Einführungen vor der Vorstellung für sinnvoll. Und ich erlebe in Gesprächen auch mit Menschen, die in der Intendanz von Armin Petras das Theater verlassen haben, dass sie ein Bedürfnis nach Austausch haben.

Nach so vielen Gesprächen sind Sie jetzt in Stuttgart wohl schon recht bekannt.

Tatsächlich werde ich erkannt! Letztens war ich beim Historischen Volksfest auf dem Schlossplatz beim Dosenwerfen, und meine Frau hörte, wie drei Leute auf einer Bank saßen und sich fragten: „Isch des ned der Kosminski?“ Und eine der Damen sagte: „Hm, weiß ned, der had so a Allerweldssgsicht.“ – Ich bin dann zu den Herrschaften gegangen und habe gesagt: „Guten Tag. Ja, ich bin’s. Aber schauen Sie mal auf diese Nase und diese Brille – Sie dürfen alles zu mir sagen, aber nicht, dass ich ein Allerweltsgesicht habe!“ Das war eine sehr lustige Begegnung.

Zur Person

Am 19. Oktober 1961 wurde Burkhard C. Kosminski in Schwenningen geboren, er wuchs in Schwenningen auf. Nach seiner Schauspielausbildung in München absolvierte er in New York ein Regie- und Schauspielstudium am Lee-Strasberg-Institute und am William-Esper-Studio. In Deutschland inszenierte Kosminski unter anderem in Berlin, Frankfurt, Dortmund und Dresden. 2001 bis 2006 war Kosminski leitender Regisseur am Düsseldorfer Schauspielhaus. Von 2006 bis 2018 war er Schauspielchef am Nationaltheater Mannheim. Seit der Saison 2018/2019 ist er Intendant am Staatsschauspiel Stuttgart.

Info

Der Premierenauftakt im Schauspielhaus beginnt am 16. November mit „Vögel“ von Wajdi Mouawad. Es folgt am 17. November „Die Orestie“ nach Aischylos. Die Uraufführung von Clemens Setz’ „Die Abweichung“ findet am 18. November im Kammertheater statt. In der folgenden Woche gibt es drei weitere Premieren: „Ich bin wie Ihr, ich liebe Äpfel“ von Theresia Walser am 23. November, Shakespeares „Romeo und Julia“ am 24. November, jeweils im Schauspielhaus. Und Horváths „Jugend ohne Gott“ folgt am 25. November im Kammertheater. Kartentelefon: 0711 / 20 20 90.