Er wartet auf seinen großen Auftritt: Joaquin Phoenix in Todd Philipps Oscar-prämiertem Zukunftsdrama „Joker“; zu sehen am Donnerstag im Kulturwasen-Kino. Im Hintergrund grinst Robert De Niro, der in dem Film einen Talkshowmaster spielt. Foto: dpa/Niko Tavernise/Jan-Philipp Strobel

An diesem Donnerstag startet der Kulturwasen in Stuttgart – ein Autokino mit großem Filmprogramm, inszeniert vom Kinobetreiber Peter Erasmus. Aber hat das Kino nach Corona überhaupt noch eine Zukunft?

Stuttgart - Womit startet man am geschicktesten ein Filmprogramm im Autokino für die Landeshauptstadt – elf Wochen, nachdem das Rathaus alle Kinos dieser Landeshauptstadt mit sofortiger Wirkung und auf unbestimmte Zeit geschlossen hat, um auch so gegen die weitere Verbreitung des Coronavirus vorzugehen? Wie signalisiert man am besten, dass es nun wieder losgeht: das große Bild auf der großen Leinwand, der Zuschauer konzentriert auf den Augenblick?

Peter Erasmus hat sich für folgende Lösung entschieden: Um 18.15 Uhr zeigt er an diesem Donnerstag auf dem Kulturwasen „Die Känguru-Chroniken“, Daniel Levys skurrile Bestsellerverfilmung, die just eine Woche vor der Kinoschließung Premiere in den deutschen Kinos feierte und die zweifellos das Zeug zu einem Publikumserfolg gehabt hätte, wenn . . . tja, wenn nicht alles anders gekommen wäre. Der letzte Film, der am 12. März 2020 in seinen Kinos noch zu sehen war, wird jetzt der erste Film sein, den Erasmus am 28. Mai 2020 wieder zeigt.

„Man will was anpacken“

Und dann, in der Spätvorstellung um 21.45 Uhr, jener Film, den er selbst zu den beeindruckendsten Werken der jüngeren Zeit zählt: Todd Philipps „Joker“ aus dem vergangenen Jahr – man liest immer, es handele sich dabei um eine „Comicverfilmung“; aber das ist leicht irreführend. Joaquin Phoenix als Joker, völlig zu Recht mit einem Oscar geehrt, das ist hochspannendes Psychodrama, grelle Zukunftsvision und verstörende Gesellschaftsanalyse in einem. „Joker“ jetzt nach rund drei Monaten Corona-Krise nochmals zu sehen – das könnte wie eine Premiere sein.In der ersten Kulturwasen-Woche zeigt Erasmus zwanzig Filme. Sie sind ein wenig anders gemischt als in seinen eigenen Häusern, den Stuttgarter Arthauskinos am Bollwerk und im Delphi. „Natürlich wollen wir für ein größeres Kinopublikum interessant sein, und letztlich müssen alle Filme so bekannt sein, dass sie keine große Werbung nötig haben.“ Ursprünglich hatte der 67-jährige Kinobetreiber bei der Stadt ein eigenes Autokinokonzept eingereicht. Doch nun freut er sich über das Gemeinschaftsprojekt mit den Konzertagenturen C2 und Chimperator, mit Rosenau, Theaterhaus und Staatsoper. „Beim Projekt Kulturwasen gibt es gerade richtig Aufbruchstimmung. Das tut gut. Und gerade die jungen Kollegen von Chimperator erinnern mich irgendwie an die eigene Frühzeit – man will was anpacken, man will was bewegen.“

Peter Erasmus selbst ist ein Beweger in der Stadt; seit mehr als vierzig Jahren mischt er als Kinounternehmer kräftig in der Stuttgarter Kulturszene mit. Und ob nun superheiße Sommer oder immer neue Streamingdienste, ob Filmmangel oder Filmflut, ob Niedergang des europäischen Kinos oder Schrottbeschuss aus Hollywood: Bisher konnte noch keine der zahlreichen Kinokrisen seinen Optimismus niederzwingen. Aber er gibt zu: Bei Corona war es ganz nahe dran. „So Anfang April, als klar wurde, das kann mit den Schließungen unter Umständen noch endlos weitergehen, da war ich wirklich stimmungstechnisch in einem Loch.“ Aufgemuntert hätte ihn da die Unterstützung seiner Kinobesucher. Viele nahmen das Angebot wahr, in der Zeit der Schließung Kinogutscheine für kommende bessere Zeiten zu kaufen, „da sind über 45 000 Euro zusammengekommen, unglaublich!“

Ab Mitte Juni sollen die Kinos wieder öffnen

Und jetzt, kurz vor Pfingsten, gilt es eben nicht nur, das Filmprogramm im Kulturwasen-Autokino zu organisieren, sondern auch langsam wieder die beiden Stammhäuser Atelier am Bollwerk und Delphi an den Start zu bringen. Vom 1. Juni an erlaubt das Land Baden-Württemberg Kinovorstellungen in Sälen mit bis zu 100 Zuschauern, vorausgesetzt, Hygiene- und Abstandsregeln werden eingehalten. „Wir sitzen an den Konzepten, am 11. Juni soll bei uns das Licht wieder angehen.“

In Sachsen, Schleswig-Holstein und Hessen sind die Kinos schon wieder in Betrieb – besser gesagt: Sie können in Betrieb sein. Nicht alle Kinobetreiber nutzen die Chance, denn nicht alle sehen angesichts der Auflagen eine wirtschaftliche Perspektive. Und dann stellt sich auch die Frage: Was sollen sie eigentlich zeigen? Die Filmverleihe haben alle wichtigen Filmstarts in den vergangenen Wochen verschoben oder gestrichen. Peter Erasmus allerdings scheint sein Startprogramm im Atelier schon vor Augen zu haben: „Im März sind uns ja viele Filme fast durchgegangen; die Hermann-Hesse-Verfilmung ,Narziss und Goldmund‘ zum Beispiel. Und dann möchte ich ,Die schönste Zeit unseres Lebens‘ zeigen, das ist so eine wunderbare französische Komödie; ich sag’s Ihnen, da heulen Sie vor Glück.“Er ist wieder da – Peter Erasmus hat ganz offensichtlich aus seinem Stimmungstief herausgefunden. Es sind aber bis dahin auch noch ganz praktische Dinge zu klären; am Mittwochnachmittag zum Beispiel die technische Abnahme auf dem Wasen. „Und Zuschauer müssen natürlich kommen.“ Hat er Sorge, sie bleiben womöglich aus? Er lacht: „Aber nein. Die Phase habe ich längst hinter mir.“