Portugal ist angesagt wie nie – die Touristen strömen in großer Zahl, nicht nur an die Algarve, sondern auch in die Hauptstadt Lissabon (Bild).Foto: dpa Foto:  

Portugals Wirtschaft erlebt gegenwärtig einen Boom. Es kommen immer mehr Touristen ins Land, der Export steigt und auch die Nachfrage im Inland nimmt zu. Allerdings gibt es viele Beschäftigte, die gerade mal den Mindestlohn von monatlich 580 Euro verdienen.

Madrid - Aus Portugal kommen in jüngster Zeit vor allem gute Nachrichten. Die Wirtschaft ist im vergangenen Jahr um 2,7 Prozent gewachsen, so stark wie seit Beginn des Jahrhunderts nicht mehr; die Arbeitslosenrate fiel im März auf 7,9 Prozent, nachdem sie zum Höhepunkt der Krise im Januar vor fünf Jahren auf 17,5 Prozent geklettert war; und auch die Konsolidierung des Haushalts ist auf einem guten Weg: Das öffentliche Defizit wird in diesem Jahr voraussichtlich unter einem Prozent des Bruttoinlandsprodukts (Bip) liegen. Bei so vielen erfreulichen Daten sprechen manche schon von einem Wirtschaftswunder. Da ist was dran. Aber noch ist längst nicht alles gut.

Merkel will sich vor Ort ein Bild von der Entwicklung machen

An diesem Mittwoch und Donnerstag will sich Bundeskanzlerin Angela Merkel bei einem Staatsbesuch vor Ort etwas genauer anschauen, was es mit dem portugiesischen Wunder auf sich hat. Die Deutschen sind beim Blick gen Süden ja immer etwas skeptisch, und im Falle Portugals waren sie es ganz besonders, nachdem dort im Herbst 2015 eine Linksregierung die Geschäfte übernahm. Der sozialistische Ministerpräsident António Costa hatte sich nicht nur von zwei euroskeptischen Parteien, den Kommunisten und dem Linksblock, mit ins Amt wählen lassen, er versprach auch noch, „das Blatt der Austerität zu wenden“. Der damalige deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble sah deshalb schon eine „zweite Rettung“ (nach der ersten im Jahr 2011) auf Portugal zukommen. Bisher ist aber doch alles gut gegangen, zur Freude der europäischen Partner und zur Freude der verbliebenen europäischen Sozialdemokraten, die in Portugal ein anderes als das übliche „neoliberale“ Regierungsmodell erkennen wollen.

António Costa – ein Meister der Selbstvermarktung

Der ewig strahlende Costa ist ein Meister der Selbstvermarktung. „Gute Politik bringt gute Resultate“, ließ er an diesem Wochenende auf dem Parteitag der portugiesischen Sozialisten verkünden. Die einflussreiche Wirtschaftsjournalistin Helena Garrido nennt seinen Stil „militanten Optimismus“. Der bekommt den Portugiesen nach den traurigen Krisenjahren unter Costas konservativem und eher nüchternem Vorgänger Pedro Passos Coelho ziemlich gut. Costas Sozialisten stehen in den regelmäßigen Wahlumfragen mit um die 40 Prozent so erfolgreich da wie lange nicht mehr. Und außerdem ist Optimismus ein nicht zu unterschätzender Wirtschaftsmotor.

Was die portugiesische Wirtschaft aber vor allem vorantreibt, ist Rückenwind aus dem Ausland. Der bläst so stark, dass ihn auch die Regierung regelmäßig unterschätzt. Ihre Vorhersagen für den Arbeitsmarkt werden Jahr für Jahr von der Realität übertroffen. Denn Jahr für Jahr kommen mehr Touristen ins Land als erwartet. Die Zahl der Hotelübernachtungen hat sich in zehn Jahren fast verdoppelt. Und weil das Gastgewerbe ein besonders arbeitsintensiver Sektor ist, kommen immer mehr Portugiesen in Lohn und Brot. Allerdings zu prekären Bedingungen.

Exporte ziehen an

Neben anziehenden Exporten und wachsendem Inlandskonsum ist der Touristenboom die Hauptstütze des derzeitigen Aufschwungs. Die Kehrseite des Erfolges sind die niedrigen Löhne, die hier gezahlt werden. Vier von zehn Neubeschäftigten erhalten gerade einmal den Mindestlohn: seit Anfang dieses Jahres 580 Euro im Monat. Zum Leben zu wenig, zum Sterben zu viel. Doch wenn sich Ministerpräsident Costa sozialdemokratische Politik zugute halten darf, dann in diesem Punkt: Bei seinem Amtsantritt betrug der Mindestlohn noch 505 Euro, seitdem hat er ihn schrittweise erhöht. Dem Arbeitsmarkt hat das nicht geschadet, ganz im Gegenteil.

Ansonsten ist auch Costas Spielraum für soziale Wohltaten gering. Seit Beginn der demokratischen Ära nach der Nelkenrevolution 1974 hat der portugiesische Staat mehr Geld ausgegeben, als er eingenommen hat. Bis zur Jahrtausendwende wuchs immerhin zugleich die Wirtschaft: zwischen 1987 und 2000 mit durchschnittlichen Raten von 4 Prozent. Doch noch vor der internationalen Finanzkrise kehrte in Portugal Flaute ein und die Wachstumsraten fielen in den Jahren bis 2007 auf durchschnittlich 1 Prozent. Dann schlug die Rezession zu. In der Folge sammelte sich eine gewaltige Staatsschuld an, die 2014 mehr als 130 Prozent des BIP ausmachte. Allein wegen der dafür regelmäßig fälligen Zinszahlungen kann sich keine Regierung große Sprünge erlauben.

Für Investitionen im Bildungs- und Gesundheitssektor fehlt das Geld

Wenn Costa trotzdem behauptet, „das Blatt der Austerität“ gewendet zu haben, übertreibt er. Dass er sich einige wenige, erfolgreich vermarktete Großzügigkeiten herausnehmen konnte, verdankt er den international gesunkenen Zinsen. Seit 2011 fielen Portugals durchschnittliche Finanzierungskosten von 4,1 auf heute 3 Prozent. Costa nutzte das Geschenk der Märkte einerseits brav für die weitere Haushaltssanierung, andererseits für höhere Renten und Beamtengehälter. Für dringend nötige Investitionen im Gesundheits- und Bildungswesen fehlt aber noch immer das Geld. Nach anderthalb verlorenen Jahrzehnten zu Beginn dieses Jahrhunderts ist Portugal heute eines der armen Länder der Europäischen Union mit einem – nach Kaufkraft gewichteten – Prokopfeinkommen von gerade einmal 77 Prozent des EU-Durchschnitts, etwa auf der Höhe Lettlands, Litauens und der Slowakei (die sich alle gerade daran machen, Portugal zu überflügeln). Ein richtiges Wirtschaftswunder wird noch etwas länger brauchen.