Gleich mehrere Bürger in Böblingen zeigen sich irritiert über ihre Unterlagen zur Europa- und Kommunalwahl. Manche Unterlagen seien falsch, andere doppelt verschickt worden. Ein Bürger entdeckt sein Geburtsdatum durch das Fenster des Umschlags. Was ist dran an den Vorwürfen?
Wählen zu gehen ist ein Grundpfeiler der Demokratie. Durch die Existenz von Bundestags-, Landtags- oder in Kürze auch Europa- und Kommunalwahlen sind Bürgerinnen und Bürger hierzulande in großer Regelmäßigkeit aufgerufen, ihre politische Meinung kundzutun und ihr Kreuzchen an der entsprechenden Stelle zu machen. Ebenso routiniert sind beim Thema Wahlen in der Regel Stadtverwaltungen, die für das Verschicken der Wahlbenachrichtigungen und -unterlagen und die Durchführung der Urnengänge zuständig sind.
In Böblingen beschweren sich nun gleich mehrere Bürger darüber, dass von dieser zu erwarteten Routine im Rathaus wenig zu spüren sei. Einer, der sich ebenso irritiert wie verärgert zeigt, ist Adolf Waldbauer. Der Böblinger wendet sich an unsere Zeitung und berichtet: „Ich habe auf die Wahlbenachrichtigung hin die Briefwahlunterlagen angefordert. Darin waren Stimmzettel und Wahlschein. Als ich beim Rathaus nachgefragt habe, wo die Europawahlunterlagen seien, wurde gesagt, dass diese noch kommen.“
Falsche Unterlagen zugesandt?
Wenige Tage später, so Waldbauer, seien bei ihm erneut Unterlagen zur am 9. Juni anstehenden Gemeinderats-, Kreistags- und Regionalwahl eingetroffen. „Die Briefwahlunterlagen für die Europawahl waren nicht dabei“, sagt Waldbauer. Ein weiterer Anruf im Rathaus habe ergeben: „Eine Mitarbeiterin sagte mir, dass ich ja ins Rathaus kommen könne, um die Unterlagen abzuholen, wenn sie nicht bald ankommen. Das empfand ich als unverschämt“, sagt der Böblinger.
Bei diesen Beschwerden blieb es nicht, auch andere Bürger berichten von scheinbar fehlenden oder doppelt verschickten Dokumente. Kurios mutet der Fall von Oliver Boldt zunächst an. Ein Foto, das unserer Redaktion vorliegt, zeigt: Das Adressfenster des Umschlags, in denen die Briefwahlunterlagen enthalten sind, zeigt nicht nur Name und Adresse, sondern auch das Geburtsdatum des Empfängers. „Mit großem Entsetzen habe ich festgestellt, dass mein Geburtsdatum sichtbar war. In Kombination mit Name und Anschrift stellt dies ein erhebliches Risiko für die Privatsphäre der Wähler dar“, sagt Boldt. Auch sein Mann erhielt kurz darauf seine Briefwahlunterlagen mit dem „offensichtlich falsch dimensionierten Umschlag“, wie Boldt schreibt.
Liegt ein Datenschutzverstoß vor?
Im Falle eines Verlusts der Briefwahlunterlagen könnten diese Daten missbraucht werden, um Identitätsdiebstahl, Betrug oder andere Straftaten zu begehen, sagt Oliver Boldt und fügt an: „Privat bin ich sehr darauf bedacht, persönliche Daten, insbesondere das Geburtsdatum, nicht preiszugeben. Man nutzt sichere Passwörter, aktiviert die Zwei-Faktor-Authentifizierung und ist vorsichtig beim Teilen von Informationen in sozialen Medien.“ Umso schockierender sei es, dass „ausgerechnet bei einer Wahl, bei der es um die Ausübung eines Grundrechts geht, so fahrlässig mit sensiblen Daten umgegangen wird“, betont der Böblinger.
Handelt es sich also um eine Reihe von Wahlpannen oder sind die Fälle anders gelagert? Gianluca Biela, Pressesprecher der Stadt, ist um Aufklärung bemüht. Eine Häufung, wie die Anzahl der Zuschriften an unsere Zeitung vermuten lässt, sei nicht zu beobachten. „Die Stadt hat keine Kenntnis von gehäuften Fällen vermeintlich fehlerhafter Wahlunterlagen. Wir können jedoch beobachten, dass der getrennte Versand der Briefwahlunterlagen für die Kommunalwahlen einerseits und der Unterlagen für die Europawahl anderseits für Verwirrung sorgt“, erläutert Biela. Dass die Kommunalwahlunterlagen einige Tage vor denen zur Europawahl kommen, sei keine Böblinger Besonderheit. „Dies ist eine zulässige Vorgehensweise und hat durch Druckerei und Versand rein organisatorische Gründe“, sagt der Rathaussprecher.
Mehrere Wahlen gleichzeitig sind eine Herausforderung
Dennoch vermutet das Rathaus hier den Quell der Irritation. Die Unterlagen für die Gemeinderats-, Kreistags- und Regionalwahlen werden in einem Rutsch, die zur zeitgleich stattfindenden Europawahl zu einem anderen Zeitpunkt versandt. Und wenn Wahlberechtigte dann auch noch Briefwahl beantragen, erhielten sie zweimal Post – genauso wie Adolf Waldbauer es erlebt hat. „Im ersten großen Umschlag finden sich der Stimmzettel und der Wahlschein. Im zweiten, der nach Beantragung der Briefwahlunterlagen eintrifft, sind dann nochmals die Stimmzettel und die entsprechenden Briefumschläge enthalten“, so Gianluca Biela.
Auch Oliver Boldts Sorge um den Schutz der Privatsphäre kann der Böblinger Stadt-Pressesprecher entkräften: „Das Geburtsdatum ist nur sichtbar, wenn man den Umschlag auf den Kopf stellt und das Papier weit nach unten durchrutschen kann. Da die Unterlagen aber von der Druckerei direkt zur Post gelangen und durch die Post nur in namentlich beschriftete Briefkästen eingeworfen werden, ist das Risiko gering.“ Ein Fehlverhalten könne nicht festgestellt werden, „insbesondere auch deswegen, weil die Stadtverwaltung die vorgegeben Vordrucke der Bundes, - Landes, - und Kreiswahlleitung verwendet sowie sich an die Kuvertierempfehlungen hält“, so Biela. Neue Verfahrensweisen oder Umschläge seien dieses Jahr auch nicht ausprobiert worden.
Falls Bürgerinnen und Bürger ein Problem mit ihren Wahlunterlagen feststellen, bittet die Stadt um Kontaktaufnahme via Email an wahl@boeblingen.de oder persönliche Vorsprache beim Bürgeramt, Neues Rathaus, Ebene U 2, Marktplatz 16. Informationen zu den anstehenden Wahlen am 9. Juni finden sich auf der Website der Stadt Böblingen unter: www.boeblingen.de/start/buergerservice/wahlen2024.html