Um ihrem Mann auch im Tode nahe zu sein, hat Meryem Üge-Evren auf dem Nagolder Friedhof ein Doppelgrab gekauft. Doch aufgrund eines Fehlers der Stadt Nagold liegt in ihrem Grab nun eine andere Verstorbene. Eine Lösung ist nicht in Sicht.
Stille auf dem Nagolder Friedhof. Ein paar Vögel zwitschern und begleiten die trauernden Angehörigen, die ihre Verstorbenen besuchen und sich um die Gräber kümmern. In einem Bereich sitzt Meryem Üge-Evren – weinend.
Sie hat im vergangenen Sommer ihren Mann an den Krebs verloren. Nach langem Leiden und mehreren Chemotherapien in Deutschland verbrachte er seine letzten Tage in der Türkei. Dort hoffte das Ehepaar auf mehr Zeit, doch Ali Evren stirbt.
Um den letzten Wunsch des 48-Jährigen zu erfüllen – dass er seinen Kindern und seiner Frau Meryem nah ist – überführt die damals 49-Jährige seinen Leichnam nach Deutschland. In Nagold kauft sie ein Doppelgrab und beerdigt ihren Mann nach 23 Jahren Ehe im August 2023. Eines Tages will sie neben ihm in Frieden ruhen.
„Halt stopp, das ist mein Grab!“
Als Meryem Üge-Evren im Februar die Beerdigung einer Bekannten besucht, tritt der Schock ein: Das offene Grab ist ihr eigenes. Die Trauernden auf dem Friedhof sind dabei, eine andere Verstorbene neben ihren Mann zur Ruhe zu legen. „Halt stopp!“, schreit Üge-Evren, „Bitte stopp! Das ist mein Grab.“ Aber die Angehörigen der Verstorbenen nehmen sie nicht richtig wahr, und fahren mit der Beerdigung fort.
Warum, kann sie sich immer noch nicht erklären. „Das ist ein wahres Trauma für mich“, sagt sie mit Tränen in den Augen. Sie könne es immer noch nicht richtig fassen.
Trauma verfolgt sie jeden Tag
Üge-Evren hatte selbst Krebs; leidet noch unter anderen Krankheiten. Und ihre Gesundheit habe sich seit dem Vorfall im Februar nur verschlechtert. Das Trauma suche sie immer wieder heim, tagsüber und nachts. Für sie und ihre Kinder sei der vergangene Monat nur schwer erträglich gewesen: „Jedes mal, wenn ich das Grab besuche, erlebe ich diesen schrecklichen Tag wieder.“
Noch an diesem für sie schrecklichen Tag ging sie zum Rathaus. Dort hätten sich die zuständigen Mitarbeiter des Bauamts bei ihr für den Fehler vonseiten der Stadt entschuldigt. Von Oberbürgermeister Jürgen Großmann – „er ist für mich nun mal der Vertreter der Stadt“, meint sie – sei noch keine Entschuldigung gekommen.
Nummerierung stimmte nicht überein
Die Stadt bedauere den Fehler sehr, erläutert Pressesprecherin Julia Glanzmann auf Anfrage unserer Redaktion. „Bei der Vergabe der Grabstellen stimmte versehentlich die Nummerierung einer Doppelgrabvormerkung mit dem Friedhofsplan nicht überein, so dass es in der Folge zu einer anderen Belegung der Grabstelle gekommen ist.“
Auch über einen Anwalt forderte sie deshalb eine schnellstmögliche Umbettung der Verstorbenen. Nach muslimischen Recht müsse dies geschehen. Denn ohne ihren Segen könne die Begrabene keinen Frieden finden. Sie habe mittlerweile mehrere muslimischen Theologen angefragt, die dies bestätigen. Passiert ist bis heute jedoch noch nichts, erzählt sie mit zitternder Stimme.
Lösung gestaltet sich schwierig
Sowohl vonseiten der Stadt, als auch von Üge-Evren wurde bereits versucht, eine andere Lösung zu finden. Der erste Vorschlag der Stadt: Die Wege zwischen den Gräbern zu verengen und so einen Platz für sie neben ihrem verstorbenen Ehemann zu schaffen. „Dort sollte ich dann dazwischen gequetscht werden“, sagt die Witwe. Der Platz dafür reiche allerdings nicht. Dann der Vorschlag, man könne sie über ihrem Mann beerdigen – das sei aber nach muslimischen Regeln nicht erlaubt, „solange es genügend Erde für ein eigenes Grab gebe“.
Für wen gilt die Totenruhe?
Also scheint die zuerst geforderte Umbettung die einzige Lösung zu sein. Für eine Umbettung ist allerdings die Zustimmung der Angehörigen notwendig. „Und die sind damit nicht einverstanden“, sagt Üge-Evren. Die Totenruhe dürfe nicht gestört werden.
Besonders entrüstet zeigt sich die 50-Jährige allerdings über den jüngsten Vorschlag der Stadt: Sie könne ja ihren Mann umbetten, die Stadt würde ein neues Doppelgrab zur Verfügung stellen: „Gilt die Totenruhe für ihn dann etwa nicht?“ Seit mehr als sieben Monaten ruht er in dem Grab und warte auf sie an seiner Seite. Für diese Umbettung wäre lediglich ihre Zustimmung notwendig.
Ihr Vorschlag: Die freien Plätze neben dem Grab öffnen und die im Februar Verstorbene über eine Metallplatte in das „richtige“ Grab ziehen. „Damit würde die Frau die Erde doch nicht verlassen und die Totenruhe nicht gestört“, meint sie. Doch die Stadt erläutert auf Anfrage unserer Redaktion, dass auch dies eine Störung der Totenruhe sei. Außerdem würde das einen nicht vertretbaren technischen Aufwand benötigen.
Eine Einigung und Lösung ist momentan für beide Seiten also leider noch nicht in Sicht.