Was mit dem Klärschlamm aus der Häldenmühle passieren soll, dazu gibt es unterschiedliche Auffassungen. Foto: Archiv (Werner Kuhnle

Mehrere politische Akteure fordern, bei der Phosphor-Rückgewinnung aus der Marbacher Kläranlagen auf eine regionale Lösung zu setzen – so wie Böblingen.

Steinheim/Marbach - Es führt kein Weg daran vorbei. Die Betreiber von Kläranlagen müssen den bei der Reinigung des Wassers anfallenden Schlamm künftig so aufbereiten lassen, dass der darin enthaltene, wertvolle Phosphor herausgefiltert wird. Das schreibt der Gesetzgeber vor. Bis 2029 muss die Umstellung erfolgt sein. An diese Vorgabe muss sich auch der Zweckverband Gruppenklärwerk Häldenmühle halten, dessen Verwaltungsspitze eindeutig eine Lösung favorisiert: die Entsorgung europaweit auszuschreiben. Doch das ist nicht nach jedermanns Geschmack.

 

Grünen fehlt die Garantie

Kritik an dem Prozedere gab es unter anderem aus den Reihen des Steinheimer Gemeinderats. Das Gremium in der Urmenschstadt, die wie Erdmannhausen, Benningen, Murr, Großbottwar und Marbach dem Verband angehört, hat sich zwar mit großer Mehrheit hinter die europaweite Ausschreibung gestellt, doch die Grünen lehnen diesen Weg entschieden ab. Denn damit bestehe die Gefahr, dass der Schlamm auf weiten Strecken durch Europa gekarrt wird, monierte der Fraktionssprecher Rainer Breimaier. „Das wäre für uns ein absolutes No-Go“, sagte er. Entkräftet würden diese Bedenken auch nicht durch den Hinweis der Verbandsverwaltung, dass man mit diesem Modell in der Vergangenheit gute Erfahrungen gemacht habe und regelmäßig Firmen aus der erweiterten Region den Zuschlag für die Verwertung erhielten. Das sei doch beileibe keine Garantie, dass es bei dieser Ausschreibung wieder so laufe, betonte Breimaier.

Konkreter Vorschlag in Marbach

Einen Schritt weiter als die Steinheimer Grünen ging jetzt sogar die Gruppe Puls in Marbach, wo der Sachverhalt ebenfalls umstritten ist und die Entscheidung vor einigen Monaten vertagt worden war. Puls hat bei der Wiedervorlage des Themas gefordert, sich dem Zweckverband Klärschlammverwertung Böblingen anzuschließen. Damit ließen sich mögliche lange Transportwege verhindern. Die SPD äußerte wie auch Puls Bedenken, dass der Preis auf dem freien Markt „in astronomische Höhen“ steigen könne und regte an, 2022 noch mal zu diskutieren, wenn mehr Infos vorhanden sind. Schließlich muss die Entscheidung dem Regierungspräsidium erst 2023 mitgeteilt werden. Puls und SPD blitzten mit ihren Anträgen aber bei der Mehrheit der Kollegen im Gemeinderat ab, der seine Vertreter damit wie die Kollegen in Steinheim mit dem Mandat in die entscheidende Zweckverbandssitzung am 1. Dezember schickt, für eine europaweite Ausschreibung zu stimmen.

Ein Argument für diese Ausschreibung ist, dass man durch sie nicht so lange gebunden sein wird. Was mit sich bringt, dass man einfacher auf die sich abzeichnenden, neuen Technologien bei der Phosphor-Rückgewinnung umsteigen kann. Das wäre beim Anschluss an Böblingen schwieriger geworden. Zudem spiele die Länge des Transportweges in der Ausschreibung über die CO2-Emission eine Rolle, heißt es vom Ingenieurbüro.

Boot in Böblingen ist fast schon voll

Fraglich wäre es ohnehin gewesen, ob sich der Zweckverband der Kläranlage Häldenmühle noch an dem Projekt in Böblingen hätte beteiligen können. Dort soll zwar bis 2027 eine Anlage gebaut werden, über die jährlich bis zu 120 000 Tonnen trockener Schlamm verwertet, daraus nachhaltige Energie generiert und Phosphor zurückgewonnen wird. Doch das Boot ist in Böblingen fast schon voll. 77 Kommunen und Verbände haben sich in dem Zweckverband Klärschlammverwertung bereits zusammengeschlossen. Das Verwertungskontingent der geplanten Anlage sei zu 85 Prozent ausgeschöpft, konstatiert Benjamin Lutsch vom Landratsamt Böblingen. „Es ist geplant, die restlichen Anteile im Laufe des Jahres 2022 zu vergeben. Hierzu wurden Gespräche mit kommunalen Betreibern aufgenommen, die ihr Beitrittsinteresse erklärt haben“, führt er aus. Kein K.-o.-Kriterium für eine Mitgliedschaft sei es, wenn Bewerber nicht aus dem Landkreis stammen. Längst eingeklinkt haben sich Besigheim oder Mundelsheim.

Lange Transportwege sollen vermieden werden

In einem ersten Schritt seien „die Betreiber kommunaler Kläranlagen aus den Landkreisen, die dem Zweckverband Restmüllheizkraftwerk Böblingen angehören, berücksichtigt worden, da der Zweckverband sein Werksgelände in Böblingen für den Bau der Klärschlammverwertungsanlage zur Verfügung stellt“, erläutert Lutsch. „Die Öffnung für Interessenten aus weiteren Landkreisen wurde neben der politischen und/oder abfallwirtschaftlichen Verbundenheit auch von der Transportentfernung zur geplanten Anlage abhängig gemacht. Auf diese Weise sollen unökologische Transportwege vermieden werden“, führt er weiter aus.

Ziel der kommunalen Lösung sei nicht, Gewinne für Anteilseigner zu erzielen. Vielmehr solle der Klärschlamm umweltfreundlich verwertet und nachhaltig Phosphor rückgewonnen werden.

Der Böblinger Weg

Die Anlage
Gebaut wird die Anlage zur Klärschlammverwertung in Böblingen auf dem Werksgelände des Zweckverbands Restmüllheizkraftwerk. Dadurch ließen sich unter anderem bei Personal und Verwaltung sowie der Nutzung von Werkstätten oder Sozialräumen Synergieeffekte erzielen, erklärt Benjamin Lutsch, Pressesprecher des Landratsamts Böblingen. „Für die Verwertung der Klärschlämme ergeben sich so Kosten, die absehbar unter dem Marktpreis liegen können“, berichtet er.

Verzahnung
Dank der Verzahnung der Anlagen auf dem Gelände könnten teils auch „völlig neue“ Umweltprojekte angegangen werden und der Standort so zu einer „beispielhaften Anlage für nachhaltige und klimaschützende Nutzung von Abfällen und Klärschlamm ausgebaut werden“. Es würden unterm Strich nicht nur Rohstoffe zurückgewonnen, „sondern auch umweltfreundlich Wärme und Strom für die Städte Böblingen und Sindelfingen erzeugt, die das Nutzungspotenzial der Fernwärme sowohl ökologisch als auch wirtschaftlich nachhaltig ausbauen können.“

Risiken Die Verwaltung des Zweckverbands Gruppenklärwerk Häldenmühle weist allerdings darauf hin, dass solche interkommunalen Lösungen nicht ohne Risiko seien. Man begebe sich in eine langjährige Partnerschaft. „Dadurch kann je nach Marktsituation ein hohes Kostenrisiko im Vergleich zum freien Markt entstehen“, heißt es in der Vorlage zur nächsten Sitzung des Gremiums.