Margarita Broich als Mutter und Ulrich Noethen als Vater in „Aufbruch“ Foto: Kost/WDR

Mit dem Film „Aufbruch“ knüpft der WDR an den vor acht Jahren gezeigten Zweiteiler „Teufelsbraten“ an: Eine hochbegabte junge Frau kämpft sich aus ärmlichsten Verhältnissen heraus.

Köln - Vor acht Jahren hat der WDR mit „Teufelsbraten“ eine Geschichte erzählt, die in den tiefen Fünfzigerjahren spielte und dennoch sehr aktuell war: Ein hochintelligentes Mädchen aus denkbar ärmsten Verhältnissen wollte sich nicht mit der Rolle abfinden, die ihm vorbestimmt war. Der Zweiteiler basierte auf dem biografischen Roman „Das verborgene Wort“ der Lyrikerin Ulla Hahn und beleuchtete die Kehrseite einer noch heute als „Wirtschaftswunder“ verklärten Zeit. Abgesehen vom für rheinische Ohren äußerst gewöhnungsbedürftigen Dialekt-Imitat zeichnete sich „Teufelsbraten“ durch ausgezeichnete darstellerische Leistungen und eine äußerst wirkungsvolle Bildgestaltung aus; gerade das Szenenbild hatte großen Anteil daran, dass der Film eine enorme Authentizität ausstrahlte. Und schließlich gab es noch eine Entdeckung zu feiern: Anna Fischer, zum Zeitpunkt der Dreharbeiten 21, gelang dank ihrer formidablen Leistung im zweiten Teil als 16-jährige Titelheldin Hildegard der endgültige Durchbruch; sie wurde gemeinsam mit Ulrich Noethen (als Vater), Autor Volker Einrauch, Regisseurin Hermine Huntgeburth, Ausstatterin Bettina Schmidt und Kameramann Sebastian Edschmid mit dem Grimme-Preis ausgezeichnet.

Für die Fortsetzung konnten die Verantwortlichen exakt dasselbe Team zusammenstellen. „Aufbruch“ (ebenfalls nach Hahn) orientiert sich stilistisch am Zweiteiler, zeichnet die Umstände aber nicht mehr ganz so extrem wie „Teufelsbraten“. Bestes Beispiel dafür ist die Figur der Großmutter (Barbara Nüsse), im Zweiteiler noch eine vom typisch bigotten rheinischen Katholizismus geprägte Frau mit fundamentalistischen Ansichten; sie war es auch, der Hildegard die Bezeichnung „Teufelsbraten“ verdankte. In der Fortsetzung ist sie zwar nicht gerade zur freundlichen Oma mutiert, aber längst nicht mehr so extrem. Der Vater ist nach wie vor verschlossen, doch bei weitem nicht mehr der Nachkriegs-Choleriker aus dem ersten Film. Auch die Welt der Familie Palm hat sich gewandelt: Sie lebt immer noch in armen Verhältnissen, aber Ausstattung und Kamera lassen ihre Wohnung längst nicht mehr so abweisend und finster wirken.

Die dreißigjährige Anna Fischer spielt mühelos und glaubhaft die 17-jährige Hilla

Die größte Verblüffung gelingt jedoch Anna Fischer: Die Schauspielerin ist mittlerweile dreißig und knüpft dennoch nahtlos an ihre Rolle von damals an. Die Handlung spielt in den frühen Sechzigern. Hildegard, die sich schon im zweiten Teil Hilla genannt hat, ist nun ein 17 Jahre alter „Backfisch“, und weil sich Fischer diese Rolle mit Haut und Haar angeeignet hat, lässt sie keinerlei Zweifel aufkommen, dass sie trotz des großen Alterunterschiedes die perfekte Besetzung ist. Dank der Unterstützung durch den verständnisvollen Pfarrer (Markus John) kann Hilla das Gymnasium besuchen, was für die damalige Zeit eine seltene Ausnahme war. Ein Studium jedoch, wie Hilla es anstrebt, war praktisch unmöglich, arme Familien konnten sich das schlicht nicht leisten; ein Teufelskreis vererbter Armut, an dem sich auch über fünfzig Jahre später nicht viel geändert hat.

Fast dokumentarisch erzählen Einrauch und Huntgeburth, wie sich Hilla gegen den stillen Widerstand der Familie ihren Weg erkämpft. Gerade die Mutter (Margarita Broich) versteht nicht, warum sich die Tochter nicht damit begnügt, eine „gute Partie“ zu finden. Tatsächlich hat Hilla einen Verehrer, der bereit wäre, ihr die Welt zu Füßen zu legen. Leisten könnte er sich das allemal: Godehard (Daniel Sträßer) ist der Spross einer schwerreichen Kakaodynastie. Hilla ist zunächst angetan von seinen Avancen und natürlich auch überwältigt vom Reichtum der Familie, schämt sich jedoch ihrer eigenen Herkunft. Außerdem will sie ihren Weg selbst bestimmen. Deshalb gibt sie dem jungen Mann schließlich den Laufpass, was die Großmutter mit dem Stoßseufzer „Hauptsache unberührt“ kommentiert. Dabei bleibt es jedoch nicht: In der bedrückendsten Szene des Films steigt Hilla auf dem Heimweg von der Nachhilfe spätabends zu Fremden ins Auto, wird vergewaltigt und wie ein kaputtes Spielzeug weggeworfen.