Manguins „Siesta“ in der Staatsgalerie Stuttgart Foto: Museum

Pierre Bonnard, Henri Matisse, Edouard Manet, Vincent van Gogh, Paul Cézanne, Félix Vallotton oder Odilon Redon – klingender könnten die Namen der Künstler kaum sein, deren Werke die Privatsammlung Arthur und Hedy Hahnloser-Bühler versammelt. Zu bestaunen sind sie jetzt in Stuttgart.

Stuttgart - „Das Meer ist da, das Boot aber nicht“, sagt das Mädchen Motja in Valentin Katajews russischem Jugendbuch „Es blinkt ein einsam Segel“. „Sie legte die Hand wie von ungefähr auf Petjas Schulter und kicherte leise. Aber da nahm der Maler einen Tropfen weiße Farbe auf die dünne Pinselspitze und setzte genau in die Mitte des Bildes auf das glänzende Blau des eben erst gemalten Meeres ein schönes plastisches Komma. ‚Das Segel‘, flüsterte Motja begeistert.“

Eben solche Begeisterung wird in den nächsten Wochen ein Bild des französischen Malers Odile Redon bei den Besucherinnen und Besuchern der Staatsgalerie Stuttgart auslösen. Redons „Das rote Boot“, um 1910 entstanden, zählt zu den Hauptwerken der zwischen 1906 und 1936 in Winterthur entstandenen Privatsammlung Arthur und Hedy Hahnloser-Bühler. Kaum ist das Meer wirklich als Meer zu sehen, kaum das Boot als Boot. Und doch ist nicht nur all dies da, sondern es gibt weit mehr als das.

Redon schafft eine eigene Nähe, indem er die Ferne respektiert – die reale seines Motivs wie auch den zeitlichen Abstand zur erfolgreichen Auflösung des Gegenstandes in den 40 Jahre zuvor ebenso bestaunten wie abgelehnten Farbfeiern des Impressionismus. Redons Boot ist noch ein solches, aber schon ein purer Bote all der Begriffe und Empfindungen, die sich mit dem Thema verbinden. In allem zurückhaltend, verdichtet sich hier jenes spannungsvolle Glück der Stille, das die Sammlung Hahnloser-Bühler durchzieht und das bei deren Gastspiel im Stirlingsaal der Staatsgalerie Stuttgart konsequent bestätigt wird.

Die „Villa Flora“ in Winterthur wird zur Kunstbühne

Die Sammlung verdankt sich dem Engagement der früh in Münchner Künstler- und Literatenkreisen verkehrenden, aus einer Industriellen-Familie stammenden Malerin und Gestalterin Hedy Bühler und des Augenarztes Arthur Hahnloser. Hedy Bühlers Erbe ermöglicht 1898 den Kauf der Villa Flora in Winterthur. Eine Augenklinik wird eingerichtet, und Hedy Hahnloser darf man sich getrost als Organisatorin des Ganzen vorstellen.

1906 eröffnen sich neue Perspektiven: In Winterthur entsteht eine neue Augenklinik, und Arthur Hahnloser arbeitet nun außer Haus. Die Villa Flora kann umgestaltet werden. 30 Jahre folgen, in denen „Die Flora“ mehr und mehr zur Kunstbühne wird, die weit über das gesellschaftlich geschätzte Salonleben hinausgeht. Die Faszination Flora bleibt, doch als Arthur Hahnloser 1936 in Nizza an einem Herzinfarkt stirbt, markiert dies für Hedy Hahnloser-Bühler das Ende des offiziellen Sammlungsaufbaus.

Das Interesse gilt nun der Sicherung des Schatzes, und dieser umfasst nicht nur die Sammlung selbst, sondern gerade auch ihren angestammten Ort, die Villa Flora. Mehr als 50 Jahre können die Familienzweige nach Hedy Hahnloser-Bühlers Tod 1952 in Kooperaton auch mit der Stadt Winterthur den ganz eigenen Zauber bewahren. 2014 aber beschließt die Stadt nicht etwa die geplante Sanierung und den Ausbau der Villa Flora, sondern scharfe Sparmaßnahmen. Die gleichberechtigt den unter anderem mit Maillol-Plastiken bestückten Garten einschließende Kunstbühne schließt. Seither ist die Sammlung auf Reisen – in wechselnder Besetzung und mit wechselnden Verbindungslinien zu den jeweiligen Ausstellungsorten.

100 Gemälde und Skulpturen von 15 Künstlern

100 Gemälde und Skulpturen von 15 Künstlern sind nun in Stuttgart versammelt. Es ist die letzte Station, bevor die Sammlung wieder in die Schweiz zurückkehrt. Nicht aber nach Winterthur, sondern nach Bern. Und die Freude im dortigen Kunstmuseum, geplagt ja noch immer von der strittigen Erbschaft der Sammlung Gurlitt, ist berechtigt groß. So unmäßig Gurlitts Vermächtnis zu einer Sensation hochgeschrieben wurde, so unverbraucht ist im öffentlichen Bewusstsein die Sammlung Arthur und Hedy Hahnloser-Bühler.

Der Leihvertrag ist auf 15 Jahre ausgelegt. Mit einer Ausstiegsklausel, die ganz im Sinne der weiter engagierten Erben ist: Kommen Sanierung und Erweiterung der Flora, kehrt die Sammlung nach Winterthur zurück.

Zurück aber in den Stirlingsaal der Staatsgalerie. Gedeckte Wandfarben und Flora-Tapetenmuster sichern einen ruhigen Auftritt (erarbeitet von Angelika Affentranger-Kirchrath, Christiane Lange und Neela Struck), der mit dem Blick auf die Familie beginnt – und in Felix Vallotons „Die Kinder“ von 1912 einen ersten Höhepunkt bietet. Es folgen die ersten Sammlerschritte – hin zu seinerzeit aufstrebenden Schweizer Künstlern. Und der Blick auf Giovanni Giacometti (Vater von Alberto) erlaubt der Staatsgalerie einen ersten „Link“: Giacomettis „Die Spieler“ (1909), aus der Sammlung Borst in die Staatsgalerie gekommen, ergänzt das private Kunstengangement. Bei Ferdinand Hodler setzt sich dieser Dialog fort. Fast zeitgleich setzen Hedy und Arthur Hahnloser-Bühler sowie der Galerieverein der Staatsgalerie auf Hodlers Serie „Genfersee mit Savoyer Alpen“ von 1905. Überraschend nun: Das Bild der Privatsammlung ist deutlich kühner.

Mit Odile Redons „Boot“ nimmt die Schau buchstäblich Fahrt auf, und wieder ist es im direkten Vergleich ein Hahnloser-Bühler-Werk, das besticht: Henri Toulouse-Lautrecs „Rothaarige Frau“ (1897). Wie Toulouse rückt auch Edouard Manet durch die mit den durch das Paar Hahnloser-Bühler gepflegten Freundschaften mit Zeitgenossen wie Valloton als Wegbereiter in den Blick. Und hier nun entfaltet sich erstmals die Kraft des Dialogs von privater und öffentlicher Sammlung. Manets „Amazone“ (1883) aus Winterthur und das 1966 erworbene Stuttgarer Manet-Schlüsselwerk „Der Maler Monet in seinem Atelier“ sind allein schon den Besuch der Ausstellung wert.

Félix Valloton als Analyst des Farbraumes

Nun aber steigert sich die Spannung noch: Über einen Pierre-Bonnard-Exkurs (mit dem wunderbaren „Spiegeleffekt oder Der Badezuber“ von 1909) geht es in eine mit Höhepunkten gespickte Doppelarena für Félix Valloton. Der Maler, der zeitweise an Tuberkulose erkrankten und gegen ihre Schwächen ankämpfenden Hedy Hahnloser-Bühler in immer aufmunternder Freundschaft verbunden, ist in überragender Weise als Analyst des Farbraumes erlebar: in „Der lila Hut“ (1907), in dem feinen „Modell auf dem Ateliersofa sitzend“ (1904) und natürlich in „Die Weiße und die Schwarze“ (1913), jenem Skandalbild, in dem eine angekleidete Farbige eine nackte Weiße eher abschätzig betrachtet.

Nicht weniger spannend ist aber der Blick hinaus in die Landschaften Vallotons. Innen- und Außenraum dieses Malers hat man als Besucher dieser Schau sozusagen im Spiegelblick – bis hin zu der eher unscheinbaren Szenerie „Der Karren“ (1911), in der allerdings das eigentlich benannte Motiv deutlich hinter die bloßen Farbformationen zurücktritt. Es ist noch eine Landschaft – und schon konkrete Malerei.

Ein Innenraum aber zieht bereits wieder magisch an – Henri Matisses „Bei der Toilette“ aus der Staatsgalerie-Sammlung leitet als Blickfang ins Finale dieser Ausstellung über. Zuvor aber wird man Edouard Vuillards fast zärtlichen „Akt im Salon mit gestreiften Tapeten“ (1905) nicht übersehen - schön in Dialog gebracht auch mit Vuillards Staatsgalerie-Werk „Frühstückstisch“ (1900).

Über Henri Manguins wohl noch einmal eine „Flora“-Szene spiegelndes Bild „Die Siesta“ (1905) geht es zu den letzten Höhepunkten, die zugleich den Bogen zu der parallel im Graphikkabinett der Staatsgalerie (Steib-Bau) präsentierten Ausstellung „Ans andere Ende der Welt – Japan und die Europäischen Meister der Moderne“ (zu sehen bereits von diesem Freitag an) schlagen. „Stehende Odaliske“ und „Nizza, schwarzes Heft“ von Henri Matisse bekrönen das in „Aufbruch Flora“ erlebbbare spannungsvolle Glück der Stille .

Bis zum 18. Juni. Di bis So 10 bis 18 Uhr, Do 10 bis 20 Uhr. 12 Euro (ermäßigt 10 Euro), der Katalog kostet 19,90 Euro. Mehr unter: www.staatsgalerie.de