Die Geschehnisse am Kunstturnforum Stuttgart sollen weiter aufgeklärt werden. Foto: Pressefoto Baumann/Hansjürgen Britsch

Das Kultusministerium des Landes setzt auf eigene Wege in der Aufarbeitung des Turnskandals. Nun ist klar, welche Expertinnen und Experten das System Turnen unter die Lupe nehmen sollen.

Die Aufarbeitung des Turnskandals mit Schwerpunkt am Kunstturnforum Stuttgart läuft – wie genau, darüber wird auch an diesem Donnerstag wieder öffentlich diskutiert werden. In der Sitzung des Bildungsausschusses im Landtag von Baden-Württemberg. Klar ist mittlerweile: Das Land gibt sich mit dem Konzept des Deutschen Turner-Bundes (DTB) nicht zufrieden und geht eigene Wege.

 

Theresa Schopper, die Landesministerin für Kultus, Jugend und Sport, hat im Interview mit unserer Zeitung bestätigt, dass ihr Ministerium den Landessportverband Baden-Württemberg (LSVBW) gebeten hat, tätig zu werden. Der Sport-Dachverband hat sich daher seit Wochen um die Gründung einer Arbeitsgruppe bemüht, die nun steht.

„Will man erreichen, dass sich das Fehlverhalten in Zukunft nicht wiederholt, müssen diejenigen Strukturen identifiziert werden, die für das Fehlverhalten von Personen prägend sind“, heißt es in einem Entwurf, der unserer Redaktion vorliegt. Auf Nachfrage ergänzt Ulrich Derad, der Hauptgeschäftsführer des LSVBW: „Wir erhoffen uns maßgebliche Erkenntnisse für die Zukunft.“ Die Frage war bislang: von wem?

Nun steht das Expertengremium, das durchaus hochrangig besetzt ist.

  • Klaus Pflieger war einst württembergischer Generalstaatsanwalt.
  • Natalie Barker-Ruchti ist Sportwissenschaftlerin an der Universität im schwedischen Örebro. Die Schweizerin betreibt seit vielen Jahren Forschung im Bereich Frauenkunstturnen. Sie war vor einigen Jahren maßgeblich an der Aufarbeitung des Turnskandals in ihrer Heimat beteiligt.
  • Carmen Borggrefe ist Professorin für Sportwissenschaft an der Universität Stuttgart. Einer ihrer Forschungsschwerpunkte ist die Soziologie im Spitzensport.
  • Klaus Cachay lehrte als Professor für Sportwissenschaft an den Universitäten in Tübingen und Bielefeld und hat zu Strukturen im Spitzensport geforscht.
  • Clemens Binninger ist ein früherer Polizeioberrat. Als Mitglied des Deutschen Bundestages war er einst Vorsitzender des Zweiten NSU-Untersuchungsausschusses. Er soll den Vorsitz der AG übernehmen.

„Mit der Auswahl dieser hochqualifizierten Persönlichkeiten sehen wir eine neutrale Aufarbeitung gegeben“, sagt Ulrich Derad. Die Gruppe sei zudem frei in ihrer Entscheidung, personelle Ergänzungen vorzunehmen.

Die Frage nach der strafrechtlichen Relevanz der aktuellen Fälle am Kunstturnforum in Stuttgart (KTF) muss weiterhin die Staatsanwaltschaft beantworten. Diese hat mittlerweile nicht nur Räumlichkeiten am KTF und Büros des Schwäbischen Turnerbundes (STB) durchsucht, sondern war mit Beamten auch am Olympiastützpunkt und beim LSVBW – beide Institutionen gelten als mögliche Zeugen im Rahmen der Ermittlungen. Die nun zusammengestellte Arbeitsgruppe „sehen wir nicht als Konkurrenz, sondern als Ergänzung zu den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft“, sagt Derad, der sich „eine Systemanalyse“ erhofft.

Nach der Aufarbeitung als erstem Schritt geht es für die AG im zweiten Schritt vor allem darum, mögliche Konsequenzen zu erarbeiten. „Wir wollen einen Prozess einleiten, der zu strukturellen Veränderungen führt“, sagt Derad, „wir wollen maßgebliche Erkenntnisse gewinnen, wie man es künftig besser machen kann.“ Das gelte für das Turnen in Baden-Württemberg, aber „womöglich auch bundesweit und in anderen Sportarten“.

Den Turnverbänden im Land (STB und BTB) seien die Pläne bereits vorgestellt worden. „Beide Verbände haben zugesichert, die nötigen Zugänge zu gewähren und Türen zu öffnen“, versichert der LSVBW-Hauptgeschäftsführer. Im April soll die Arbeit der Gruppe beginnen, Ende Juli ein erster Bericht vorliegen.

Dieser wird dann dem Ministerium für Kultus, Jugend und Sport vorgelegt, auf Wunsch auch den Turnverbänden, dem Parlament und dem Bildungsausschuss. Der dann womöglich wieder in öffentlicher Sitzung debattiert.