Um Waldhonig herzustellen, sammeln Bienen keinen Nektar, sondern Honigtau; die süßen Ausscheidungen bestimmter Läuse. Imker versuchen bei Waldbegehungen herauszufinden, ob und wo eine gute „Waldtracht“ zu erwarten ist. Wir waren dabei.
Imker Frank Mikley holt weit aus und lässt seinen Besenstil, an den er vorn ein Zusatzgewicht montiert hat, mit voller Wucht auf den Tannenzweig nieder schnellen. Sein Vereinskollege Manfred Riedel hält darunter das Klopftuch: einen Holzrahmen, über den ein helles Leintuch gespannt ist. Riedel fängt damit alles auf, was Mikley mit seinem Stock aus den Zweigen schleudert: reichlich Tannennadeln, drei kleine Spinnen sind dabei, ein paar größere Milben, sogar ein Tausendfüßler krabbelt übers weiße Tuch und sucht das Weite.
Den fliehenden Insekten schenken die beiden Männer vom Backnanger Imkerverein heute keine Aufmerksamkeit. Ihre Konzentration gilt einzig einer sechsbeinigen Spezies, die dunkelgrün, mit kleinen roten Augen im Tuch hockt: die Grüne Tannenhoniglaus. Sie ist die Gesuchte und Gefundene. „Da ist eine“, sagt Riedel. „20 bis 30 Stück pro Quadratmeter Zweigfläche wären Ende Mai ideal.“ Doch so viele sind es heute nicht.
Bienen sammeln Honigtau
Riedel und Mikley ziehen an diesem Freitagabend mit rund zwei Dutzend anderen Imkern am Wanderparkplatz am Riesberg im Murrhardter Wald durchs Dickicht. Gemeinsam wollen sie sich einen Eindruck verschaffen, wie es in diesem Jahr mit dem Läusebefall im Wald aussieht und ob mit einer guten Waldhonigernte zu rechnen ist.
Denn den aromatischen, dunklen Waldhonig gibt es nur, wenn viele Faktoren zusammenkommen. Vor allem müssen bestimmte Lausarten – überwiegend Rindenläuse (Lachniden), die dauerhaft auf Fichten und Tannen leben und sich in manchen Jahren extrem vermehren können – in Massen auftreten und ihren Honigtau hinterlassen. Die kleinen Insekten bohren die Leiterbahnen der Pflanzen, sogenannte Siebröhren, an. Dann saugen sie den nährstoffreichen Saft auf, filtern ihn und scheiden überschüssigen, zuckersüßen Honigtau als wasserklare Tröpfchen hinten wieder aus. Diese Tropfen bleiben an den Läusen selbst, den Nadeln oder Blättern hängen und sind äußerst beliebt bei Ameisen, Wespen und Bienen. Letztere sammeln die kalorienreiche Flüssigkeit, um daraus den seltenen und nicht nur bei Imkern beliebten mineralstoffreichen braunen Waldhonig oder den fast schwarzen Tannenhonig herzustellen.
Wird 2024 ein guter Jahrgang?
Der Wald honigt nicht in jedem Jahr. „Es ist ein bisschen wie beim Wein“, sagt Manfred Riedel, der seit 50 Jahren Bienen hält. „Es gibt gute und schlechte Jahrgänge, in manchen Jahren erntet man allerdings auch gar nichts.“ In guten Jahren können die rund 50 000 Bienen pro Volk täglich mehrere Kilos Waldhonig eintragen. Dieses Jahr ist der Imker aus Aspach-Rietenau guter Dinge, dass die sogenannte Waldtracht gut ausfällt, wenngleich sich die Grüne Tannenhoniglaus (Cinara pectinatae) am Riesberg ebenso rar macht wie etwa die Rotbraune bepuderte Fichtenrindenlaus (Cinara pilicornis) oder die Stark bemehlte Fichtenrindenlaus (Cinara costata).
„Hier am Standort sieht es vielleicht nicht so gut aus“, sagt Riedel. „Aber ich habe an meinen Referenzbäumen fast an jeder kleinen Fichte schon Läuse gefunden.“ Kräftige Regenfälle könnten aber auch dieses Jahr noch erheblich Schaden anrichten und mitunter ganze Kolonien abwaschen. Insgesamt kann eine einzelne Stammmutterlaus im Laufe ihres Lebens viele Hunderte von Nachkommen haben.
Elektronische Waagen helfen mit
Während selbst unerfahrene Hobbyimker leicht erkennen können, welche Blüten wann blühen und wo sie ihre Bienenvölker platzieren sollten, ist es um einiges kniffliger, die richtigen Zeitpunkte und Standorte zu ermitteln, die eine erfolgreiche Waldhonigausbeute versprechen. „Es gibt neben den Waldbegehungen auch einen Zusammenschluss von Imkern, die die Wälder beobachten und sich austauschen“, sagt Frank Mikley, der neben dem Backnanger Verein auch bei den „Waldtrachtbeobachtern Sued“ Mitglied ist. Sie tragen ihre Erkenntnisse auf einer Homepage zusammen.
Manfred Riedel setzt beim Verdacht auf süße Beute auf den Einsatz seiner geflügelten Agenten und modernste Technik: „Wenn ich denke, dass ich einen geeigneten Standort gefunden habe, stelle ich erst mal nur ein Volk dort ab, das sind dann meine Spione – meine Bienen wissen genau, ob und wo sie etwas finden“, erklärt er. Unter den Bienenstock stellt Riedel eine elektronische Waage, die ihm per Handynetz und App die neuesten Daten aus dem Bienenstock übermittelt: Gewicht, Temperatur und die Aktivität des Bienenvolkes lässt sich so in Echtzeit verfolgen. „Nimmt das Gewicht im Stock am Ende des Tages deutlich zu, wird aufgestockt. „Dann weiß ich, dass es sich lohnen kann, dort weitere Völker aufzustellen.“ Auch das Ende der Waldtracht lässt sich so einfacher erkennen. „Früher hatte man vielleicht einen freundlichen Landwirt, der einem nach seiner täglichen Tour das Gewicht gemeldet hat, sodass man nicht immer rausfahren musste.“
Intensiver Sound und würziger Duft
Bienenstöcke dürfen die Imker übrigens nicht ungefragt im Wald platzieren. „Man muss immer erst den Eigentümer um Erlaubnis fragen“, erklärt Riedel. Außerdem achten bestimmte Imker als sogenannte Wanderwarte mit darauf, dass nicht zu viele Bienenstöcke in einem Gebiet aufgestellt werden.
Manfred Riedel begeistert nicht nur der besondere Waldhonig, den seine fleißigen Bienenvölker ihm täglich bescheren. „Der allerschönste Moment für mich ist, wenn sich die Flugbienen im Morgengrauen vom Stock aus auf den Weg in den Wald machen“, sagt der Imker. „Ich liebe diesen intensiven Sound und auch den würzigen Duft, den sie bei ihrer Rückkehr verbreiten.“
Ob 2024 tatsächlich so ein guter Jahrgang wird, wie erhofft, das wissen der Bienenfan Riedel und seine Imkerfreunde spätestens im September – dann endet die Jagd nach dem süßen Saft des Waldes.