Eine gefällte Weißtanne wird abtransportiert. Foto: dpa

In Schwenningen stand über vier Jahrhunderte Deutschlands größte Tanne – mit über 50 Meter Höhe.

In Schwenningen stand über vier Jahrhunderte Deutschlands größte Tanne – mit über 50 Meter Höhe und einem Umfang in Brusthöhe von mehr als sechs Metern. Um sie rankt sich eine Erzählung Georg Herrigels, die zu vorurteilsfreier Mitmenschlichkeit erziehen will. Ins „Schwäbische Sagenkränzlein“ gelangt, hätte sie der deutschen Geschichte eine Wendung zum Guten geben können. Schließlich war die Weißtanne zur ewigen Erinnerung an einen von Schwenningern gemordeten Ray („Zigeunerkönig“) gepflanzt worden, den sie als einen der Ihren hätten begreifen müssen: ein Mahnmal zur Toleranz im „Hölzle“, das dicht an der Landesgrenze lange ein beliebter Lagerplatz des landfahrenden Volkes war.

Vom Umbau der Welt zur Heimat handelt „Der Hölzlekönig“: davon, wie ,anheimelnd‘ es ist, Verachteten und Verfolgten ein Heim zu bieten, eine Heimat im guten Geist der Aufklärung. Den einzigen Unterschied, den der Autor zwischen Menschen jeder Herkunft gelten lässt, ist der moralische – mag auch manches Klischee vom schwer nur sich bezähmenden „Zigeuner“ ihm nicht fremd sein.

Zum Inhalt: Gut und Böse stehen sich zur Zeit Herzog Ulrichs im Kampf gegenüber, im Großen wie im Kleinen: „Hie gut Württemberg alle Wege“; da die habsburgische Übermacht. Auf der einen Seite unter den Sinti der heimtückische schwarze Nick, ein Betrüger, Dieb und Mörder; auf der anderen Seite sein guter Neffe Janos, den er, ein Säugling noch, nach Ermordung der Eltern im Wald aussetzt und der trotz aller Widerstände in Schwenningen Aufnahme findet.

Brav scheinen die Bürger Schwenningens zu sein, doch vermögen sie sich von Vorurteilen nicht zu lösen; weit überragt sie ihr Vogt Hans Schlengker an Herzensgüte und Weisheit: Janos lässt er als Michael taufen, erzieht ihn wie einen Enkel, bildet ihn zum Ratschreiber aus. Wohl weiß er darum, wie gefährdet die Zukunft seines Zöglings bleibt, wenn nach seinem Tod die schützende Hand fehlt. Beklagenswert ist das Schicksal eines Außenseiters der Gesellschaft, der Unrecht erleidet und sich nicht wehren darf, will er nicht gänzlich ausgestoßen sein. Doch als die Liebe zu seiner Ziehschwester unerhört bleibt, stört der Eifersüchtige beim Schützenfest den Frieden. Zum Fest ist auch seine Sippe in die Gegend gezogen; seine Großmutter erkennt im Hölzle den Unglücklichen als rechtmäßigen König und verstößt den schwarzen Nick. Der legt wutentbrannt Schwenningen in Schutt und Asche. Die Bürger aber lässt hitzige Rachsucht zu Mördern an ihrem unschuldigen Mitbürger werden: Dem „Zigiinar“ haben sie nie ganz getraut. Seine Großmutter pflanzt auf dem Grab die Tanne, die zum Hölzlekönig heranwachsen wird: dem Enkel zur Ehre, den Schwenningern zur Mahnung, besonnen zu handeln, den Menschen im Menschen zu suchen, sich nicht von Vorurteilen (ver)leiten zu lassen.

Solange die Lehre des „Hölzlekönigs“ beherzigt werde, solle das Deutsche Reich blühen, wünschte sich die alte Sinteza am Grabe ihres Enkels. Nach 1870 riss ein Sturm dem Baumriesen die zwei Hauptgipfel ab; 1915 knickte ihn ein Hagelsturm; 1941 brach der morsche Stamm in sich zusammen. Die Mahnung bleibt. Ein neues Bäumchen ist zu pflanzen. Der Spruch des Wochenendes kommt von Karl Müller aus Stuttgart: „Du gahscht net weiter, als mr de schuckt.“