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Leserin Gertrud Kremling schreibt: „In Freudenstadt, wo ich 1939 geboren bin, durfte man nach der Kirbe zum ,Speagla‘.“

Stuttgart - Leserin Gertrud Kremling schreibt: „In Freudenstadt, wo ich 1939 geboren bin, durfte man nach der Kirbe, das war der dritte Sonntag im Oktober, zum ,Speagla‘. Das hieß, man durfte damals die Äpfel, die noch an den Bäumen waren, meist einzelne, ungestraft ernten. Heute wohne ich in Böblingen, hier ist das Wort meinem Bekanntenkreis fremd. Haben Sie dafür eine Erklärung?“

Was unsere Leserin hier beschreibt, kommt des Öfteren vor. Viele schwäbische Begriffe findet man nur in ganz bestimmten Landstrichen. So ergeht es auch dem Wort „speglen“, schwäbisch gesprochen „schbäåglå“, das laut Fischers „Schwäbischem Wörterbuch“ westlich des schwäbischen Mittellandes, also etwa ab Rottenburg, und im südwestlichen Bereich im Gebrauch ist.

Unsere Leserin hat bereits beschrieben, was man mit „schbäåglå“ meint, doch können noch einige Eigenheiten angefügt werden. Allgemein geht man davon aus, dass mit dem 16. Oktober, dem sogenannten Gallustag, die Obst- und Weinernte weitgehend abgeschlossen ist, so dass danach Äpfel, Birnen, Zwetschgen und Trauben, die noch an den Bäumen bzw. an den Rebstöcken hängen, von jedermann mitgenommen werden dürfen. Dieses „Mitgehenlassen“ läuft nicht unter dem Begriff „Mundraub“, sofern es sich um eine geringe Menge handelt, die alsbald verbraucht ist. Eine vergleichbare Rechtsnorm findet sich im 5. Buch Mose: „Wenn du in deines Nächsten Weinberg gehest, so magst du Trauben essen nach deinem Willen, bis du satt bist, aber Du sollst nichts in Dein Gefäß tun.“ Früher, als es noch viele arme Leute gab, war das Zusammensuchen von Früchten aller Art ein wichtiger Beitrag für den Lebensunterhalt.

Untersuchen wir, woher der Begriff „speglen“ stammt. Die Quelle ist das lateinische Wort „speculari“ in der Bedeutung „umherspähen, auskundschaften, sich umsehen nach“. Eine Sinnverwandtschaft mit dem Verb „spähen“ liegt sehr nahe. Die Reichweite von „speglen“ erstreckt sich bis ins Elsass, wie im Elsässischen Wörterbuch bestätigt wird: „Wen man speglet und retzlet, noch dem Herbst, ist doben im land (Ober-Elsass) gewonheit, dass man ein glock luitet, da findt man hin und hër alle mol ein truibel.“ Dieses Zitat bedarf einiger Erklärungen: „Truibel“ wird dort die Traube genannt, „retzlen“ bedeutet „Nachlese halten nach der Ernte“, es ist somit ein anderes Wort für speglen. Zum Schluss eine Fülle von Synonymen zu „spegeln“, auch ein Beleg für die Wichtigkeit der Nachlese in der Vergangenheit: gallen (südöstlich davon, abgeleitet von Gallus), afterberglen, afteren, klubberg(l)en, druberglen, meislen (mòeslå), nachobs(t)en, nachstupflen, stupflen, stupflochen, stumpflochen. Und als Nachklang ein passender Spruch: „Auf Sankt Gallustag – nichts mehr draußen bleiben mag.“ Der schwäbische Spruch des Tages kommt von Imke Mehlhorn aus Waldenbuch: „Wenn jemand über kalte Hände klagt, sagt man: ,Mei Muater isch selber schuld, wenn’s mi an d’ Händ friert. Worom hot se mir koine Henschich gea!‘“Diesen Spruch gibt es auch in einer Vater-Version, erzählt von Leser Rolf Artmann aus Winnenden: „Die kleine Nici kam morgens frierend und schimpfend in die Schule: ,Des gschieht meim Vadder grad recht, dass mis an d’ Fenger friert, worom kauft der mir au koine Handschua!‘“

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