Bolando, das „andere Dorfgasthaus“, wie sich die Wirtschaft im Untertitel nennt, hat sich im dritten Jahr seines Bestehens nun endgültig etabliert. Foto: StN

Immer mehr Dorfkneipen machen dicht – doch es gibt auch eine Gegenbewegung.

Todtnau - Dass das Rössle „moderne Fremdenzimmer“ hat, wie die zerkratzte Tafel am Eingang verspricht, glaubt in Todtnau schon lange niemand mehr. Die Fenster sind blind, die Schindelfassade blättert, und der ganze Schwarzwaldhof duckt sich unter sein Walmdach, als wolle er sich vor den Zumutungen der Zeit verstecken. Doch es nützt alles nichts. Als die Wirtin vor ein paar Jahren ins Altersheim zog, hat das Dorfgasthaus dichtgemacht.

Wieder eines, muss man sagen. Denn so wie der Todtnauer Ortsteil Gschwend verlieren zurzeit auch andere Dörfer ihren geselligen Mittelpunkt. Wie viele, ist in keiner Statistik verzeichnet. Sicher ist nur, dass in rund 4000 der insgesamt 26.000 Gastro-Betriebe des Südwestens demnächst ein Generationswechsel ansteht.

Und weil auch Radomir aus Zagreb und Antonio aus Apulien immer seltener einspringen, ist der Trend eindeutig: Er rechne mit einer weiter „rückläufigen Entwicklung“, hat Landwirtschaftsminister Alex Bonde kürzlich einem besorgten Abgeordneten mitgeteilt.

Einfach nur Bier zu zapfen reicht nicht mehr

Die Ursachen wurden schon oft beschrieben: Ökonomische Zwänge, Strukturwandel, gewachsene Mobilität gehören dazu. „Das gesellschaftliche Leben hat sich insgesamt verlagert“, sagt Daniel Ohl vom Deutschen Hotel- und Gaststättenverband. Es ist doch so: Wo früher der Bauer nach dem Tagwerk auf zwei Schoppen beim Löwenwirt einkehrte, sieht man heute seinen Sohn nach Hause eilen. Die Familie wartet, außerdem muss der Landwirt am PC seinen EU-Förderantrag ausfüllen.

Braucht man den Dorfgasthof also gar nicht mehr? Ist der Bedarf ganz einfach verschwunden? Dass dies nicht stimmt, zeigen die Bemühungen in vielen kleinen Ortschaften, die Gastwirtschaften in die neue Zeit hinüberzuretten. „Das ist keine Elendsbranche, es gibt viele Beispiele, wo die Wirte den Laden wieder in Schwung bringen“, sagt Verbandssprecher Ohl.

Einfach nur Bier zu zapfen reicht allerdings nicht mehr. Die Gäste wollen gut essen oder sonst etwas Besonderes erleben: Musik, Theater, Wanderungen – alle möglichen Veranstaltungen lassen sich manche Wirte einfallen, um sich aus der Masse hervorzuheben. Im Bären in Schelklingen zum Beispiel gibt’s an jedem letzten Sonntag im Monat Volksmusik: „Aufspiela beim Wirt“ heißt das Projekt, das auch der Landesmusikrat unterstützt.

Einen Platz zu finden, ist Glückssache

Doch was, wenn sich partout kein Wirt finden lässt? Immer häufiger stellen sich die einstigen Gäste dann selbst an den Tresen. So wie im Café Goldene Krone in St. Märgen im Schwarzwald. „Wir sind jetzt 16 Frauen, jede bringt sich so ein, wie es ihre Zeit zulässt“, sagt Walburga Rombach, die Betriebsleiterin. Sie ist Mitglied der Landfrauen-Genossenschaft, die das frühere Hotel seit März betreibt – und damit eine Pionierin.

Wer hier am Wochenende einen Platz im Garten oder in der Gaststube sucht, muss Glück haben: Hunderte Freiburger pilgern vom Dreisamtal herauf, um die selbst gebackenen Torten, die Rindfleischsuppe oder den Käsemichel zu genießen, einen mit Blätterteig überbackenen Weichkäse aus dem Südschwarzwald.

„Wir verarbeiten nur regionale, saisonale und hochwertige Produkte“, erklärt Rombach das Erfolgsrezept: „Es gehörte schon viel Mut dazu, aber das Geschäft läuft gut.“

Viel Idealismus gefragt

Etwa zehn Kilometer südlich der Universitätsstadt macht eine andere Genossenschaft gerade dieselben Erfahrungen: „Wir stehen ausgezeichnet da, das Bolando boomt“, sagt Casimir Bumiller vom Aufsichtsrat. Das „andere Dorfgasthaus“, wie sich die Wirtschaft im Untertitel nennt, hat sich im dritten Jahr seines Bestehens nun endgültig etabliert.

Wo soll der Männergesangverein Eintracht auch sonst hin mit seiner Generalversammlung? Oder die Trachtenkapelle des Musikvereins? Oder der Kirchenchor? Es gibt in dem 2200-Seelen-Dorf ja nur noch eine Besenwirtschaft und ein China-Restaurant. „Unser Dorf hat wieder eine Wirtschaft“, freut sich Bumiller, „und das wissen auch die Einheimischen für Hochzeits- oder Geburtstagsfeiern zu schätzen.“

Ist die Genossenschaft also das Modell, um die Dorfgaststätten insgesamt zu retten? „Ja“, glaubt die St. Märgener Genossin Walburga Rombach, schränkt allerdings ein: „Nur, wenn der soziale Aspekt wichtiger ist als der wirtschaftliche.“ Denn eine goldene Nase könne man sich mit einer Genossenschaftskneipe nicht verdienen: „Es gehört schon viel Idealismus und Einsatzbereitschaft dazu.“

Neue Kneipe, neue Jobs

Auch Bolando-Aufsichtsrat Bumiller warnt vor überzogenen wirtschaftlichen Erwartungen: „Ja, wir verdienen Geld, aber wir müssen ja Schulden abbezahlen.“ Die Südbadener haben auch Lehrgeld gezahlt, denn es hat einige Zeit gedauert, bis sie gemerkt haben, dass sich auch eine Dorfwirtschaft nur professionell betreiben lässt. Bumiller: „Von offeneren Formen sind wir wieder abgekommen.“

Den eigentlichen Erfolg des Projekts sieht er darin, dass etwa 20 Menschen von dem Betrieb leben können und der kleine Ort Bollschweil wieder einen Mittelpunkt hat. Mittlerweile lässt sich sogar der eine oder andere Professor aus Freiburg sehen – schließlich gibt es auch regelmäßig Musik und Theater.

Das Modell hat sich mittlerweile herumgesprochen. „Wir haben permanent Anfragen dazu, denn die Situation der Dorfwirtschaften ist ja überall gleich schwierig“, sagt Bumiller, der einer von rund 250 Bolando-Genossen ist.

Aber sind auch die Menschen überall bereit, Geld und Arbeitskraft einzubringen? Gut möglich, dass dies an der Peripherie einer Hochschulstadt wie Freiburg leichterfällt als etwa auf der Schwäbischen Alb. Einige Hundert Euro muss einem Bürger die Kneipenrettung in der Regel schon wert sein. Das Landwirtschaftsministerium sieht darin jedenfalls ein übertragbares Beispiel, „wie mit neuen Ideen Dorfmittelpunkte erhalten oder wiederbelebt und die touristische Attraktivität einer Gemeinde verbessert werden kann“.

Appell an die Vereine

Ob mit oder ohne Genossen – der Deutschen Hotel- und Gaststättenverband verfolgt die ganze Diskussion hocherfreut. „Das zeigt doch, dass die Menschen merken, dass ihnen etwas fehlt“, lautet das Fazit von Verbandssprecher Ohl.

Damit diese Mechanik nicht erst dann in Gang kommt, wenn es zu spät ist, verbindet er damit einen Appell an die Vereine und die Verantwortlichen in den Dörfern: Wer die Wirtschaften erhalten wolle, müsse ihnen auch eine wirtschaftliche Perspektive geben. „Stattdessen ziehen ihnen die Vereinsfeste immer mehr die Butter vom Brot.“ Sein Appell lautet daher, die Dorfwirtschaften stärker in dörfliche Festivitäten einzubeziehen.

Und wie geht es weiter mit dem Rössle in Todtnau-Gschwend? Seit 21. März gehört auch diese Wirtschaft einer Genossenschaft. Angesichts der Kauf- und Umbaukosten von 600.000 Euro dürfte es manchem Genossen aber leicht schwindlig werden.