Die Arbeit ist hart und wenig einträglich, trotzdem würde Schäfer Harald Höfel wohl mit niemandem tauschen wollen. Foto: Bettina Bernhard

Wanderschäfer wandeln zwischen Schäferromantik und Existenzbedrohung. Unsere Autorin hat einen von ihnen mit zwei Hunden und vielen Schafen über die Alb begleitet.

Messstetten - Es ist kalt. Der Nebel kriecht fies unter die Kleidung und hüllt die ganze Welt in konturloses Grau. „Wunderbar“, sagt Schäfer Harald Höfel und bleibt vor einer eingezäunten Wiese stehen. „Kahl gefressen und üppig gedüngt, so mag es der Bauer.“ Von wegen romantisches Schäferleben, Harald Höfel ist pragmatisch und packt an. Gefühlt 1000 Meter Netz von einem leeren, alten Nachtpferch wollen eingesammelt werden. Das heißt: eiskalte Metallspieße aus der Erde zerren, akkurat falten, damit das Netz nicht verheddert, und mit dem immer schwereren Bündel zum nächsten Spieß. Am Ende friert keiner mehr. Dafür riecht alles nach Schaf.

Früher wurden solche Nachtpferche, in denen Wanderschäfer ihre Herde über Nacht „parken“, meistbietend versteigert, denn die Bauern profitierten von den vierbeinigen Rasenmähern und ihrem Dünger. Heute erlaubt das strenge Wasserschutzrecht weniger Schafe auf größeren Flächen, und die Bauern verpachten ihre Wiesen an die Ge-meinde, die sie dem Schäfer gegen Gebühr überlässt. Verköstigte einst der Bauer Schä-fer und Hund, bekommt heute der Bauer mal ein Fell oder eine Lammwurst vom Schäfer.

Im Stall begrüßen Mohr und Ben, die Hütehunde, den Schäfer überschwänglich, voller Vorfreude, dass es gleich rausgeht. Erst muss Harald Höfel aber nach dem Rechten schauen. Hier bekommen die Schafe Schur und Klauenschnitt, werden gewogen und bei Bedarf behandelt. Der Schäfer kontrolliert Euter und Zähne und schert die Hinterteile zwecks Optik und Hygiene. Außerdem verpasst er den Wollis die Ohrmarken. Im Stall wohnen nur Kranke, Böcke und Problemschafe, die gerne ausbüxen und damit die Moral der ganzen Herde schwächen.

Manche Schafe fühlen sich verantwortlich

„Da ist wieder so ein Kandidat“, sagt Höfel. Ein Schäfchen stromert außerhalb des Elektrozaunes herum und guckt treudoof. Dabei gehört eine Portion Intelligenz dazu, um den Zaun so zu lupfen, dass der Strom nicht böse auf die zarte Schnauze bruzzelt. „Das ist nicht das erste Mal“, sagt Höfel. Woher weiß er das? Für den Laien sieht ein Schaf wie das andere aus, doch Höfel kennt seine Pappenheimer. Zwar hat von den 750 Muttertieren und ebenso vielen Lämmern nur das alte Leitschaf Berta einen Namen, doch „wenn eines auffällt, präge ich mir Kopf und Körper ein und erkenne dann auch das Gesicht wieder“.

Der Rest der Herde ist inzwischen zusammengelaufen und schaut den Schäfer erwartungsvoll an. Sind die süß! Höfel klemmt die Autobatterie ab und öffnet den Pferch. Tausende klauenbewehrte Füßchen setzen sich in Bewegung. Der Schäfer dirigiert Berta, und tatsächlich folgen ihr alle brav und machen sich über die nächste Grünmahlzeit her. Jedes Jahr, erzählt der Schäfer, sind Schafe dabei, die sich durch Verantwortungsbewusstsein auszeichnen. Sie halten die Herde zusammen und folgen dem Schäfer. Das garantiert ihnen ein längeres Leben, denn alle anderen kommen früher oder später zum Schlachter. Lämmer sind nach etwa sieben Monaten schlachtreif, Mutterschafe haben nach einigen Jahren ausgedient.

Während die Schafe grasen, wird der Zaun zerlegt. Dann geht es los. Na ja, gehen klingt ein bisschen flott, denn die Wandergeschwindigkeit einer Herde orientiert sich an ihrer Fressgeschwindigkeit. Es sei denn, ein Ziel muss erreicht werden. Dann locken und treiben der Schäfer und sein Hundeteam die Herde auch mal schneller vorwärts. Im Sommer vespern sich die Schafe über ihre Sommerweiden am Truppenübungsplatz Heuberg. Im Herbst sind die Bauernwiesen rund um Messstetten dran, und die Winterweiden liegen am Bodensee, wo das Klima milder ist. Rund 250 Kilometer legen Schafe und Schäfer bei dieser Runde zurück, bis sie Mitte April zur Schur daheim sein müssen.

Kaum fünf Euro Stundenlohn

Eigentlich dürfen die nackigen Mutterschafe danach drei Wochen im warmen Stall bleiben. Doch die meisten drängen hinaus ins Freie. „Die wollen unter den Sternen schlafen“, vermutet Höfel. Überhaupt ist seine Herde pumperlgesund, seit sie das ganze Jahr über unterwegs ist. Sogar ihre Lämmer bekommen sie im Mai und Juni draußen, denn dort findet das einzelne Schaf mehr Platz und Ruhe für die Geburt. Kraftfutter gibt es keines, nur das, was die Natur bietet: Breit- und Spitzwegerich, Löwenzahn, Klee und Gras. Hübsche, aber giftige Herbstzeitlose lässt schlaues Schaf links liegen.

Die Sonne hat sich nun doch noch herausbequemt und lässt den bunten Herbstwald leuchten. Die Herde grast friedlich, die Hunde betteln um Streicheleinheiten, alles ist gut. „Freude an der Natur und den Tieren, die Ruhe bei der Arbeit und die Aufgabe, zu beschützen und zu bewahren“, antwortet Höfel auf die Frage, warum er seinen Beruf als Dreher an den Nagel hängte und die Weiterbildung zum Heimerzieher abbrach, um Schäfer zu werden.

Heile Schäferwelt also? Trotz Förderung durch die EU und das Land kommt der Schäfer auf kaum fünf Euro Stundenlohn. „Etwa 160 Euro pro Jahr kostet ein Schaf. Ein Lamm bringt 120 Euro“, rechnet Höfel vor. Die Wolle der süddeutschen Merinoschafe wird zwar geschätzt, doch ihr Preis misst sich am Weltmarkt, und den dominieren riesige Farmen in Übersee. Lammfleisch und -wurst, Felle und ein paar Wollprodukte bringen ein Zubrot, mehr aber auch nicht. Deshalb hält Höfel nur noch so viele Schafe, wie die Flächen zur Pflege brauchen. Ob er ans Aufhören denkt? Der Schäfer lässt seinen Blick über das Meer aus wolligen Rücken schweifen und seufzt zufrieden. Das heißt wohl so viel wie Nein.

Infos

Einen Tag mit dem Wanderschäfer kann man buchen bei Wanderschäfer Braun & Höfel GbR, Hartheimer Straße 2, 72469 Messstetten-Heinstetten, Telefon 0 75 79 / 13 34, www.der-wanderschaefer.de. Erwachsene zahlen 50 Euro (am Wochenende 80 Euro), Kinder bis 15 Jahre 25 Euro. Treffpunkt ist am Hof, Uhrzeit nach Vereinbarung. (beb)