Sorgenkind der Bahnindustrie: Der ICE-Neigezug muss wegen technischer Probleme seit Oktober 2008 ohne Neigetechnik fahren. Foto: dpa

Wer von Stuttgart aus auf der Gäubahn nach Zürich fährt, sitzt drei Stunden im Zug. Ob die schnellen ICE-Züge mit Neigetechnik jemals wieder eingesetzt werden, ist offen.

stuttgart - stuttgart - Das Drama begann 2008. Bei einer Routineuntersuchung im ICE-Werk München wurden bei einem ICE T – so heißen die Neigezüge im Fachjargon – millimetertiefe Risse an einer Achse entdeckt. Seit dem 23. Oktober 2008 dürfen die Triebwagen nur noch mit abgeschalteter Neigetechnik fahren. Auf Anweisung des Eisenbahnbundesamtes muss die Bahn seither die Achsen der 67 ICE-Neigezüge spätestens alle 21.000 Kilometer per Ultraschall auf mögliche Risse untersuchen. Zuvor war die Kontrolle alle 30.000 Kilometer vorgeschrieben.

Die verschärfte Anordnung hatte zur Folge, dass zwischen Stuttgart und Zürich seit dem 21. März 2010 die ICE-T-Züge durch Intercity-Züge der Schweizer Bundesbahnen ersetzt werden. Denn auf der kurvigen Gäubahn kann der ICE T seine Höchstgeschwindigkeit von Tempo 230 nicht ausfahren. Nur aufgrund der Neigetechnik war er schneller als ein konventioneller Zug.

Seither klagen Bahnfahrer und Landespolitiker unisono darüber, dass die Attraktivität der Gäubahn gelitten hat. Landtagspräsident Guido Wolf (CDU): „Die Gäubahn ist in den letzten Jahren systematisch herunter gewirtschaftet worden.“ Zumal beim Fahrplanwechsel im Dezember 2012 auch die Samstagabendverbindung um 19.56 Uhr und der Frühzug am Sonntag um 7.58 Uhr nach Zürich gestrichen wurden. Andreas Schwarz von den Grünen schimpft: „Wir sind verärgert, dass die Bahn die ICE T abgezogen hat. Die Anschlüsse in Stuttgart und Zürich können nicht gehalten werden.“

„Auf den ICE T können wir nicht mehr setzen. Das ist eine gescheiterte Technologie“

Alle Fraktionen im Landtag fordern die Rückkehr des ICE T. Nur mit dem schnellen Kurvenflitzer und mit einem Ausbau des noch eingleisigen Abschnitts zwischen Horb und Hattingen kann das Ziel, das Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) anstrebt, erreicht werden: In 2:15 Stunden von Stuttgart nach Zürich zu kommen. Aktuell dauert die Fahrt mit dem IC drei Stunden. Ob es jemals dazu kommt, steht in den Sternen. Bahnsprecher Martin Schmolke muss auch fünf Jahre nach dem Auftauchen der Achsprobleme einräumen: „Bei der Neigetechnik ist nicht absehbar, wann sie wieder zum Einsatz kommt. Es gibt noch keine Lösung für die Probleme, und deshalb können sie auch nicht behoben werden.“ Gebaut hat den ICE T ein Konsortium aus den Firmen Siemens, Bombardier, DWA, Düwag und Fiat. Ob die Bahn die Hersteller in Regress nimmt, verrät Schmolke nicht. „Es wurde Stillschweigen vereinbart.“

Der SPD-Verkehrsexperte im Landtag, Hans-Martin Haller, hat die Hoffnung aufgegeben. „Auf den ICE T können wir nicht mehr setzen. Das ist eine gescheiterte Technologie.“ Sein FDP-Kollege Friedrich Bullinger dagegen hofft noch. Er plädiert dafür, die von Zürich kommenden Neigezüge nicht in Stuttgart enden zu lassen, sondern bis nach Nürnberg durchzubinden. „Dann wäre die Fahrt von Stuttgart nach Nürnberg in unter zwei Stunden möglich“, sagt er.

Auch beim geplanten Ausbau der Gäubahn hakt es. Zwischen Horb und Hattingen, wo die Strecke noch eingleisig ist, soll es drei sogenannte Doppelspurinseln geben. Für den Abschnitt Horb-Neckarhausen laufen die Entwurfs- und Genehmigungsplanungen. Laut Schmolke könnte die Finanzierungsvereinbarung für das zweite Gleis in diesem Abschnitt zwischen Bund und Bahn 2015 unterschrieben und anschließend gebaut werden. Für die Abschnitte Rottweil-Neufra und Rietheim-Wurmlingen sind aber noch nicht einmal die Planungen aufgenommen. Auch hier dämpft Haller die Erwartungen. Das Kosten-Nutzen-Verhältnis würde bei drei Doppelspurinseln nicht mehr stimmen. Er rät deshalb zu „einem Ausbau mit Augenmaß“.