Schon die Jüngsten wachsen mit Hörbüchern und anderen Audio-Inhalten auf. Derzeit gewinnt die Branche jährlich Millionen neue Hörer hinzu. Foto: dpa/Waltraud Grubitzsch

Bereits jeder Dritte nutzt Hörbücher, Hörspiele und Podcasts – der Zuspruch steigt rasant. Jetzt wollen die Verlage die Nutzerzahlen zu Geld machen.

Frankfurt - Die Buchbranche ist in diesen Tagen ganz Ohr, denn der boomende Audio-Bereich, jahrelang eher ein Anhängsel oder eine Nische des Buchmarkts, zeigt auf der Frankfurter Messe Präsenz wie nie zuvor. In einem neu geschaffenen Themenbereich stellen die Verlage Hörbücher, Hörspiele und Podcasts aus, aber auch vernetzte Lautsprecher und die technischen Voraussetzungen für die rasante digitale Verbreitung sind zu sehen. Und an einem Abend haben sich die führenden Anbieter und Verlage erstmals in einem schicken Club zusammengefunden, um sich selbst zu feiern. Die Botschaft ist: Wir verleihen dem stagnierenden Buchmarkt neue Impulse, unser Potenzial ist enorm.

 

Die jüngste Studie, die auf der Messe präsentiert wurde, hebt die Stimmung weiter an. Der Marktführer Audible hat sie von Kantar Emnid erstellen lassen. Demnach hat sich die Zahl der täglichen Hörer und Hörerinnen 2018 innerhalb eines Jahres auf knapp acht Millionen fast verdoppelt, im Vergleich zu 2016 sogar vervierfacht. Insgesamt nutzte jeder Dritte im Land in den vergangenen zwölf Monaten Hörbücher, Hörspiele und Podcasts, bei den unter 40-Jährigen sogar jeder Zweite. Für die Branche am erfreulichsten ist, dass die Hörer für sich immer mehr Nutzungssituationen entdecken. Sie hören in Auto, Zug und S-Bahn, an der Haltestelle und an der Supermarktkasse, beim Arzt und beim Sport oder zu Hause bei der Hausarbeit, zum Entspannen und Einschlafen. Voraussetzung sind Smartphone- und Kopfhörerboom, bessere Netzabdeckung und größere Datenpakete in den Handytarifen.

Kommt nach dem Binge-Watching das Binge-Listening – die Sucht nach dem Dauerhören?

Branchenexperten schätzen, dass der Anteil der Audio-Inhalte am neun Milliarden Euro starken Buchmarkt mittlerweile fünf Prozent erreicht – objektive Zahlen gibt es nicht, auch weil Marktführer Audible keinen Umsatz nennt. Klar aber ist, dass der Markt stark wächst. Hörbücher & Co. sind für viele nicht mehr aus dem Alltag wegzudenken. Zwei Drittel der regelmäßigen Hörer geben laut Studie an, dass Hörbuch, Hörspiel oder Podcast genauso süchtig machen können wie Bücher oder TV-Serien. Das Dauerglotzen von Serien sei unter Binge-Watching bekannt, sagt Audible-Manager Hendrik Gerstung. „Jetzt entwickelt sich das Dauerhören, das Binge-Listening.“

Den Trend gestaltet die Amazon-Tochter mit. Audible lässt für sein Abomodell, das 9,95 Euro im Monat kostet, 40 eigene Podcast-Reihen produzieren, um mit Prominenz wie Katrin Bauerfeind den Hörer enger an sich zu binden. Auch immer mehr Hörspiele werden – vergleichbar mit den Filmproduktionen von Amazon und Netflix – als Originalserien entwickelt. „Die heruntergeladenen Hörstunden haben wir so innerhalb von drei Jahren auf 180 Millionen verdoppelt“, sagt Gerstung. „Es ist eine aufregende Zeit – auch weil immer mehr Autoren und Schauspieler Audio als Chance für sich erkennen.“

Die Lauscherlounge führt Hörspiele sogar live vor Publikum auf

Tatsächlich gedeihen über Podcasts hinaus neue Formate. So führt der Hörspielverlag Lauscherlounge Hörspiele live vor Publikum auf und zieht damit Hunderte von Besuchern an. Zuletzt habe man „Dracula“ vertont, mit Schauspielern, Geräuschemachern und Musikern, heißt es. Vor allem aber verändern sich die Geschäftsmodelle. Während der CD-Verkauf stagniert oder leicht rückläufig ist, legt das Geschäft mit den Downloads und Streaming-Diensten deutlich zu.

Die größeren Verlage nutzen traditionelle Musik-Plattformen wie Spotify und Deezer, außerdem drängen nach dem Bonnier-Ableger Bookbeat zwei weitere schwedische Unternehmen mit eigenen Hörbuch-Flatrates auf den Markt. Die schwedischen Firmen sind mit ihren digitalen Hörbuch-Modellen Vorreiter in Europa und sehen vor allem in Deutschland großes Potenzial.

„Mit Streaming erreichen wir ein anders Publikum“, heißt es beim Argon-Verlag

Ob und wieweit die deutschen Verlage mit den neuen Portalen kooperieren beziehungsweise um eine angemessene Vergütung für ihre Inhalte streiten, ist in der Branche Glaubenssache. Der Argon-Verlag, einer der größten der Branche, hat sich dafür entschieden und macht bereits zwei Drittel des Umsatzes digital. „Mit Streaming erreichen wir ein anderes Publikum“, sagt Geschäftsführer Kilian Kissling. Bedenken, sich damit in Abhängigkeiten zu begeben, habe er nie gehabt. „Es ist die Pflicht eines Verlags, auf jedem Kanal zu sein.“ Ihm gehe es darum, möglichst viele Hörer an sich zu binden. „Jeden Hörer, den wir gewinnen, erhalten wir.“

Der Optimismus, so scheint es, kennt derzeit kaum Grenzen. Selbst beim eher zurückhaltenden Börsenverein des Deutschen Buchhandels äußert man sich geradezu enthusiastisch. All die neuen Plattformen und Nutzungsmöglichkeiten, dazu das unerschlossene Potenzial von Millionen Nichthörern: „Audio ist in allen Bereichen angesagt“, sagt Heike Völker-Sieber von der Interessengruppe Hörbuch. „Das deutet auf eine strahlende Zukunft hin.“