Sie kommen aus Osteuropa, Südeuropa, aus Afrika, Asien und von hier: Die Zahl der Menschen ohne Krankenversicherung wächst. Die Malteser kümmern sich um sie.
Die Zahl der Menschen, die keine Krankenversicherung haben, nimmt stetig zu. Das geht aus den Zahlen der Malteser Medizin Stuttgart hervor. So hat man in der Malteser-Arztpraxis an der Böheim Straße im Stuttgarter Süden im vergangenen Jahr 354 Patienten behandelt, gut 20 Prozent mehr als im Jahr davor. Die Zahl der Neupatienten wuchs um 28 Prozent auf 270, die der Behandlungsfälle um 30 Prozent auf 891. Und der Zuwachs hält an: Dieses Jahr waren es bis Mitte August schon 571 Behandlungen.
Das sind die bisher mit Abstand höchsten Werte und ein Mehrfaches dessen, was man nach dem Start der Einrichtung 2008 verzeichnet hatte. „Es gibt leider immer mehr Menschen ohne eine Krankenversicherung“, sagt Regine Martis. „Die Not wird größer, der Bedarf steigt bundesweit“, erklärt die Referentin für die ehrenamtlichen Sozialen Dienste des Hilfsdienstes in Stuttgart. Die Malteser Medizin für Menschen ohne Krankenversicherung (MMM) betreibt solche Einrichtungen in 20 Städten der Republik.
Viele Betroffene stammen aus Osteuropa
Die größte Gruppe sind EU-Ausländer, die in Stuttgart im vergangenen Jahr 40 Prozent der Neupatienten ausmachten. Diese stammen teils aus Südeuropa, zum größten Teil aber aus Osteuropa, insbesondere aus Rumänien und Bulgarien. „Das war schon immer die größte Gruppe“, sagt Regine Martis. In der Anfangszeit waren darunter auch viele Menschen aus Polen, heute nicht mehr. Seit die Arbeitnehmerfreizügigkeit im Rahmen der EU-Osterweiterung vor mehr als zehn Jahren wirksam wurde, sind die Zahlen gestiegen. Dabei handle es sich oft um Personen, die auf dem Bau, als Erntehelfer oder in der häuslichen Pflege arbeiteten, aber nicht angemeldet seien. „Das sind arme Menschen, die ausgenutzt werden und unsere Hilfe brauchen“, sagt die Referentin.
Aber auch die Gruppe der Hilfebedürftigen mit deutschem Pass, die 14 Prozent an den Neupatienten im Jahr 2024 ausmachten, ist im vergangenen Jahr sehr stark gestiegen. Dagegen sind deutlich weniger Betroffene aus afrikanischen Ländern behandelt worden (Anteil 19 Prozent). Auffallend ist die Zunahme der Patienten aus Asien (Anteil 19 Prozent), deren Zahl sich mehr als verdoppelt hat. Dies seien häufig Menschen aus Vietnam, insbesondere schwangere Frauen, die etwa in Restaurants oder Nagelstudios arbeiteten, aber ohne Anmeldung und oft ohne Aufenthaltstitel.
In dieser prekären Lage befindet sich rund ein Viertel aller Betroffenen, sie haben keinen gültigen Aufenthaltsstatus. EU-Ausländer haben dieses Problem zwar nicht, sind aber, wenn sie nicht arbeiten, auch nicht krankenversichert, so sie keinen Versicherungsschutz aus ihrem Heimatland mitbringen. Geflüchtete sind nicht unter den Patienten, sie sind über das Asylbewerberleistungsgesetz medizinisch versorgt.
Die Malteser Medizin hat im Lauf der Jahre ihr Behandlungsangebot an den wachsenden Bedarf angepasst. So begann man mit einer allgemeinärztlichen Sprechstunde von vier Stunden an einem Wochentag. Inzwischen sind es vier Sprechzeiten jeweils einmal die Woche. Vor zehn Jahren hat man eine spezielle gynäkologische Sprechstunde eingeführt. Frauen und zu einem beträchtlichen Teil Schwangere machen fast 60 Prozent der Patienten aus, gynäkologische Untersuchungen fast ein Drittel der Fälle. Dazu kommt alle vier Wochen eine kinderärztliche Sprechstunde. Vor einem Jahr hat man zudem ein zahnärztliches Behandlungsangebot aufgebaut.
Viele Erkrankte kommen erst spät
Im zahnärztlichen Bereich stehen Notfallbehandlungen bei häufig starken Zahnschmerzen im Zentrum. Überhaupt kämen die Menschen oft mit Erkrankungen „in einem fortgeschrittenen Stadium oder mit Komplikationen“ in die Praxis, erklärt Regine Martis. Diese reichen vom grippalen Infekt über chronische Krankheiten wie Diabetes oder Atemwegsprobleme bis hin zu akuten Fällen von Herzinfarkt, Schlaganfall oder fortgeschrittenem Krebs.
Auch wenn man viele Untersuchungen selbst machen könne wie in einer Hausarztpraxis, komme man doch immer wieder an Grenzen, erklärt Regine Martis. Nur: Wie sollen Menschen ohne Krankenversicherung von anderen medizinischen Einrichtungen weiter versorgt werden? Dafür gibt es eine Clearingstelle mit einer Fachkraft, die solche Fragen klärt. Im vergangenen Jahr habe man „von 52 Clearingfällen für 30 einen Kostenträger gefunden“, sagt die Malteser-Referentin, entweder eine Kasse, einen anderen Träger oder das Sozialamt. Die meisten Patienten aber seien „schnell wieder weg“. Manche gehen zurück in ihre Heimat, andere tauchen einfach nicht mehr auf.
Dass sie wenigstens eine klare Krankheitsdiagnose in der Tasche haben, dafür sorgt ein Team von mehr als 20 Personen. Darunter sind zwölf Ärzte, die in der Einrichtung der Malteser ehrenamtlich Dienst tun, fünf Allgemeinmediziner, drei Gynäkologen, ein Pädiater, ein Kardiologe, ein Orthopäde und ein Zahnarzt, die häufig schon im Ruhestand sind. Dazu kommt medizinisches Fachpersonal und zwei Koordinatorinnen. Finanziert wird die Einrichtung aus Spenden sowie aus Mitteln der Stadt Stuttgart, des Landes und der Diözese Rottenburg Stuttgart.
Das zahnärztliche Angebot, das für einen Projektzeitraum von fünf Jahren finanziert ist, haben die Bürgerstiftung und Mercedes-Benz möglich gemacht. Das unweit der Praxis gelegene Marienhospital fertigt dafür die Röntgenbilder, niedergelassene Zahnärzte liefern Material und Medikamente. Es werden weitere ehrenamtliche Helfer gesucht.