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Fast hätte der Däne Kurt Westergaard den Abdruck seiner Mohammed-Karikatur mit dem Leben bezahlt. Der Mordversuch hat eine heftige Debatte entfacht.

Köln/Hamburg - Fast hätte der Däne Kurt Westergaard den Abdruck seiner Mohammed-Karikatur mit dem Leben bezahlt. Der Mordversuch eines Islamisten hat eine heftige Debatte über den Umgang mit dem fundamentalistischen Islam entfacht.

Es ist eine grausige Vorstellung: Kurt Westergaard verbarrikadiert sich im Badezimmer seines Hauses, seine fünfjährige Enkelin sitzt allein im Wohnzimmer, und ein mit Axt und Messer bewaffneter Islamist hämmert an die Badtür, während er wirres Zeug über Rache und Blut ruft. Nach quälend langer Zeit kommt die Polizei und schießt den Bärtigen mit dem rasierten Schädel kampfunfähig.

Die Szene bestätigt einmal mehr alle Ängste im Westen vor dem fanatisierten Islam. Immerhin war Westergaards einziges Vergehen, dass er vor gut vier Jahren in der dänischen Tageszeitung "Jyllands-Posten" eine Karikatur veröffentlichte, die den Propheten Mohammed zeigte - mit einer Bombe statt eines Turbans auf dem Kopf.

Mag der Dachverband muslimischer Gruppen in Dänemark den Angriff auch verurteilt haben: Für den Zentralrat der Ex-Muslime in Deutschland steht fest, dass der versuchte Anschlag auf Westergaard kein Einzelfall war. Unserer Zeitung sagte dessen Vorsitzende Mina Ahadi: "Wir haben es mit einer islamischen Bewegung zu tun, die jede Kritik am Islam mit Terror und Mordaufrufen beantwortet. Das ist ein ernstes Problem, weil die Bewegung auch in europäischen Ländern Fuß gefasst hat."

Westergaard sei im Übrigen nicht die einzige Person, die in Europa bedroht sei, betont die Iranerin Ahadi. Die Frauenrechtlerin wurde 1981 in ihrem Heimatland zum Tode verurteilt und lebt jetzt in Köln. Auch sie selbst sei in Gefahr, genauso prominente Islam-Kritiker wie die Schriftsteller Günter Wallraff oder Ralph Giordano - oder andere, weniger bekannte Personen aus islamischen Ländern, die hier zum Beispiel in einem Buch auf Distanz zu ihrer Religion gegangen seien. Ebenfalls in Gefahr sei die Schuldirektorin, die sich gegen das Kopftuchtragen von Schülerinnen zur Wehr setze.

Der Direktor des Deutschen Orient-Instituts, Gunter Mulack, warnte allerdings vor einer kollektiven Beschuldigung von Muslimen. Er sprach gegenüber unserer Zeitung von "Einzeltätern, die sich in ihrem Glauben angegriffen fühlen". Für diese sei der Prophet Mohammed die "Lichtgestalt auf Erden, der man nacheifern muss". Und es gebe religiöse Eiferer, die alle, die das Mohammed-Bild durch Karikaturen beschädigt sehen, zur Rechenschaft ziehen wollten. Es wäre aber ungerechtfertigt, aufgrund des dänischen Vorfalls die Muslime insgesamt zu verurteilen. Mulack zieht eine Parallele zur Marien-Verehrung in manchen streng katholischen Gegenden: "Wir in Europa aber haben die Aufklärung gehabt, wir genießen Demokratie und Meinungsfreiheit, und unsere Religionen sind etwas angepasster."

Als Nährboden für den islamischen Fanatismus nennt Mulack - ehemaliger deutscher Botschafter in Pakistan und anderen islamischen Ländern - Moscheen in Europa mit radikalen Predigern, die Einzelne zur Rache anstiften würden. Der Vorwurf aber, es werde in Europa bewusst eine fünfte Kolonne des Islam herangezogen, sei völlig überzogen. Dass von dem Vorfall in Dänemark in der islamischen Welt insgesamt kaum Notiz genommen wurde, findet der Orient-Experte nicht weiter verwunderlich. "Wenn einer sein Bedauern ausdrücken würde, liefe er Gefahr, sich den Zorn der Radikalen zuzuziehen." Verständnis für den Anschlag habe es nach seinem Wissen in muslimischen Ländern aber auch nicht gegeben. Auf jeden Fall zeige die Tat, "dass wir das Thema viel mehr diskutieren müssen". So müsse man den Muslimen erklären, dass Selbstjustiz inakzeptabel sei.

Henryk M. Broder nimmt das versuchte Attentat auf den Zeichner Westergaard zum Anlass, mit dem Westen hart ins Gericht zu gehen. In einem längeren Beitrag für "Spiegel online" prangert der Publizist "westliche Dichter und Denker" an: Sie würden in Deckung gehen, "wenn es um den Schutz religiöser Gefühle" gehe. Er erinnert daran, dass im Jahr 2005 Millionen Muslime zwischen London und Jakarta gegen die Beleidigung des Propheten auf die Straße gegangen seien und die Todesstrafe für die Übeltäter gefordert hätten - doch kaum jemand (im Westen) hätte sich mit den dänischen Karikaturisten solidarisiert. Dagegen sei vor gut 20 Jahren - als Salman Rushdie wegen seines Romans "Die Satanischen Verse" mit dem Tod bedroht wurde - der Protest laut gewesen. Im Fall der Karikaturen sei, so Broder, betont worden, man müsse auf religiöse Gefühle anderer Menschen Rücksicht nehmen. "Das freilich war nur eine Ausrede, eine Art Mauseloch der Angst", schreibt Broder. "Denn zwischen der Rushdie-Affäre und dem Karikaturen-Debakel war einiges passiert: 9/11, die Anschläge von London, Madrid, Bali, Jakarta, Djerba." Vor dieser Drohkulisse sei es vernünftiger und vor allem sicherer erschienen, "Respekt" vor religiösen Gefühlen zu bekunden, als auf dem Recht auf freie Meinungsäußerung zu bestehen. Broders Resümee: "Die Fatwa gegen Salman Rushdie ist immer noch in Kraft, der Mordanschlag gegen Kurt Westergaard war nicht der erste Versuch, ein Todesurteil zu vollstrecken, dem keine Straftat zugrunde liegt. Der Islam mag in der Theorie eine ,Religion des Friedens' sein, die Praxis sieht anders aus."

Ist der Islam aber wirklich eine Religion, die Gewalt befördert? Der renommierte Islamwissenschaftler Peter Heine antwortet auf diese Frage mit einem eingeschränkten, differenzierten Ja: "Der Islam ist eine universalistische Religion, er erhebt einen Anspruch darauf, den Menschen in seiner Gesamtheit zu lenken und zu leiten. Es gibt im Koran und anderen Texten auch Aufrufe zur Gewalt gegen die Feinde Gottes. Als wie wichtig diese Stellen dann interpretiert werden, ist abhängig von politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Umständen, die sich jeweils ändern können."

In Dänemark waren die Reaktionen auf die Tat des 28-jährigen Somaliers mit mutmaßlichen Verbindungen zu El Kaida von Entsetzen geprägt. Der dänische Ministerpräsident Lars Lökke Rasmussen sprach von einem Angriff "auf unsere offene Gesellschaft". Rasmussen führt eine Regierungskoalition, die von der ausländerfeindlichen dänischen Volkspartei gestützt wird. Die Anklage gegen den Somalier lautet auf versuchten Mord. Er wird zudem verdächtigt, in terroristische Aktivitäten in Ostafrika verwickelt zu sein. Zunächst bleibt er für vier Wochen in Untersuchungshaft.

Die Deutsche Bischofskonferenz erklärte: "Wir verurteilen jede Art von Anschlag." Und die Organisation Reporter ohne Grenzen forderte eine harte Bestrafung des Täters. "Einige Muslime haben die Bilder Westergaards möglicherweise schockiert, doch es gibt für solche Gewalt und Intoleranz keine Rechtfertigung."

Jedenfalls hat sich für Westergaard das Leben seit gut vier Jahren dramatisch verändert. Damals hatte er den Propheten Mohammed als finsteren Gesellen mit gezündeter Bombe im Turban gezeichnet. Seine Meinung geändert hat der heute 74-Jährige seitdem nicht. "Ich bin zu alt und starrköpfig, um mich noch zu beugen", sagte er einmal. "Fanatiker haben mich bedroht und zum Tode verurteilt, nur weil ich meine Arbeit getan und dänische Grundwerte verteidigt habe." Er hat sich damit abgefunden, dass ihn "diese Sache" bis an sein Lebensende verfolgen werde. Auf Fragen nach dem Hintergrund für seine Karikatur und elf weitere Mohammed-Zeichnungen in der dänischen Zeitung "Jyllands-Posten" antwortet Westergaard: "Es muss wohl richtig sein, dass man eine der fürchterlichsten Bedrohungen auf der Welt kommentiert." Terroristen bekämen "nun einmal ihre Munition vom Islam". Die Verantwortung dafür, Muslime in aller Welt auf die Straße gebracht zu haben, weist er zurück: "Der Zusammenstoß zwischen beiden Kulturen wäre auf jeden Fall gekommen. Unsere materiell überlegene westliche Welt wird ihn gewinnen."

Westergaard, der mehrfach Morddrohungen erhalten hatte, wurde nach dem Vorfall vom Neujahrstag an einen unbekannten Ort gebracht. Immer mehr Menschen in Dänemark befürchten nun, dass das Verhältnis zwischen den Einheimischen und den muslimischen Zuwanderern noch schlechter wird.