Sanitäter beklagen wachsende Aggressivität, auf die sie an Einsatzorten stoßen Foto: dpa

Mit Attacken, Übergriffen Beleidigungen müssen Rettungskräfte bei ihren Einsätzen immer häufiger rechnen. Zahlen wurden bisher nicht erhoben, jedoch soll das Thema Konfliktlösung in die Ausbildung aufgenommen werden.

Mit Attacken, Übergriffen Beleidigungen müssen Rettungskräfte bei ihren Einsätzen immer häufiger rechnen. Zahlen wurden bisher nicht erhoben, jedoch soll das Thema Konfliktlösung in die Ausbildung aufgenommen werden.

Stuttgart - Wenn Alfred Brandner an früher denkt, wird ihm ganz warm ums Herz. „Da sind wir manchmal sogar bewirtet worden, wenn wir an den Einsatzort gekommen sind“, erinnert sich der Mann aus Schwäbisch Gmünd, der seit über 20 Jahren im Rettungsdienst arbeitet. Gute alte Zeit, denn heute ist das anders. „Tätliche Übergriffe auf uns nehmen ständig zu“, sagt Brandner.

Er hat das selbst schon mehrfach erlebt. Dabei seien die erkennbaren Gewaltszenarien, etwa große Schlägereien, weniger das Problem. „In solchen Fällen ziehen wir uns geordnet zurück und warten auf die Polizei“, so Brandner. Gefährlich werde es vor allem dann, wenn es vorher nicht abzusehen sei. „Ich war bei einem Notfall. Dort lag ein Betrunkener unterm Tisch. 150 Kilo schwer. Und plötzlich geht der zum Angriff über“, erzählt der Rettungsassistent.

Brandner kritisiert, dass die Mitarbeiter der Rettungsdienste in solchen Situationen oft unvorbereitet seien. „Man muss sich schützen und zur Not jemanden fixieren können, bis die Polizei kommt“, sagt er. Das sei bisher kein wesentlicher Ausbildungsinhalt, weder beim bisherigen Rettungsassistenten noch beim neuen Notfallsanitäter.

„Respekt und Achtung sinken flächendeckend“

Beim Deutschen Roten Kreuz bestätigt man die wachsende Aggressivität. „Respekt und Achtung sinken flächendeckend“, sagt Udo Bangerter, Sprecher des Landesverbandes Baden-Württemberg. Dieses Phänomen betreffe nicht nur den Rettungsdienst, sondern „sämtliche gefühlten öffentlichen Institutionen“. Beleidigungen seien an der Tagesordnung. Verletzungen und ärztliche Behandlungen der Mitarbeiter seien aber bisher „zum Glück selten“. Die allgemeine Zunahme der Aggressivität, „besonders wenn Alkohol oder Drogen im Spiel sind“, bleibe auch den Rettungsdiensten nicht erspart, heißt es auch aus dem Innenministerium Baden-Württemberg. Zahlen erhebe man allerdings nicht.

Das haben dafür andere getan. Die Ruhr-Universität Bochum hat vor zwei Jahren eine Studie zur Gewalt gegen Rettungskräfte in Nordrhein-Westfalen vorgelegt. Bis heute ist sie die einzige tragfähige Bestandsaufnahme. Mehr als 2000 Mitarbeiter der Rettungsdienste sind dafür befragt worden. Das Ergebnis war alarmierend: 59 Prozent der Befragten hatten innerhalb des vorangegangenen Jahres gewalttätige Übergriffe gegen sich selbst oder Kollegen erlebt. Praktisch jeder wurde beleidigt oder beschimpft. Und: Über die Hälfte der Retter gab an, sich durch die Ausbildung nicht gut auf Konflikte vorbereitet zu fühlen. 18 Prozent der Befragten befürworteten sogar Schutzwesten für Rettungskräfte. Eine Idee, die einzelne Kreisverbände zeitweise ins Auge gefasst hatten.

Von solch drastischen Maßnahmen hält man beim Roten Kreuz in Baden-Württemberg nichts. „Das ist nicht der richtige Weg“, sagt Bangerter. Man setze auf Deeskalation und darauf, Kollegen gar nicht erst in Gefahrensituationen zu bringen. „Unsere klare Linie lautet: Jede Selbstgefährdung muss vermieden werden“, betont er. Der Schutz der Mitarbeiter stehe an erster Stelle.

Konfliktlösung nimmt bei Ausbildung mehr Raum ein

Um die Retter besser auf solche Situationen vorzubereiten, soll die neue Ausbildung zum Notfallsanitäter helfen. „Das Lernfeld Konfliktlösung nimmt dort im zweiten Ausbildungsjahr viel Raum ein“, sagt Bangerter. Es handle sich um ein „sehr wirksames Modul“. Dabei geht es um die Bewältigung von Stresssituationen ebenso wie um Deeskalation. „Das ist ein Fortschritt, das Thema wird deutlich aufgewertet“, so der DRK-Sprecher.

Manchen geht das nicht schnell und intensiv genug. Rettungsassistent Brandner etwa bietet schon seit Jahren selbst Kurse für Mitarbeiter des Roten Kreuzes, aber auch der Feuerwehr an. Darin geht es um Konfliktvermeidung, das richtige Auftreten am Einsatzort, Meditationstechniken – aber auch um Fallschule, um Verletzungen zu vermeiden, und Selbstverteidigungsgriffe. „Es handelt sich um einfache Befreiungs- und Abwehrtechniken, um die Flucht zu ermöglichen. Das Personal soll nicht in Kämpfe verwickelt werden“, sagt Brandner.

So sieht man das auch beim Landesverband des Roten Kreuzes – und beäugt solche Kurse eher skeptisch. „Wir wollen schließlich wahrgenommen werden als Retter, die ihre Hilfe anbieten und körperlichen Auseinandersetzungen aus dem Weg gehen“, sagt Bangerter. Und doch ist der Bedarf da. Der Kreisverband Rems-Murr etwa hat im Juni 160 Leute zu einem gemeinsamen Deeskalationstraining mit der Polizei geschickt.

Konflikte vermeiden ist eben die beste Verteidigung. Das klappt aber immer häufiger nicht. Wenn 150 Kilo plötzlich zum Angriff übergehen, fällt die Deeskalation schwer.