Ein mehr als drei Monate langer Prozess ist beendet. Foto: Imago/Arnulf Hettrich

Das Landgericht Stuttgart verurteilt einen 42-jährigen Bauarbeiter aus Ludwigsburg wegen gefährlicher Körperverletzung. Den Vorwurf des versuchten Mordes sieht es nicht als erwiesen an.

Als der Vorsitzende Richter Norbert Winkelmann das Strafmaß verkündet, rutscht dem Angeklagten ein „Oh, oh“ aus dem Mund, dann schlägt er die Hände vor sein Gesicht. Die Hoffnung auf eine Bewährungsstrafe, die Verteidiger Marc Jüdt in seinem Schlussplädoyer für den 42-Jährigen noch vehement gefordert hatte, erfüllte sich nicht. Die 19. Große Strafkammer verurteilte den Hilfsarbeiter nach einem mehr als drei Monate langen Prozess zu zwei Jahren und neun Monaten Haft wegen gefährlicher Körperverletzung an einem Arbeitskollegen, sah aber den von der Staatsanwaltschaft bis zum Schluss aufrechterhaltenen Vorwurf des versuchten Mordes nicht als erwiesen an.

 

„Jeder ist seines Glückes Schmid“, eröffnete Winkelmann seine Urteilsbegründung und spielte damit auf die Strategie der Verteidigung an, bis zum Schluss kein umfassendes Geständnis abzulegen, sondern noch im Schlussplädoyer den Schwarzen Peter einseitig dem zehn Jahre älteren Arbeitskollegen zuzuschieben. „Weder der Angeklagte noch der Kollege waren nur gut oder nur schlecht“, betonte Winkelmann.

Es gab immer wieder Streitigkeiten

Nach Ansicht der Kammer waren der Angeklagte und sein 52-jähriger Kollege seit längerem Arbeitskollegen, hatten aber kein gutes Verhältnis und stritten oft miteinander. „Diese Streitigkeiten gingen von beiden Seiten aus, auch wenn der Arbeitskollege wegen seiner Unbeherrschtheit wohl der schlimmere Finger war“, erklärte Winkelmann. Bis Dezember vergangenen Jahres habe es aber keine körperlichen Auseinandersetzungen zwischen beiden gegeben.

Als der Vorarbeiter dem Angeklagten am 5. Dezember mitgeteilt habe, dass er am nächsten Tag wieder mit dem ungeliebten Kollegen zusammenarbeiten müsse, sei dieser nicht begeistert gewesen, habe es aber hingenommen und gewarnt, dass die Zusammenarbeit problematisch werden könne. Beide hätten am 6. Dezember auf einer Baustelle in der Wernerstraße in Ludwigsburg Gipsplatten an die Decke montiert, als es gegen 11 Uhr zu einem Streit zwischen beiden gekommen sei. „Ob sich dieser an einem Vorwurf über eine schlecht zugeschnittene Platte oder eine Beleidigung entzündet hat, lässt sich nicht mehr klären“, meinte der Vorsitzende Richter.

Beide hätten sich jedenfalls gegenseitig leicht verletzt und seien dann zum Vorarbeiter gelaufen, um sich über den jeweils anderen zu beschweren. Dieser habe zugesagt, seinen Chef zu informieren, habe dann aber beide wieder an die Arbeit geschickt. Während der 52-Jährige wieder auf die Leiter gestiegen sei und weiterarbeitete, habe der Angeklagte zu einem am Boden liegenden Stahlsprieß gegriffen und dem Kollegen einen Schlag auf den Hinterkopf versetzt. Als dieser sich umdrehte, habe er ihn ein weiteres Mal geschlagen. „Er wollte ihn verletzten und hielt es auch für möglich, dass der Kollege sterben könne“, betonte Winkelmann.

Seit neun Monaten in Untersuchungshaft

Der 52-Jährige habe noch die Leiter herabsteigen können und sei schreiend zu Boden gesunken. Als der Angeklagte gesehen habe, dass sein Kollege den Angriff überleben werde, sei er zu einer 300 Meter entfernten Tankstelle gelaufen und habe dort eine Frau gebeten, die Polizei zu informieren. Der 52-Jährige erlitt zwei Platzwunden und Schmerzen an Schultern und Kopf, schwebte jedoch nicht in Lebensgefahr, obwohl die Verletzungen wegen der Blutungen im Hirnbereich potenziell lebensgefährlich waren. „Der Angeklagte hatte Glück, dass sein Kollege offenbar einen massiven Schädel hatte“, erklärte der Vorsitzende Richter.

Zugunsten des 42-Jährigen wertete das Gericht, dass er die Tat in Teilen gestanden habe, nicht vorbestraft sei und schon neun Monate in Untersuchungshaft verbringe. Zudem sei das Opfer nie in Lebensgefahr gewesen und habe keine bleibenden Schäden erlitten. Auch die Zahlung von 4000 Euro als Täter-Opfer-Ausgleich rechneten die Richter dem Angeklagten positiv an. Negativ fiel jedoch ins Gewicht, dass zwischen Anlass und Tat ein grobes Missverhältnis bestanden habe und die Schläge sensible Körperregionen getroffen hätten.