Wohin mit dem Bauschutt aus Neckarwestheim? Heute entscheidet der Kreistag darüber. Foto: dpa

Am Freitagnachmittag stimmt der Ludwigsburger Kreistag darüber ab, ob er Bauschutt vom Kernkraftwerk Neckarwestheim auf Kreisdeponien ablagern lässt. Landrat und Bürgerinitiative wenden davor sich mit ihren Positionen an die Kreisräte.

Kreis Ludwigsburg - Es ist der erste Kreistag in Deutschland, der über eine solche Frage entscheidet: Soll der Landkreis Bauschutt vom Atomkraftwerk Neckarwestheimauf seinen Kreisdeponien einlagern oder nicht? Per Kreislaufwirtschaftsgesetz ist der Landkreis juristisch dazu verpflichtet. Auf diese Position bezieht sich der Landrat Rainer Haas, der für die Einlagerung auf den Deponien Am Froschgraben und Burghof in Schwieberdingen und Vaihingen/Enz wirbt. Kritiker, allen voran die Interessengemeinschaft Deponien Schwieberdingen-Horrheim, fordern von den Kreisräten jedoch, dass sie die Einlagerung dennoch ablehnen und somit ein politisches Signal an die Verantwortlichen in Bund und Land senden – hier der Umweltminister Franz Untersteller (Grüne) – , dass der Einbau von gering radioaktiv strahlendem Material ein Restrisiko für die Bevölkerung birgt.

Die Interessengemeinschaft kritisiert auch das so genannte Freimessverfahren. Dabei wird der schwach strahlende Bauschutt des Atomkraftwerks vorbehandelt, gemessen und bei einer entsprechend geringen Strahlung für unbedenklich erklärt. Der Schutt zählt dann im juristischen Sinne als einfacher Bauschutt ohne radioaktive Belastung. Der Landrat Rainer Haas hatte zusammen mit Landkreistag und Städtetag eine Handlungsanleitung ausgearbeitet, die mehrfache Kontrollinstanzen beim Verfahren vorsieht.

Haas hält die Grenzwert-Diskussion für eine „Phantom-Diskussion“

Haas kritisiert das Vorgehen der Interessengemeinschaft: „Mit der Diskussion um den Zehn-Mikrosievert-Grenzwert verunsichere ich jeden Menschen, weil kaum jemand den Sachverhalt kennt und versteht.“ Man müsse dem Sachverhalt pragmatisch begegnen. So hätten zwei unabhängige Gutachter, einer im Auftrag der AVL, einer im Auftrag der Gemeinde Schwieberdingen, bestätigt, dass der so genannte freigemessene Bauschutt im Grundsatz nicht mehr strahle „als das, was ohnehin regelmäßig auf die Deponie kommt“, beispielsweise Fliesen oder Schotter. Dabei sei auch herausgekommen, dass die Strahlenbelastung auf der Deponie geringer ist als irgendwo sonst in Schwieberdingen. Insofern hält Haas die Grenzwert-Diskussion für eine „Phantomdiskussion“, verspricht aber, dass man dennoch weiterhin auf der Deponie messen werde.

Den Bedenken der Kritiker des Verfahrens, darunter auch die Landesärztekammer, werde „in vollem Umfang Rechnung getragen“ durch die mehrmaligen Kontrollen und Absicherungsmaßnahmen im Freimess-Verfahren. „Im Landkreis gibt es keine bessere Verwahrmöglichkeit mit einer umfangreichen Bodenabdichtung als unsere Deponien“, so Haas. Im Übrigen würden die Kraftwerks-Kommunen Gemmrigheim und Neckarwestheim auch erwarten, dass der Landkreis Ludwigsburg den Schutt annimmt. Hierzu lägen Haas Schreiben der beiden Bürgermeister vor.

Die Interessengemeinschaft hat Protest angekündigt

Die Interessengemeinschaft hat eine Kundgebung unmittelbar vor Beginn der Kreistagssitzung vor dem Kreishaus angekündigt. Der Landrat Haas sieht im Kreistag jedoch den falschen Adressaten für Proteste: „Wir befolgen nur Gesetze“. Die Proteste müssten an Berlin adressiert werden.

Der Interessengemeinschaft wirft Haas vor, Partikularinteressen zu vertreten. „Rechtlich sind wir zur Annahme des Schutts verpflichtet. Und das ist auch rechtmäßig, wie ich finde, denn sonst ist dem Prinzip Sankt Florian Tür und Tor geöffnet.“ Nun verhindern zu wollen, dass der freigemessene Bauschutt seinen Bestimmungsplatz erreiche, sei nicht nur rechtlich unzulässig, sondern auch „ethisch nicht in Ordnung“, sagt Haas auch „mit Blick auf unsere Kinder- und Enkelgeneration und all diejenigen, die sich vehement gegen eine Ablagerung von radioaktiven Reststoffen auf Kreisdeponien wehren“. Das sei „purer Populismus, da spiele ich nicht mit.“

Per Mail an alle Kreisräte appelliert

Wen er dabei nicht namentlich erwähnt: den Landrat des Neckar-Odenwaldkreises Achim Brötel, der sich vehement gegen die Ablagerung von Schutt des Atomkraftwerks Obrigheim auf Deponien seines Landkreises wehrt. Er begründet dies mit den Bedenken der Landesärztekammer und des Deutschen Ärztetages.

Auch die Interessengemeinschaft hat sich vor der Sitzung am Freitag per Mail noch einmal an alle Kreisräte gewandt. „Sie entscheiden nicht darüber, ob der Freimessmüll gesundheitliche Risiken mit sich bringt oder nicht“, heißt es in dem Schreiben. Die Wissenschaftler seien sich einig, dass ein Restrisiko besteht. „ Sie müssen entscheiden, ob Sie persönlich dieses Risiko der Deponieanwohnerinnen und -anwohner verantworten können.“

Wie die Abstimmung ausgehen wird, ist schwer abzuschätzen. Einige Fraktionen sind bei dem Thema gespalten und werden wohl uneinheitlich abstimmen.