Foto: Gärtner

Das nordspanische Dörfchen Atapuerca hat mit seiner langen Historie touristisch viel zu bieten.

Gemächlich ziehen Schafherden über die Hügel. Die Sonne Nordspaniens hat die Felder golden gefärbt. Die Gräser wiegen sich geschmeidig im Wind. Eingebettet in dieses zeitlose Idyll liegt Atapuerca – ein Dorf mit Häusern im alten Steinbau, einer kleinen Taverne und einer Kirche, die auf einer Anhöhe thront und als mächtige Hüterin über die Häuser wacht. Von der Kirche aus erstreckt sich der Blick weit über die Sierra de Atapuerca, die Hügellandschaft im Nordosten der Region Kastilien-Léon, die südlich an das Baskenland grenzt und von einer kargen Weite geprägt ist.

Doch nicht nur die Schafe ziehen hier ihre Bahnen. In den Feldern tauchen Fahnen auf. Ihr Rot leuchtet weit über die Ebene und kündigt sie an: Krieger, Bodentruppen mit Schild und Schwert. Es ist das Heer von Don Fernando I., dem König von Kastilien. Von Südosten her nähern sich die Männer seines älteren Bruders Don Garcia V., des Königs von Navarra. Vor der Kirche Atapuercas treffen die Truppen aufeinander. Die Unterredung der Brüder bleibt ohne Versöhnung – zu tief ist die Kluft, die der Streit um die Aufteilung der Länder zwischen beiden gerissen hat. Der Schlachtruf ertönt, und die Heere stürzen los.

Als die Schlacht zu pompöser Musik ihren Höhepunkt erreicht, sinkt Don Garcia mit einem Schwert in der Brust zu Boden. Fernando erklärt sich zum Sieger und drückt sich seine Krone noch ein wenig fester auf den Kopf. Die Zuschauer am Abhang des Kirchenhügels jubeln, schon bereit zum Aufbruch in die historischen Gassen des Dorfs, durch das die Darsteller ziehen werden, um sich feiern zu lassen.

Es ist einer der Höhepunkte des Jahres, wenn die Bürger Atapuercas die Schlacht nachspielen, die sich im Jahre 1054 in der Sierra de Atapuerca ereignet hat. In selbst genähten Kostümen wird mit Begeisterung Vergangenheit gelebt. Die Menschen sind stolz auf ihr Dorf und auf ihre Geschichte.

Doch nicht alles glänzt in Atapuerca so golden wie die Blechkrone des Königs im Schlachtenschauspiel. Fernando Gómez Aguado ist der Bürgermeister der Stadt. Der große Mann mit dem markanten Gesicht und dem kühn gewellten Haar hat das Schlachtengewand abgelegt und sitzt nun wieder in seinem kleinen Büro im Bürgerhaus Atapuercas. "Die Darsteller, die bei der Schlacht mitgewirkt haben, kommen nicht alle von hier. Die Leute aus den umliegenden Dörfern haben uns ausgeholfen."

In Atapuerca selbst leben zu wenige Leute, die ein solches Spektakel veranstalten könnten. Die autonome Gemeinschaft Kastilien-Léon gehört mit 26,8 Einwohnern pro Quadratkilometer zu den dünn besiedelten Regionen Spaniens. Atapuerca ist eines der rund 800 Dörfer der Provinz und mit seinen knapp über 200 Einwohnern ein typisches Dorf mit den typischen infrastrukturellen Problemen: die einzige Einkaufsmöglichkeit ist ein kleines Lädchen, das von Brot, Wurst und Käse über Obst bis Toilettenpapier zwar alles anbietet, damit aber kein ganzes Dorf versorgen kann. Die nächstgelegene Busstation, von der aus man in die Stadt Burgos fahren kann, ist einen einstündigen Fußmarsch entfernt. Wer kein Auto besitzt, ist abgeschnitten von der Außenwelt. Jungen Leuten hat Atapuerca nicht viel zu bieten, und so zieht es die meisten von dort weg.

Kastilische Ritterspiele

Dabei hat das historische Erbe für Atapuerca eine ganz besondere Bedeutung, und die Spuren der Vergangenheit reichen noch sehr viel weiter zurück, als das Schlachtenschauspiel ahnen lässt. Bei einem Tunnelbau durch die Gebirgsketten entdeckten Arbeiter Ende des 19. Jahrhunderts Höhlen.

Das allein war noch nicht die Sensation, wohl aber die Höhlenmalereien, die sich darin befanden. Einige Jahre später fand man menschliche Fossilien, und 1994 kamen bei den Ausgrabungsstätten, den Yacimientos de Atapuerca, zahlreiche Steinwerkzeuge und die Überreste von etwa elf als Homo antecessor bezeichneten Hominiden zum Vorschein. Später tauchte ein Unterkieferknochen auf, der auf ein Alter von etwa 1,2 Millionen Jahre datiert wurde. Außerdem fanden Forscher Fossilien einer Population von 30 Menschen der Art Homo heidelbergensis, die vor 400 000 Jahren in der Sierra gelebt hatten. Im Jahre 2000 wurde Atapuerca deshalb in das Unesco-Weltkulturerbe aufgenommen.

Die Ausgrabungen sind nicht das einzige Weltkulturerbe der Gegend. Auch die gotische Kathedrale in der nur 20 Kilometer entfernt gelegenen Stadt Burgos wurde von der Unesco ausgezeichnet, genauso wie der Jakobsweg, der das ganze Jahr über Pilger und Wanderer in die Region führt.

Der Tourismus spielt in Atapuerca eine bedeutende Rolle: Die Einwohner betreiben Herbergen und Restaurants, um die Pilger und die Touristen zu bewirten. 20 Prozent der Menschen, die in Atapuerca leben, verdienen ihr Geld ausschließlich durch den Fremdenverkehr, und längst wird den Besuchern der Stadt Burgos ein Besuch in Atapuerca als touristisches Pflichtprogramm empfohlen.

Daran knüpft Bürgermeister Gómez Aguado seine Hoffnungen für die Zukunft des Dorfs – und er hat eine Vorstellung davon, wie diese aussehen könnte. "Im Wesentlichen haben wir zwei Ziele: Einmal müssen wir dafür sorgen, dass die Bevölkerung wächst und dass unser Dorf auch für junge Familien attraktiv wird. Zum anderen benötigen wir Mittel, um unser historisches und kulturelles Erbe zu pflegen."

Gómez Aguados Ideenreichtum trägt bereits Früchte: So gibt es im Dorf mittlerweile ein medizinisches Zentrum, in dem sich die Leute Medikamente holen können, und im Bürgerhaus wurde ein Internetcafé eingerichtet. Doch er hat weitere Pläne, mit denen er das Leben im Dorf angenehmer machen will – für Einwohner und Gäste. Denn Atapuerca soll auch weiterhin seinem Namen gerecht werden. Und es soll gewürdigt werden von den Bewohnern und Besuchern aus der ganzen Welt als ein Dorf der kulturellen Schätze.

Kastilische Ritterspiele

Info: Anreise: Unter anderem fliegen Lufthansa (http://www.lufthansa.de, von Stuttgart aus) und Iberia (www.iberia.com, von Frankfurt/ Main aus) nach Bilbao, von dort aus geht es weiter mit dem Zug nach Burgos. Informationen über direkte Busverbindungen aus verschiedenen deutschen Städten direkt nach Burgos gibt es außerdem im Internet unter http://www.touring.de.

Auf keinen Fall versäumen: Freilichtmuseum Parque tematico, Museum Atapuerca, Yacimientos de Atapuerca, Telefon 00 34/9 02 02 42 46, Informationen im Internet gibt es unter http://www.visitasatapuerca.com.

Allgemeine Auskünfte: Fremdenverkehrsbüro Burgos, Telefon 00 34/9 47 20 31 25, http://www.turismocastillayleon.com; Fremdenverkehrsbüro Atapuerca, Tel. 00 34/94 24 24 62, http://www.fundacionatapuerca. com; Albergue Atapuerca, Centro Turistico El Peregrino, Tel. 00 34/6 61 58 08 82, http://www.albergueatapuerca.com.