Antagonisten im Flüchtlingsstreit: Kanzlerin Angela Merkel und Innenminister Horst Seehofer. Foto: dpa

Zerbricht die große Koalition schon nach knapp 100 Tagen? Der Streit zwischen CDU und CSU über die Flüchtlingspolitik droht die Union zu zerreißen. Die SPD hält den Konflikt für „sehr unwürdig“.

Berlin - In der großen Koalition wächst der Druck auf die CSU, den Asylstreit mit der CDU nicht weiter eskalieren zu lassen. Laut „Rheinischer Post“ haben die CDU-Spitze und Unionsfraktionschef Volker Kauder Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) gebeten, mit der CSU-Führung eine Kompromisslinie auszuloten. Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) forderte Einigungswillen von allen Seiten. SPD-Partei- und Fraktionschefin Andrea Nahles stellte sich klar hinter Kanzlerin Angela Merkel (CDU).

In der Flüchtlingspolitik könne nur mit Europa eine vernünftige Lösung gefunden werden, sagte Nahles am Freitag in Berlin. „Schlechterdings ist eine Lösung im Alleingang nicht denkbar und sinnvoll.“ Die SPD verweist darauf, dass im Koalitionsvertrag ein gemeinsames europäisches Vorgehen in der Asylpolitik vereinbart sei. Daran müsse sich auch die CSU halten, verlangte SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil im ARD-„Morgenmagazin“.

Seit Tagen streiten CDU und CSU darüber, ob Asylbewerber ohne Papiere, und solche, die bereits in anderen EU-Ländern als Asylbewerber registriert sind, weiter über die deutsche Grenze gelangen dürfen. Die CSU will sie künftig zurückweisen, Kanzlerin Angela Merkel (CDU) lehnt dies ab. Die CSU dringt bis Montag auf eine Entscheidung, andernfalls droht Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) mit einem Alleingang. Merkel will dagegen in den kommenden zwei Wochen eine Lösung auf europäischer Ebene suchen.

Mehrheit befürwortet konsequentere Abschiebungen

Die CSU sieht die Mehrheit der Bevölkerung auf ihrer Seite - und wird darin vom jüngsten ARD-„Deutschlandtrend“ bestärkt. Danach sind 62 Prozent der Bundesbürger dafür, Flüchtlinge ohne Papiere nicht nach Deutschland einreisen zu lassen. 86 Prozent befürworteten zudem eine konsequentere Abschiebung von abgelehnten Asylbewerbern. Die Umfrage von Infratest dimap wurde aber bereits am 11. und 12. Juni und damit vor der Eskalation des Unionsstreits durchgeführt.

Nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur hatte Merkel am Mittwochabend bei dem Krisentreffen im Kanzleramt zwei Kompromissangebote der CSU abgelehnt. Die CSU habe zunächst vorgeschlagen, sofort mit den Zurückweisungen an den deutschen Grenzen zu beginnen - dies aber bei einem Erfolg des EU-Gipfels in zwei Wochen wieder zu beenden, hieß es aus CSU-Kreisen. Außerdem habe die CSU den Vorschlag gemacht, jetzt schon weitere Zurückweisungen an den Grenzen zu beschließen - aber nur für den Fall, dass die Verhandlungen auf europäischer Ebene scheitern. Auch dies habe die Kanzlerin abgelehnt.

Söder verteidigt das Vorgehen der CSU

Die CDU dringt nach Informationen der „Rheinischen Post“ nun darauf, dass Bundestagspräsident Schäuble (CDU) mit der CSU-Führung eine Kompromisslinie auslotet. Schäuble habe in der Flüchtlingspolitik trotz seiner Loyalität zur Kanzlerin immer wieder eine kritische Haltung eingenommen und besitze auf beiden Seiten Glaubwürdigkeit, hieß es zur Begründung. Zu einem Gespräch zwischen Kauder (CDU) und CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt soll es demnach erst am Montag nach den Parteigremiensitzungen kommen, berichtet die Zeitung unter Berufung auf Angaben aus der CDU-Führung.

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder verteidigte am Donnerstagabend in den ARD-„Tagesthemen“ das Vorgehen der CSU. Wenn man den Satz ernst nehme, dass sich 2015 nicht wiederholen dürfe, brauche man eine grundlegende Veränderung - und dazu gehöre die Sicherung der Grenzen. Es gehe dabei nicht um Eitelkeiten, sondern darum, „was richtig ist“. Zu einem möglichen Bruch der Koalition sagte Söder: „Wir wollen auf keinen Fall riskieren, Glaubwürdigkeit zu verlieren.“

Altmaier hält eine Einigung für möglich

Bundeswirtschaftsminister Altmaier hält eine Einigung weiter für möglich. „Ich bin davon überzeugt, wir können zu einer gemeinsamen Lösung kommen - unter der Voraussetzung, dass alle konstruktiv und mit Einigungswillen an die Aufgabe herangehen“, sagte er am Freitag in Berlin. „Wir sind uns einig, dass wir illegale Migration bekämpfen.“ Altmaier sagte aber zugleich, eine Lösung müsse sowohl dem deutschen als auch dem europäischen Recht entsprechen.

Das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) warnt davor, an der Grenze Schutzsuchende abzuweisen, die bereits in anderen EU-Ländern registriert sind. „Deutschland ist verpflichtet, bei Schutzsuchenden, die an der Grenze um Asyl nachsuchen, zu prüfen, welches Land zuständig ist. Jedenfalls für die Dauer dieser Prüfung muss die betreffende Person auch bleiben dürfen“, sagte der Leiter des UNHCR in Deutschland, Dominik Bartsch, der „Welt“.

Der FDP-Vorsitzende Christian Lindner rief dazu auf, die Asylpolitik nicht für den Landtagswahlkampf in Bayern zu instrumentalisieren. „Das sollten die Bürgerinnen und Bürger in Bayern sich nicht bieten lassen“, sagte er im ARD-„Morgenmagazin“. Inhaltlich unterstützt die FDP die Position Seehofers. Allerdings zeigte Lindner Unverständnis darüber, dass die CSU jetzt so viel Zeitdruck macht.

An diesem Freitag steht das Thema Flüchtlinge auch im Bundestag auf dem Programm. Geplant ist eine Abstimmung zum Thema Familiennachzug. Außerdem soll es eine Aktuelle Stunde zur Flüchtlingspolitik geben.