Hinter verschlossenen Türen tagt die CSU zum Thema Asyl. Foto: dpa

Stundenlang dauert die Sitzung des CSU-Vorstands in München. Und auf seine „persönliche Erklärung“ lässt Parteichef Seehofer alle bis zum Schluss warten.

München - Eines wenigstens lässt sich auf den ersten Blick sagen: Es ist viel Cholesterin im Spiel. Platten stehen auf dem Tisch beim CSU-Vorstand, da häufen sich Wurst und Käse und Butterbrezen zu Bergen; a g‘scheite bayerische Brotzeit halt, und hinten im Saal ist unter dem Gummibaum ein Büfett eröffnet. Immerhin: dort liegt auch Obst. Dass es an diesem Sonntag Nachmittag noch andere Leckerbissen aufgetischt werden, das sickert gleich zu Sitzungsbeginn nach außen. Horst Seehofer hat seinen etwa hundert Vorständlern und den Bundestagsabgeordneten der CSU seinen „Masterplan“ zum Thema Asyl austeilen lassen. Gilt etwa das Verbot nicht mehr, mit dem Angela Merkel Mitte Juni die Bekanntgabe unterbunden hat? Egal. Endlich wissen nun alle, was da von Punkt 1 bis 63 drinsteht.

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Nur hört man in der Münchner CSU-Zentrale nichts von der Diskussion, bei der es um die Bundesregierung, die Zukunft der Kanzlerin, die Gemeinsamkeit der Unionsfraktion – um Deutschland letztendlich geht. So schalldicht ist der rundherum verglaste Sitzungssaal, dass die Fernsehteams sogar noch filmen dürfen, als Seehofer, mit dem Mikrofon vor den Lippen, die Debatte eröffnet. Er wirkt damit praktisch genauso still wie in den Minuten vor der Sitzung, in denen er komplett wortlos auf den Plan trat. Nicht mal lächeln wollte er. Es waren zu viele Objektive auf ihn gerichtet.

Die CSU-Vorständler schweigen zunächst

Auch sonst: wer von den CSU-Vorständlern das Gebäude im Münchner Norden nicht lieber gleich durch die Tiefgarage betreten hat, der drängte sich im doppelten Wortsinn nichtssagend durch die Phalanx an Journalisten. Die beinahe längste Bemerkung, die stammt von Markus Söder: „Wir machen jetzt mal die Sitzung, dann schauen wir, was dabei herauskommt.“

Vieles spricht dafür, dass auch die CSU-Leute zu Beginn dieser entscheidenden Vorstandssitzung nicht wissen, wie das Ganze enden wird. Was hat Seehofer mit Merkel besprochen am Abend zuvor? Wie fällt die Fein-Analyse der Brüsseler Absprachen und der von Merkel behaupteten Kooperations-Versprechen von 14 europäischen Staaten aus? Was bedeutet das greifbar für Bayern? Und vor allen Dingen – CSU-Generalsekretär Markus Blume hat diese entscheidende Frage formuliert: Werden Ergebnisse tatsächlich so kurzfristig eintreten, dass man sie im Wahlkampf zu eigenen Gunsten verwenden kann?

Aus dem Saal sickern Informationen heraus

Es dauert nicht lange, da sickern aus dem schalldichten Saal andere Informationen auf die Handys von Journalisten. Seehofer sagt, was Merkel in Brüssel erreicht habe, sei „nicht wirkungsgleich“ mit den Kontrollen und den Zurückweisungen direkt an der Grenze, die er selber plant. „Wirkungsgleich“, das war die Bedingung, die man Merkel im zweiwöchigen Ultimatum genannt hatte. „Mehr als wirkungsgleich“, hatte Merkel nach dem EU-Gipfel gesagt, sei ihr Verhandlungsergebnis. Und noch am Sonntag Nachmittag, bei der Aufzeichnung des Interviews für die ZDF-Sendung Berlin direkt, streute sie das Zauberwort ein: mission completed.

Doch Seehofer bläst das alles in den Wind. Auch deutsche Ankerzentren lehnt er ab, jedenfalls für Flüchtlinge oder Migranten, die schon in anderen europäischen Ländern registriert sind. Immerhin hat Merkel im Grundsatz zum ersten Mal „Ja“ gesagt zu Ankerzentren; das hat man in der überraschten CSU am Sonntag durchaus positiv registriert. Doch Seehofers Interpretation klingt wieder viel düsterer. Nur: wie sieht er alles zusammen? Wie lautet sein Fazit? Was will er selber nun machen? Von sich aus gehen als Innenminister? Kann er tatsächlich ein zweites Mal ausgerechnet „wegen der Merkel“ zurücktreten – nachdem er 2004 im Streit mit der damaligen Fraktionschefin der Union um die Gesundheitspolitik unterlegen ist und dann nicht mehr ihr Vize sein wollte? Soll und will Seehofer gerade deswegen heute hartnäckig bleiben? Mit Merkel weiterregieren, trotz dieses einen – undementierten – Satzes von vor einer Woche : „Mit der Frau kann ich nicht mehr arbeiten?“ Eine „persönliche Erklärung“ kündigt Seehofer erst für das Ende der Vorstandssitzung an. Zuerst lässt er die Debatte laufen und hört zu; Seehofer diktiert nichts, er weiß, dass es dafür zu viele verschiedene Meinungen und Stimmungen gibt in der Partei.

CSU von den EU-Gipfel-Ergebnissen überrascht

Nicht auszuschließen, dass der Parteichef selber erst einmal Rat braucht: Wie kommt die CSU raus aus einer Situation, die durch Merkels Verhandlungsgeschick auf dem EU-Gipfel viel komplizierter geworden ist als von den Bayern erwartet? Denn dass sie überrascht waren, dass mehr, viel mehr herausgekommen ist als je gedacht; dass einer – der immer noch einflussreiche Ehrenvorsitzende Edmund Stoiber – gar schon die von der Partei geforderte „Wende“ bei der Zuwanderungsfrage erreicht sieht: das geben sie durchaus zu. Die Lage ist also anders als vor zwei Wochen, als Seehofer der Kanzlerin das Ultimatum stellte und der CSU-Vorstand sich – wie Seehofer damals formulierte – „sehr, sehr einstimmig“ hinter ihm sammelte. Heute, nach dem EU-Gipfel kann die CSU nicht mehr so einfach den Kopf der Kanzlerin fordern; da scheitert man schon an der Schwesterpartei, die sich jetzt noch enger um Angela Merkel geschart hat. Auf Merkels Linie einschwenken kann man aber auch nicht, nicht so auf Kuschelkurs gehen wie vor der Bundestagswahl vergangenes Jahr – das schlägt einem die AfD sofort um die Ohren. Was aber dann? Und das macht die Debatte im CSU-Vorstand so kompliziert.

Wobei: aufgeregt sieht die Diskussion, durch die schalldichten Glasscheiben betrachtet, nicht gerade aus. Eher nach einer Pflichtübung an einem heißen, schläfrigen Sonntag Nachmittag. Nach gut dreieinhalb Stunden bekommen die wartenden Journalisten auch solche Einblicke verwehrt: Die CSU-Vorständler fühlen sich durch die bohrenden Blicke verletzt, sie lassen das Foyer räumen. Da ist es halb sieben – und die Rednerliste erst zur Hälfte abgearbeitet.