...und noch immer beherrscht das Flüchtlingsthema die deutsche Politik. Dabei wächst der Druck auf die Kanzlerin. Foto: dpa

Unionsabgeordnete aus Baden-Württemberg berichten Angela Merkel von der Stimmung an der Basis. Die Kanzlerin rechtfertigt sich – sie will Gestalterin sein, nicht die Getriebene.

Berlin/Stuttgart - Vielleicht ist die Stimmung nicht angespannt, aber ernst ist sie schon. Die Südwest-CDU, Landtagsfraktion und die Landesgruppe im Bundestag, ist am Mittwoch mit der Kanzlerin verabredet. Und die baden-württembergischen Mandatsträger der Union haben sich eines fest vorgenommen: der Kanzlerin die Stimmung an der Basis in Sachen Flüchtlingspolitik nahezubringen. Und die ist bestimmt angespannt. Das Thema ist der einzige Punkt des knapp einstündigen Gesprächs.

Joachim Pfeiffer, der wirtschaftspolitische Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag, sagt am Mittwoch unserer Zeitung: „Wir bekommen viele Zuschriften. Die Bürger wissen nicht, was noch alles kommt, und ich weiß nicht, ob jeder in Berlin die Dramatik der Lage mitbekommt.“ Was er nicht so sagt, aber viele denken: Die Kanzlerin geht über die Sorgen der Bürger hinweg.

In der Runde ergreift Guido Wolf, der Spitzenkandidat bei der Landtagswahl im Frühjahr, das Wort. Er dringt auf eine noch zügigere Bearbeitung von Asylverfahren, will die Einigung auf weitere sichere Drittstaaten. Aber eigentlich hat sein Redebeitrag vor allem eine Kernbotschaft: „Die veröffentliche Meinung spiegelt nicht die Stimmung in der Bevölkerung wider.“ Soll heißen: Nicht die Bilder euphorischer Helfer sind repräsentativ, sondern eher eine gewisse Beunruhigung in der Bürgerschaft.

Kanzlerin erinnert an die Wiedervereinigung

Die Kanzlerin hört zu. Aufmerksam. Sie muss erklären. Längst hat sie aus der Bundestagsfraktion vermittelt bekommen, dass viele Unionsabgeordnete glauben, sie habe falsche Signale gesetzt, als sie ohne weiteres die Flüchtlinge von Ungarn nach Deutschland ließ. Merkel redet nicht drumherum, sondern erklärt. So kleinteilig, wie sie es öffentlich bisher nicht getan hat. Nach Informationen unserer Zeitung weist sie darauf hin, dass die Flüchtlinge aus Ungarn schon an der Grenze zu Österreich standen. Es habe erheblicher Druck bestanden. In einigen Tagen wären die tausende ohnehin hierzulande angekommen. Dann greift sie zu einem erstaunlichen Vergleich, der Aufschluss darüber geben kann, in welche Kategorien und Bezüge sie die Flüchtlingsfrage einordnet. Merkel sagt, dass auch im Vorfeld der deutschen Wiedervereinigung der Druck auf die Grenzen (nicht nur Ungarns) enorm geworden war. Daraus zieht sie einen Schluss. Sie wolle die Lage gestalten und nicht zur Getriebenen der Ereignisse werden.

Das stößt durchaus auf Verständnis. Es wird honoriert, wie gründlich Merkel auf die Bedenken eingeht. Aber dennoch. Es gibt sehr eindringliche Appelle. Der Nürtinger CDU-Bundestagsabgeordnete Michael Hennrich wird sehr deutlich. Der Dialog mit den Bürger werde für ihn schwierig, wenn er „die Ziele, Visionen und Grenzen“ der Regierungspolitik in Sachen Flüchtlinge nicht kenne, sagt er der Kanzlerin. Er vermisse „einen klaren Rahmen“.

Das geht offenbar vielen in der Südwest-CDU so. Es ist kein Zufall, dass am Mittwoch noch vor der Runde mit der Kanzlerin, ein gemeinsames Papier der CDU-Mandatsträger in Bund und Land publik wird. Die Erklärung trägt auch nicht zufällig den Titel „Große Herausforderung – die Gesellschaft nicht überfordern“. Der Hinweis mag deutlich genug in Richtung Bundespolitik zielen, deshalb zielt der weitere Text eher in Richtung grün-roter Landesregierung. Baden-Württemberg brauche ein Konzept, um „Krisensituationen und Überforderung auf kommunaler Ebene zu vermeiden“, heißt es.

Erste Gedankenspiele zur Änderung des Asylrechts

Die Landesregierung wird aufgefordert, „aktiv“ daran mitzuwirken, dass „zumindest Albanien, Montenegro und das Kosovo“ zu weiteren sicheren Herkunftsstaaten erklärt werden. Auch fordern die CDU-Parlamentarier, dass die Landesregierung Notunterbringungen in Kommunen zu vermeide. „Auch Flüchtlinge aus Ländern mit hohen Anerkennungsquoten sollen ohne Registrierung und medizinische Erstuntersuchung nicht an die Kommunen weitergeleitet werden“, heißt es in der Erklärung. Die zentrale Anlaufstelle für Flüchtlinge müssten die Landesaufnahme-Einrichtungen sein. Gefordert wird zudem „die konsequente Anwendung des Sachleistungsprinzips bei der Unterbringung und Versorgung der Asylbewerber“. Der Text bekennt sich auch zur Unterstützung und Förderung der vielen ehrenamtlichen Flüchtlingshelfer. Dennoch spricht er bewusst eine Sprache, die sich vom rundheraus optimistischen „Wir schaffen das!“ der Kanzlerin unterscheidet.

Dabei hält sich das Papier noch zurück. In Kreisen der Bundestagsfraktion kursieren nach Informationen unserer Zeitung längst viel weitgehendere Überlegungen. Im Vorstand der Bundestagsfraktion würde kürzlich – allerdings ohne abschließende Meinungsbildung – erörtert, ob das deutsche Asylgesetz so bleiben kann, wenn der Zustrom der Flüchtlinge anhält. Diskutiert wird, ob dann das Recht auf Individualprüfung jedes Antrags auch im Falle der sicheren Drittstaaten zu alten ist. Viele Abgeordnete bezweifeln das inzwischen.