Flüchtlinge bauen am Berliner Oranienplatz Bretterbuden. Foto: dpa

Seit mehr als einem Jahr besetzen Flüchtlinge den Oranienplatz und pochen auf Asyl. Die Berliner Politik streitet um den Umgang mit ihnen – jetzt zeichnet sich eine Lösung ab.

Seit mehr als einem Jahr besetzen Flüchtlinge den Oranienplatz und pochen auf Asyl. Die Berliner Politik streitet um den Umgang mit ihnen – jetzt zeichnet sich eine Lösung ab.

Berlin - Aziz Nuhu (22) öffnet das Zelt und zeigt auf eine Matratze. „Hier habe ich geschlafen“, sagt der junge Mann aus Ghana. In dem muffigen Zelt steht die Luft, Bettlaken liegen auf dem Boden, eine Waschmaschine ist der Länge nach auf eine Schaumstoffmatratze gelegt. Durch die dünne Zeltwand dringen Hammerschläge von draußen. „Einige Männer bauen Häuser aus Holz“, erklärt Nuhu.

Die Flüchtlinge, die hier leben, besetzen den Oranienplatz im Berliner Bezirk Kreuzberg seit mehr als einem Jahr und fordern Asyl. Ein Dutzend kleinere Zelte stehen dort, sechs größere und ein rotes Zirkuszelt, in dem die Bewohner Versammlungen abhalten. Seit 15 Monaten leben auf dem Platz etwa 80 Flüchtlinge, die auf verschlungenen Wegen in die Hauptstadt gelangt sind. Sie stammen vor allem aus Afrika.

Einige haben bereits Asyl in anderen deutschen Großstädten beantragt, wollen nun aber in Berlin bleiben. Andere, die über die italienische Insel Lampedusa nach Europa gekommen sind, fürchten die Abschiebung nach Italien, weil sie dort ursprünglich Asyl beantragt haben.

Symbol für Widerstand gegen die Asylpolitik

Das Flüchtlings-Camp auf dem Oranienplatz gilt vielen Befürwortern als ein Symbol für den Widerstand gegen die europäische Asylpolitik. Die Bewohner fordern eine Aufhebung der Residenzpflicht und des Arbeitsverbots, wie es das geltende Recht vorsieht. In der Berliner Landespolitik hat das Zeltlager schon viel Wirbel verursacht. Während der Innensenator Olaf Henkel (CDU) seit Monaten fordert, das Camp aufzulösen, weil es unter anderem gegen das Grünanlagengesetz verstößt, kämpft Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann (Grüne) für dessen Erhalt.

Dilek Kolat, Senatorin für Arbeit, Integration, Frauen und Flüchtlinge, führt seit Wochen Gespräche mit den Camp-Bewohnern. Nun zeichnet sich eine Lösung ab: Für jeden einzelnen Flüchtling soll ein Asylverfahren geprüft werden. Solche Einzelfall-Lösungen für Aufenthaltsgenehmigungen und Asylanträge will die Stadt jedoch erst angehen, wenn das Zeltlager geräumt ist. In einem nächsten Schritt, hieß es aus dem Senat, wolle Berlin dann neue Unterkünfte zur Verfügung stellen. Die brauchen allerdings nicht nur die Flüchtlinge am Oranienplatz, sondern auch jene, die in einer besetzten Schule im Bezirk wohnen. Insgesamt etwa 460 Menschen.

Aziz Nuhu schlendert vorbei an anderen Afrikanern, die auf Sofas und Sesseln im Freien sitzen. Er begrüßt andere Männer per Handschlag. Ein paar Meter entfernt zimmern Bewohner ein Häuschen zusammen.

Zu Fuß von Würzburg nach Berlin

Die Geschichte des Kreuzberger Camps ist einmalig. Sie beginnt im September 2012, als sich rund 70 Flüchtlinge aus Würzburg zu Fuß auf den Weg nach Berlin machen. Nach 28 Tagen und 600 Kilometern kommen sie am Oranienplatz an – damals eine kleine Grünfläche mit ein paar Parkbänken. Die Menschen besetzen den Platz und protestieren fortan gegen Lager-, Residenzpflicht und Abschiebungen. „Kein Mensch ist illegal“, steht auf einem abgewetzten Stoffbanner am Eingang des Protestcamps. Nuhu lebt seit einem Jahr hier. Es hat viel Streit im Zeltlager gegeben, sagt er. Die Flüchtlinge sind auf Spendengelder angewiesen. Es kam zu Anschuldigungen der Flüchtlinge untereinander. Gelder sollen veruntreut worden sein.

Dem Lager mangelt es nicht nur an Geld, sondern auch an Hygiene: Mitte Februar ging das alte Toilettenhäuschen des Camps aus ungeklärten Gründen in Flammen auf. Nuhu und die anderen Flüchtlinge suchen seither die Restaurants und Bars in der Umgebung auf.

Der Ghanaer sagt dennoch, dass das Leben hier besser sei als in seiner Heimat. „Viele Menschen aus Kreuzberg helfen uns.“ Unterstützung, die er aus seinem vorigen Leben nicht kennt. Ghana verließ er, weil er dort verfolgt wurde. Nuhu floh nach Libyen. Als dort 2011 der Bürgerkrieg ausbrach, gelangte er über Lampedusa nach Italien.

„Aber dort waren die Lager sehr, sehr schlecht, deshalb wollte ich nach Deutschland“, sagt er. Vielen Flüchtlingen in Kreuzberg, die nicht nur am Oranienplatz leben, geht es ähnlich.

Sicherheitsleute bewachen besetzte Schule

Einige Häuserblocks entfernt liegt die ehemalige Gerhart-Hauptmann-Schule. Sie ist seit Ende 2012 von Flüchtlingen besetzt, auch Roma-Familien und Obdachlose leben hier. Nuhu kennt die Menschen dort. Er betritt den Eingang und steuert auf ein Klassenzimmer im Erdgeschoss zu. Die Fenster in dem Klassenzimmer sind mit Bettdecken abgedunkelt, Zigarettenrauch wabert aus dem Zimmer.

Immer wieder kommt es auf dem Schulgelände zu Messerstechereien zwischen den Flüchtlingen, zu Diebstählen und Drogendelikten. Um die Situation in den Griff zu bekommen, hat der Bezirk einen Sicherheitsdienst engagiert. Doch es gibt nach wie vor Konflikte. Laut Polizei ergriffen Behördenmitarbeiter und Sicherheitsleute erst vor wenigen Tagen nach einer Rangelei die Flucht von dem Gelände. „Das ist ein politisches Pulverfass“, sagt ein Sicherheitsmann./*