In vielen Systembauten der Stadt wie hier auf dem Killesberg ist inzwischen reichlich Platz für Flüchtlinge – trotzdem braucht man bald mehr Fläche. Foto: Lichtgut/Leif Piechowski

In den Systembauten im Stadtgebiet sind gut 1500 Plätze für Flüchtlinge nicht belegt. An eine Umwidmung oder Aufgabe ist trotzdem nicht zu denken. Denn von Januar an greift ein bislang zurückgestelltes Landesgesetz.

Stuttgart - Die Idee war ehrenwert. 2013 beschloss die damalige grün-rote Landesregierung, die Lebensbedingungen in Flüchtlingsunterkünften zu verbessern. Dazu gehörte auch, die Fläche, die jedem Einzelnen in der vorläufigen Unterbringung zusteht, von 4,5 auf sieben Quadratmeter zu vergrößern. Doch dann kam die große Asylbewerberwelle – und alle guten Vorsätze waren angesichts der schieren Notlage dahin. Die Regelung wurde für zwei Jahre ausgesetzt. Bis Ende 2017.

Dabei soll es auch bleiben. „Es ist derzeit gültige Rechtslage, dass von Januar 2018 an ein Standard von sieben Quadratmetern gelten soll“, sagt ein Sprecher des Innenministeriums. Eine formale Übergangsfrist sei nicht vorgesehen. Falls es Verstöße gebe, würden diese beanstandet und die Möglichkeit zur Nachbesserung gegeben. Mittlerweile habe sich die Lage etwas entspannt, weil schlicht viel weniger Flüchtlinge nach Baden-Württemberg kämen. Bis Ende November sind es in diesem Jahr bisher 14 600 gewesen – zu den Rekordzeiten im Herbst 2015 hat man diese Zahl manchmal in gut einer Woche verzeichnet.

Die neue Regelung hat Folgen. Betroffen sind vor allem die Unterkünfte der großen Städte und der Landkreise. „Wir planen unsere Unterbringungskapazitäten auf dieser neuen Basis“, sagt der Stuttgarter Sozialbürgermeister Werner Wölfle. Das bedeutet: Obwohl deutlich weniger Flüchtlinge kommen, braucht die Stadt mehr Platz.

1500 Plätze sind frei

Derzeit gibt es allein in den Systembauten, die überall im Stadtgebiet entstanden sind, 5679 Plätze. Gut 1500 davon sind frei. Das bedeutet eine Belegungsquote von 73 Prozent, die sich allerdings in einigen Häusern auf bis zu 90 Prozent erhöht, weil man zum Beispiel fünfköpfige Familien in zwei Dreier-Zimmern unterbringt und ihnen somit schon jetzt mehr Raum gewährt. Man könnte angesichts dieser Zahlen also auf die Idee kommen, einige Unterkünfte seien überflüssig. Doch da kommen die sieben Quadratmeter ins Spiel.

„An eine Schließung ist nicht ansatzweise zu denken“, sagt Wölfle. Im Gegenteil verlängere man derzeit bei angemieteten Wohnungen die Verträge, wo immer es geht. Die Stadt braucht Platz und kann den neuen Flächenbedarf wohl zunächst nicht decken. „Wir werden noch einige Zeit brauchen, bis wir die Regelung umgesetzt haben“, so der Bürgermeister.

Er sieht dabei ein zusätzliches Problem: „Natürlich wird all das auch Umzüge nach sich ziehen.“ Wenn weniger Leute pro Haus unterkommen, müssen manche in andere Unterkünfte ausweichen. Erfahrungsgemäß ist das bei den Bewohnern nicht besonders beliebt, weil sie in diesem Zuge ihr soziales Umfeld, Ansprechpartner oder Sozialarbeiter verlieren. Da könnten noch einige Diskussionen auf die Stadt zukommen.

Entspannte Landkreise, nervöse Kommunen

In den umliegenden Landkreisen ist die Lage etwas entspannter. Dort heißt es zumeist, dass die eigenen Unterkünfte, von denen Flüchtlinge nach ihrem Verfahren auf die Kommunen weiterverteilt werden, den Anforderungen gerecht würden. „Unsere 50 Gemeinschaftsunterkünfte erfüllen die geforderten sieben Quadratmeter bereits jetzt“, sagt Martina Nicklaus, Sprecherin des Rems-Murr-Kreises. Im nächsten Jahr wolle man auf 38 Unterkünfte reduzieren, auch dann sei die Vorgabe erfüllt. Zumindest, solange die Zugangszahlen niedrig bleiben. Auch das Landratsamt Böblingen will trotz des größeren Flächenbedarfs Unterkünfte abbauen.

Dabei haben die Landkreise allerdings das Problem, dass in ihren Unterkünften noch zahlreiche Flüchtlinge leben, die längst zur Anschlussunterbringung in Unterkünfte der Gemeinden hätten umziehen müssen. Dort allerdings ist die Platznot häufig immer noch groß – ähnlich wie in mancher Großstadt im Land.

Der Städtetag Baden-Württemberg will deshalb erreichen, dass die Sieben-Quadratmeter-Regelung nochmals für ein Jahr ausgesetzt wird. „Man kann nicht nur die gesunkenen Zugangszahlen berücksichtigen“, sagt Dezernatsleiter Gerhard Mauch. Man brauche einen Puffer, um künftige Entwicklungen abfedern zu können. Außerdem könne man Flüchtlinge nicht in beliebiger Zusammensetzung in Quartieren unterbringen – und Wohnungen seien gerade im günstigen Segment in vielen Städten rar. „Die Flüchtlingsunterbringung ist eine Riesenaufgabe, die wir bekommen haben. Wir erhoffen uns vom Land deshalb ein Entgegenkommen“, sagt Mauch. Im Innenministerium will man die Forderung vorerst nicht kommentieren.