Flüchtlinge warten immer länger auf einen Termin für den Asylantrag Foto: Thomas Wagner

Weil die Behörden Asylanträge von Kosovaren mit Priorität bearbeiten, erhöht sich die Wartezeit von Menschen aus Syrien und anderen Ländern. Die Bundesbehörde wälzt Arbeit auf die Kommunen ab.

Stuttgart - Mohammed D. sitzt in einem Café am Marienplatz und blickt erleichtert. Endlich hat er einen Termin bekommen, nach fünfeinhalb Monaten. Der Syrer zeigt auf sein Handy: Darauf ist eine E-Mail vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF). Ende des Monats empfängt ein sogenannter Entscheider in der Außenstelle in Eningen den 28-Jährigen. Dort wird er seinen Asylantrag stellen. Erst dann hat er eine offizielle Aufenthaltsgestattung, nach beinahe einem halben Jahr mit provisorischem Status als Asylsuchender, wie es heißt.

Die Zahl der Flüchtlinge, die auf einen Termin für einen Asylantrag wartet, wächst – und auch die Wartezeit. Das beobachtet nicht nur die Sozialarbeiterin Katja Demele, die in einer Unterkunft im Stuttgarter Süden arbeitet. „Viele Bewohner haben noch keinen Antrag gestellt, was Auswirkungen in vieler Hinsicht hat“, sagt die Mitarbeiterin des Sozialdienstes für Flüchtlinge. „Es gibt in diesem Status keinen Zugang zu den Integrationskursen.“ Und: Die Möglichkeit, eine Ausbildung zu beginnen oder sich nach Jobs umzuschauen, verschiebt sich weiter in die Zukunft. „Viele Flüchtlinge wissen nicht, wie es weitergeht. Deshalb haben sie auch keinerlei Planungssicherheit“, sagt die Sozialarbeiterin.

Der Großteil kommt ohne Asylantrag

Der Hintergrund der wachsenden Wartezeiten: Nur Mitarbeiter der Außenstellen des Bundesamts für Migration bearbeiten die Asylanträge. Noch vor einigen Monaten erfolgte das im Regelfall direkt bei der Landeserstaufnahmestelle in Karlsruhe. Seit die Mitarbeiter dort jedoch mit den Anträgen nicht hinterherkommen, verteilt die Aufnahmestelle die Menschen bereits in Städten und Kommunen, bevor sie Asyl beantragen. Und zwar nicht in Einzelfällen, sondern notgedrungen immer häufiger. Beinahe die Hälfte der fast 200 Bewohner in ihrer Unterkunft, schätzt Demele, hat noch keinen Asylantrag gestellt.

Das erhöht den Druck auf die Kommunen. Beispielhaft zeigt sich das an der Ausländerbehörde der Stadt Stuttgart. „Sehr viele Flüchtlinge kommen zurzeit zu uns, damit wir ihnen eine Bescheinigung ausstellen, die bestätigt, dass sie nicht illegal in der Stadt sind“, sagt die Abteilungsleiterin Gerda Kinateder. In der Erstaufnahme in Karlsruhe bekommen die Flüchtlinge lediglich eine Bescheinigung als Asylsuchende. „Das Gros der Menschen kommt nur damit und ohne eine Aufenthaltsgestattung in die Stadt“, beobachtet Kinateder. Inzwischen komme die Ausländerbehörde mit den Bescheinigungen kaum hinterher. „Da werden die Probleme einer Bundesbehörde auf die Landkreise abgewälzt“, sagt die Abteilungsleiterin.

Anträge von Kosovaren gesunken

Dass sich die Anträge derart stauen, liegt auch an einem Vorhaben der Landesregierung: Die Behörden sollen Menschen aus dem Kosovo und anderen Balkanstaaten möglichst schnell in ihre Heimatländer abschieben. Deshalb hat die Bearbeitung der Anträge von Kosovaren „höchste Priorität“, wie es beim Bundesamt für Flüchtlinge und Migration heißt. „Das bedeutet, dass alle anderen Anträge derzeit dahinter zurückstehen müssen“, sagt eine Sprecherin.

Unter den Herkunftsländern, aus denen im Monat am meisten Asylbewerber ins Bundesland ziehen, befindet sich das Kosovo derzeit nach wie vor an erster Stelle. Einen Ausschlag nach oben verzeichnete das Integrationsministerium im Februar mit 2063 neuen Anträgen. Im März sank die Zahl der Erstanträge auf 619. Nach Schätzungen des zuständigen Regierungspräsidiums Karlsruhe liegt die Zahl der seit Jahresanfang abgeschobenen Kosovaren bei rund 125 Menschen. „Es reisen sehr viel mehr aber freiwillig aus“, sagt ein Sprecher. Seit der Entscheidung der Landesregierung, die Verfahren von Kosovaren zu beschleunigen, verteilt die Aufnahmestelle die Menschen nicht mehr in die Kommunen. Erst Anfang dieses Monats waren 66 Flüchtlinge aus dem Kosovo in ihr Heimatland abgeschoben worden. „Bei uns in der Ausländerbehörde melden sich zunehmend auch Kosovaren, die freiwillig ausreisen wollen“, so die Abteilungsleiterin. Das Dilemma der beinahe statuslosen Flüchtlinge, die ohne einen Antrag auf Asyl keine offizielle Aufenthaltsgestattung haben, löst das nicht, sagt sie. „Diese Leute hängen in einem Zwischenraum.“

Stadt reagiert auf rechtliche Ausnahmesituation

Das Bundesministerium will die Stellen der Sachbearbeiter zwar aufstocken. 350 weitere Stellen soll es im laufenden Jahr geben. Davon sind bisher allerdings nur 232 besetzt. „Die Mitarbeiter müssen erst angelernt werden“, sagt ein Sprecher.

Die Mühlen der Verwaltung mahlen langsam. Und Mitarbeiter aus den Kommunen kritisieren, dass es auf Landesebene viel zu wenig Personal für die Bearbeitung der rasant steigenden Zahl von Anträgen gebe. In Baden-Württemberg ist das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge mit Standorten in Karlsruhe, Reutlingen/Eningen, Ellwangen und Meßstetten vertreten.

„Anfang des Monats hatten wir im Bundesland insgesamt 38 Stellen im Entscheiderbereich“, sagt ein Sprecher des Bundesamts. Es sei weiteres Personal geplant, wann und wie viele Stellen kommen, sei noch unklar. Immerhin hat die Stadt bereits auf die rechtliche Ausnahmesituation reagiert: „Wir haben uns dafür entschieden, die Flüchtlinge so zu behandeln, als hätten sie einen Asylantrag gestellt“, sagt Dagmar Eckhardt vom Sozialamt. Das ermögliche neuerdings, trotzdem Vergünstigungen beim VVS-Ticket zu bekommen.