Ralf Haberbosch (rechts) ist mit Helfern bei der Fischinventur zugange. Foto: Ralf Poller/Avanti

Der Biologe Ralf Haberbosch sagt: die Zugwiesen in Ludwigsburg sind ein Glücksfall für die Artenvielfalt. Doch das Paradies ist auch bedroht, durch Kormorane und eine eingewanderte Muschel.

Was für ein Tag am Neckarufer! Es ist kurz nach 8 Uhr, als sich Ralf Haberbosch fertig macht für die Fischzählung im Fluss, in dem vor rund zehn Jahren künstlich angelegten Bachlauf sowie im See in den benachbarten Zugwiesen. Auf dem Neckar gleich hinter der Schleuse Poppenweiler wabert noch Nebel. Idylle pur.

Hat sich der Fischbestand weiter verbessert?

Haberbosch ist Fischereibiologe, er trägt wasserdichte Kleidung und meistens ein Lächeln im Gesicht. Bis zum Abend wird er – unterstützt von ein paar Helfern – Fische fangen, zählen und dann sofort wieder ins Wasser werfen. Die Männer arbeiten mit Reusen, Keschern und mit einem Gerät, das die Fische im Wasser mit Hilfe elektrischen Stroms anlockt und ganz kurz betäubt. Zunächst fahren die Fischezähler mit ihrem kleinen Motorboot flussaufwärts, später am Tag werden sie auch flussabwärts hinter der Schleuse im Neckar, in dem See und im Bachlauf Fische zählen. Der Experte will wissen: Hat sich der Bestand der Fische weiter verbessert? Oder verschlechtert? Eins könne er bereits vorab sagen, erklärt der Fachmann aus Tettnang, der einmal im Jahr nach Ludwigsburg zum Fischezählen im Neckar kommt: Die Zugwiesen seien „ein Glücksfall für die Artenvielfalt“.

Rund eine Woche nach der Aktion, Ralf Haberbosch zieht ein erstes Resümee. Konkrete Zahlen könne er allerdings leider immer noch nicht nennen. Deshalb nur so viel: In den Gewässern gebe es weit mehr Arten und Fische als früher, aber nicht mehr ganz so viele wie 2014, also zwei Jahre nach der Fertigstellung des Schutzgebietes Zugwiesen. Laut Haberbosch sind für die relative Verschlechterung die eingewanderte Schwarzmundgrundel, die eigentlich im Schwarzen Meer lebt, und der Fischräuber Kormoran verantwortlich.

Schifffahrt ist für trübes Wasser verantwortlich

Der Bau des Zugwiesenbaches, der als sogenannte Ersatzfließstrecke auf einer Länge von etwa 1,7 Kilometern die ökologische Barriere der Staustufe Poppenweiler beseitigt, habe „neue Lebens- und Fortpflanzungsräume für typische Fließwasserfische geschaffen – etwa für die Barbe, die Nase und den Schneider“, so Haberbosch. Ferner seien durch die Neuanlage von „Still- und Seitengewässern mit ungehindertem Austausch zum Neckar“ neue Lebensräume auch für sogenannte Stillwasserarten entstanden, etwa für die Schleie. Er habe allerdings nur ganz wenig Schleien gezählt, denn dieser Fisch benötige zum Ablaichen Wasserpflanzen – und diese Pflanzen wiederum sollten klares Wasser haben. Die Schiffe auf dem Neckar sorgen stetig für Aufwirbelungen - und damit für trübes Wasser. Schlecht für die Schleie. Ob sich das zumindest in dem künstlich angelegten See der Zugwiesen ändern ließe, könne er nicht beantworten, so Haberbosch, das könnte vielleicht ein Wasserbauingenieur beantworten. Trotz dieses Mankos sei klar: Das Zugwiesengebiet sei einzigartig am Neckar.

Im Jahr 2019 hatte Haberbosch in seinem damaligen Bericht die Entwicklung des Fischbestandes in zwei Phasen unterteilt: Die erste Phase – von der Fertigstellung der Zugwiesen 2012 bis 2014 – sei geprägt von „der deutlichen Zunahme von Artenzahl“. In der zweiten Phase von 2015 an seinen allerdings wieder Rückschritte registriert worden. „Wir sind nach wie vor in dieser Phase zwei“, sagt Haberbosch jetzt. Aus der Sicht des Fischereibiologe müsste der Kormoran vergrämt, sprich geschossen werden. Er weiß allerdings auch: das dürfe im Naherholungsgebiet vor den Toren der Stadt, wo tagtäglich viele Menschen spazieren gehen, kaum zu machen sein. Schön für die Vögel, Pech für die Fische.

Mit vereinten Kräften zum Biotop

Zugwiesen
 Das Neckarbiotop Zugwiesen bietet Einblicke in das Leben von Pflanzen und Tieren. Viele Gäste schwärmen von der Schönheit des plötzlich breit fließenden Neckars zu Füßen der Steilhänge, auf denen Wein wächst. Es gibt viel zu entdecken – denn wo Wasser schnell oder langsam fließt oder steht, siedeln sich viele Tiere an.

Finanzierung
 Die Planung begann 1998, die Verwirklichung des Projekts hat rund acht Millionen Euro gekostet. Die Stadt brachte die Hälfte der Summe auf, 2,8 Millionen Euro hat das Wasser- und Schifffahrtsamt übernommen. Ferner haben der Verband Region Stuttgart, das Landesumweltministeriums und andere Einrichtungen sowie Firmen das Projekt gefördert.