Auch Vekuii Rukoro, Führer der Herero, fordert Entschädigungen. Foto: ZDF/Fromm

Die Doku „Unter Herrenmenschen“ auf Arte hilft verstehen, warum die Beziehungen der früheren Kolonialmacht Deutschland zu Namibia so heikel sind. Die Volksgruppen der Herero und Nama haben den Versuch eines Völkermords nicht vergessen.

Stuttgart - Der preußische General Lothar von Trotha, der im Mai 1904 von Kaiser Wilhelm II. gegen den Rat des Reichskanzlers und vieler Offiziere zum Kommandanten der Kaiserlichen Schutztruppe in Deutsch-Südwestafrika ernannt wird, ist ein militärisch unterbegabtes Großmaul. Aber er ist auch ein sadistischer Blutsäufer, in den Augen des Kaisers der ideale Mann, mit unbotmäßigen „Wilden“ in den Kolonien umzugehen.

Unnachgiebige Grausamkeit gegen militärisch haltlos Unterlegene ist das einzige Karrieremittel, das Trotha zur Verfügung steht. Beim Boxeraufstand in China hat er es erfolgreich eingesetzt. Nun soll er es gegen das Hirtenvolk der Herero anwenden, das sich gegen eine fortschreitende Versklavung zu wehren begonnen hat.

Keine skurrile E pisode

Immerhin galten die Herero noch als deutsche Untertanen und Schützlinge, aber damit macht Trotha Schluss. Er entzieht ihnen mit einem bis heute nachhallenden Befehl diesen Status und macht sie vogelfrei: „Innerhalb der deutschen Grenze wird jeder Herero mit oder ohne Gewehr, mit oder ohne Vieh erschossen, ich nehme keine Weiber und Kinder mehr auf, treibe sie zu ihrem Volke zurück oder lasse auf sie schießen.“ Ein Völkermord beginnt.

Der Arte-Dokumentarfilm „Unter Herrenmenschen – Der deutsche Kolonialismus in Namibia“ von Christel Fromm hält sich bei der Beschreibung Trothas und seines Tuns noch halbwegs zurück. Auch den Alltag unter deutscher Knute beschreibt der Film nie verklärend, aber eher trocken. Das hat den nachvollziehbaren Grund, dass jedes detaillierte Porträt dieser Zwingherren in den Ohren der Nachgeborenen wie wüste Polemik klingen könnte. Hierzulande sieht man Deutschlands kurzes koloniales Abenteuer ja längst als eher skurrile Episode, als Auswandererstück mit ein paar rassistischen Obertönen.

Prügelstrafe und sexuelle Übergriffe

Aber diese wilhelminischen Untertanen, die es sich offiziell zur Aufgabe gemacht hatten, „den Neger zur Arbeit zu erziehen“, verschlissen die belogenen und bedrohten Einheimischen wie einen billigen nachwachsenden Rohstoff. Sexuelle Übergriffe waren so alltäglich wie die Prügelstrafe, und als sich Widerstand regte, kam rasch der Gedanke der völligen Ausrottung der Herero und Nama auf. Dass Fromm in relativer Distanz bleibt, gibt ihr die Chance zur ausgleichenden Oberflächlichkeit: Sie stellt auch die Verwerfungen der aktuellen namibischen Politik nur skizzenhaft dar.

Was ihr Film deutlich macht, ist die Gegenwärtigkeit, Schmerzhaftigkeit und Bedeutung der Vergangenheit für viele Herero und Nama. Das hat damit zu tun, dass diese Volksgruppen nach dem Ende der deutschen Kolonialherrschaft 1915 von den Briten weiterregiert wurden und danach weitgehend Rechtlose im Apartheids-Südafrika waren. Und als Namibia als letztes Land Afrikas selbstständig wurde, da war es die Volksgruppe der Owambo, die den Staat ganz zu ihren Gunsten lenkte. Wieder wurden Herero und Nama (von den Deutschen einst Hottentotten genannt) benachteiligt. Das Aushungern und Verdurstenlassen einer eingekesselten Zivilbevölkerung durch Trothas Truppen steht im Verständnis der Ururenkel am Beginn einer großen Beraubung und Entwürdigung.

Furcht vor Ansprüchen

Aus Furcht, das könne Ansprüche anderer Gruppen nach sich ziehen, will keine Bundesregierung offiziellen Entschädigungsansprüche einer vierten und fünften Nachkommensgeneration der Herero und Nama anerkennen. Stattdessen hat sie mehr Entwicklungshilfe an Namibia als andere afrikanische Staaten gezahlt. Die aber ist teils in korrupten Strukturen versickert, teils in die Klientelpolitik der Owambo gewandert und hat die Gebiete der Herero und Nama kaum je erreicht.

Fromm formuliert das alles vorsichtig. Aber wer ihren Film sieht, versteht ein besser, warum die Rückgabe einer Bibel und einer Peitsche, wie unlängst aus Beständen Baden-Württembergs, für manche Menschen in Namibia kein freundlicher Akt unter Museen ist, sondern Teil einer brisanten aktuellen Auseinandersetzung.

Ausstrahlung: 23. April 2019, 21.45 Uhr