Eberhard Haußmann (von links), Tanja Herbrik und Reinhard Eberst beschäftigt die Situation armer Menschen in der Coronapandemie. Foto: Roberto Bulgrin

Durch die Coronapandemie gibt es immer mehr Menschen, die auf Hilfe angewiesen sind. Das hat der Kreisdiakonieverband Esslingen festgestellt. Er hat Ideen, was langfristig helfen könnte.

Esslingen - Für arme Menschen, die es im Alltag ohnehin schon schwer haben, ist die Coronapandemie noch eine zusätzliche Belastung, sind sich Eberhard Haußmann, Reinhard Eberst und Tanja Herbrik vom Kreisdiakonieverband (KDV) Esslingen einig. Sie wollen darauf aufmerksam machen, wie es diesen Leuten aktuell geht, was sich im Vergleich zum ersten Lockdown verändert hat, und was die Politik tun könnte, um ihnen zu helfen.

Besonders betroffen seien zum Beispiel Alleinerziehende oder Familien am Existenzminimum, für deren Kinder derzeit das Essen in der Schule oder Kita wegfalle. Bis zu 60 Euro, die in der Grundsicherung im Monat für Mensaessen vorgesehen sind, fehlten und führten zu Mehrausgaben für Mahlzeiten. „Das zeigt sich auch bei dem, was auf den Tisch kommt“, sagt Tanja Herbrik, im KDV zuständig für den Fachbereich Armut und Beschäftigung. Oft könnten die Familien nicht ausreichend ausgewogene und gesunde Kost bezahlen. Herbrik hat auch einen Unterschied zwischen dem ersten Lockdown vor gut einem Jahr und den seit November geltenden Einschränkungen bemerkt. Im vergangenen Frühjahr sei es den Kunden in den drei Tafelläden und den Diakonieläden im Landkreis vermehrt um Nahrungsmittel gegangen. Durch Hamsterkäufe hätten viele nicht genügend Grundnahrungsmittel bekommen. Aktuell seien die Themen, mit denen der KDV sich beschäftigt, vor allem Angst und Einsamkeit. So seien auch die psychologischen Beratungsstellen im Landkreis in der zweiten Coronawelle vermehrt genutzt worden, berichtet KDV-Geschäftsführer Eberhard Haußmann. „Wir haben Glück, dass es im Landkreis ein gutes Netz gibt, das noch keine Kürzungen erfahren hat“, sagt er. Dieses Netz werde man brauchen, um den Menschen Mut zu machen und sie „aus der Coronablase herauszuführen“, sobald die Einschränkungen gelockert würden.

Corona schlägt auf die Psyche

Auch das Ehrenamt habe gelitten. Viele Freiwillige hätten sich abgemeldet, da sie sich selbst schützen wollten. „Wir müssen jetzt viel mit Hauptamtlichen auffangen“, so Haußmann. An der Spendenbereitschaft der Menschen habe zum Glück auch der jetzt schon lange andauernde Lockdown nicht viel geändert. Immer noch erreichten die Diakonie auch Lebensmittelspenden von Privatleuten.

Beratung zwischen Tür und Angel

Für Menschen mit Fluchterfahrung gebe es aktuell keine Deutschkurse, ebenso wenig wie Praktika in Branchen wie Gastronomie, Sicherheitsdienst, Reinigung oder Altenpflege. Dadurch komme die Integration durch Arbeit ins Stocken. Obdachlose hätten in der Coronakrise ebenfalls zu leiden. Zwar seien die meisten durch kommunale Angebote recht gut untergebracht, doch in Tagesstätten und Treffs werden die Bedürftigen derzeit nicht hineingelassen. „Es gibt wohl eine Essenausgabe to go, oder auch mal ein kurzes Beratungsgespräch zwischen Tür und Angel“, sagt Reinhard Eberst, Leiter der Diakonischen Bezirksstelle Kirchheim, aber den Menschen fehlten Tagesstrukturen oder Begegnungen, die sie zum Beispiel durch die Tagesstätten erhalten hätten. Da nun Schnelltests in Obdachlosenunterkünften erlaubt seien, könne sich die Situation eventuell verbessern, merkt Eberst an. Ein weiteres Problem seien allerdings alkoholkranke Menschen, die in Unterkünften lebten. Da der Alkoholkonsum an öffentlichen Orten derzeit stark eingeschränkt sei, tauchten viele ab. „Wir erreichen die Leute nicht mehr so gut“, bemerkt Eberst besorgt.

Auch in der Prostitutionsberatung sei zu bemerken, dass die Frauen sich vermehrt in die Illegalität begeben müssten, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. „Da gibt es einen enormen Preisverfall“, sagt Haußmann. Besorgniserregend sei darüber hinaus, dass es in den Tafelläden aktuell immer mehr Kunden gebe, die eigentlich einen anderen Lebensstil gewohnt seien, die aber durch Kurzarbeit oder den Wegfall von prekären Beschäftigungsverhältnissen in Not gekommen seien. „Bei vielen sind jetzt einfach die finanziellen Reserven aufgebraucht“, sagt Herbrik. So bildeten sich gerade vor den Tafelläden gerade immer längere Schlangen – das liege nicht nur daran, dass durch die Hygienebestimmungen weniger Kunden gleichzeitig in den Laden gehen könnten.

Immer mehr Arme

Lösungen, so Haußmann, lägen in der Anhebung des Hartz-IV-Regelsatzes auf 600 Euro. Zudem solle das Kindergeld nicht mehr als Einkommen angerechnet werden. Auch sei es wichtig, bezahlbaren und ansprechenden Wohnraum für den kleinen Geldbeutel anzubieten. „Wer gut wohnt, hat einen guten Start ins Leben.“ Corona habe gezeigt, wie wichtig es sei, dass sich zum Beispiel Kinder zum Lernen zurückziehen könnten. „In den kleinen Wohnungen staut sich aktuell viel Energie an, die nicht gut abfließen kann“, sagt er. Es seien langfristige und nachhaltige Hilfen gefragt. „Einerseits sind wir dankbar über das tragende Netz, das es im Landkreis gibt, aber durch die Pandemie wird deutlich, dass die, die es vorher schwer hatten, es jetzt noch schwerer haben“, so der KDV-Geschäftsführer.