Szene aus Christine Chus „Arirang“, das derzeit im Ost in Stuttgart zu sehen ist Foto: Produktionszentrum

Wie fühlt sich Heimat an, wenn sie verloren ging? Wie Fremde, wenn sie zur Heimat ward? In ihrer bisher am stärksten biografisch inspirierten Produktion findet Christine Chu Antwort auf diese Fragen. „Arirang“ ist im Ost in Stuttgart zu sehen.

Stuttgart - Wie fühlt sich Heimat an, wenn sie verloren ging? Wie Fremde, wenn sie zur Heimat ward? In ihrer bisher am stärksten biografisch inspirierten Produktion findet Christine Chu Antwort auf diese Fragen: Dem Vater ward Nordkorea, seine Heimat, fremd, die Tochter erlebt Fremdheit im Geburtsland Deutschland. Was die beiden verbindet, ist „Arirang“, die Schicksalsmelodie aller Menschen koreanischer Abstammung.

Halbierte Ballons zaubern Zwielicht. Die beiden Schleifenenden des Jeongon über dem Chosonot, traditionelles nordkoreanischen Festgewand, lose hängend, das Gesicht hinter einem Vorhang aus Haaren verborgen, bewegt sich Christine Chu barfuß im Fluss einer einstimmigen Melodie.

Se-Mi Hwang lockt die Töne aus dem Glockenspiel, eine raue Männerstimme von der Tonkonserve – es ist der 77-jährige Vater von Christine Chu – erzählt von Flucht, von wiederholtem Neubeginn, diesmal in Amerika.

Er bleibt, heiratet eine Deutsche, „es kamen Leute, um zu gucken . . .“

Einige Sequenzen später hat sich die Tänzerin des farbigen Gewandes entledigt, stülpt den Rockschoß ihres weißen Unterkleides über den Oberkörper, verbirgt sich, wird zum Kokon, springt mit tierähnlichen Bewegungen über die Bühne, nutzt Elemente aus dem Butho-Tanz. Der Vater erzählt von erneuter Ankunft auf seiner Schicksalsreise aus dem geteilten Korea, diesmal in Deutschland. Er bleibt, heiratet eine Deutsche, und „es kamen Leute, um zu gucken . . .“

In starken Bildern überträgt die Choreografin und Tänzerin Christine Chu die biografische Erzählung des 77-Jährigen auf ihren Körper, bezieht Klang- und Geräusch-Welten, erdacht und gespielt von der Südkoreanerin Se-Mi Hwang und dem Deutsch-Zyprioten Thomas Maos, ein.

Pure Poesie: bittere Fakten, durch ein Lachen aufgehellt

Lange hat der Vater von Christine Chu über sein früheres Leben geschwiegen. Umso bewegender sind die Aufzeichnungen, in denen er jetzt, oft bittere Fakten durch ein Lachen aufgehellt, erzählt. Und so wechseln raue, wortlastige Szenen, die die politische, bis in die Gegenwart fortwährende Geschichte des geteilten Korea illustrieren, mit purer Poesie.

Nach immer schnelleren Pirouetten, angeheizt durch Se-Mi Hwangs Schläge auf der koreanischen Trommel (Buk), tanzt Christine Chu im Finale im Chosonat, diesmal die losen Bandenden vor der Brust zur Schleife geschlossen. Korea, Nordkorea, das die in Deutschland Geborene früher wenig interessierte, ist ein Teil ihrer Identität geworden.

Noch an diesem Dienstag, Mittwoch und Donnerstag, jeweils 20 Uhr.