Unten gehen Passanten, oben am Rand der Bahnstrecke stehen KZ-Häftlinge. Foto: BR

Widerstand sei gar nicht möglich gewesen, behaupten viele Deutsche, man habe gegen das Morden der Nazis nichts unternehmen können. Die ARD-Dokumentation „Todeszug in die Freiheit“ erzählt aber, wie eine Vielzahl tschechischer Bürger im April 1945 den Häftlingen eines KZ-Transports half und viele von ihnen retten konnte.

Prag - Fotos belegen es: Menschenmengen stehen an den Gleisen und in den Bahnhöfen. Filmaufnahmen zeigen, wie Brote verteilt werden. Wie Häftlinge in offenen Waggons bei der Abfahrt ihren Wohltätern zuwinken. Es sind Dokumente eines einzigartigen humanitären Akts in den letzten Tagen des Zweiten Weltkriegs, als die Insassen der Konzentrationslager auf Todesmärsche getrieben oder mit Zügen an andere Orte verfrachtet wurden. Die Fronten rückten näher.

So sollen Ende April 1945 rund 4000 Menschen in einem Zug mit 77 Waggons von Leitmeritz aus, einem Außenlager des KZ Flossenbürg, quer durch das Protektorat Böhmen und Mähren nach Mauthausen in Österreich gebracht werden. Doch entlang der Strecke organisieren tschechische Bürgerinnen und Bürger, Bahnhofsvorsteher und Bahnarbeiter, Ärzte und Krankenschwestern Hilfe. Verteilen unter Lebensgefahr Lebensmittel und Wasser, verzögern die Weiterfahrt, holen Hunderte durch Täuschungsmanöver aus dem Zug, versorgen die Befreiten. Nahe Velesin werden die deutschen Wachen schließlich entwaffnet. Historiker schätzen die Zahl der Überlebenden auf 3000.

Überlebende kommen zu Wort

Die wenig bekannten Ereignisse dokumentieren Andrea Mocellin und Thomas Muggenthaler in dem Film „Todeszug in die Freiheit“. Mitarbeiter der Gedenkstätte Flossenbürg hatten die Fotos und auch die Filmaufnahmen eines Kolonialwarenhändlers aus Roztoky nahe Prag entdeckt. Die Filmautoren suchen die häufig kaum veränderten Orte in der Gegenwart wieder auf, spielen gelegentlich in der Bildgestaltung mit einer historischen Anmutung, verzichten aber auf nachgestellte Spielszenen oder allzu pathetische Kommentare. Überdies kommt ein knappes Dutzend Zeitzeugen zu Wort, darunter zwei Frauen, die den Transport überlebten.

Eine von ihnen ist Jekaterina Dawidenkowa, damals 19 Jahre alt. Sie wurde mit drei anderen jungen Frauen auf Bahren und unter Leichendecken aus dem Bahnhof Prag-Bubny in die Freiheit geschmuggelt. Allein dort kamen rund 1000 Menschen frei, die SS-Wachen hätten kaum noch eingegriffen, heißt es im Film. Immer wieder kommt es jedoch auch zu willkürlichen Erschießungen, an die sich die noch heute erschütterten Tschechinnen und Tschechen erinnern. Noch ganz am Ende, der Zug steht seit Tagen auf einem Abstellgleis, lässt ein in der Nähe stationierter SS-Offizier auf die Häftlinge schießen – mit Maschinengewehren, die vor den Waggons aufgebaut werden. Ein Augenzeuge bestätigt das im Film. Der Offizier selbst und seine Ehefrau machten nach den Recherchen der Autoren ebenfalls mit. Im Zuge eines Ermittlungsverfahrens in den 1970er Jahren in der Tschechoslowakei habe der SS-Mann jedoch bestritten, am Tatort gewesen zu sein, „und kommt damit durch“.

Beispiel für Handlungsspielraum

Was aus diesem Offizier nach dem Krieg geworden ist, wäre interessant gewesen. Auch gibt es keine Zeitzeugen aus den Reihen der deutschen Bewacher. Weil niemand mehr lebt? Oder nicht darüber reden möchte? Letztlich habe die sogenannte Wlassow-Armee die aus SS-Mitgliedern und Wehrmachtssoldaten bestehende Wachmannschaft überrumpelt und entwaffnet. „Wohl auch aus taktischen Gründen“, erklärt Jörg Skriebeleit, Leiter der KZ-Gedenkstätte Flossenbürg.

Denn die Russische Befreiungsarmee des ehemaligen Generalleutnants der Roten Armee, Andrei Wlassow, hatte lange Zeit als Verbündete der Wehrmacht gegen die Herrschaft Stalins kämpft. Die verbliebenen Einheiten wandten sich aber in den letzten Kriegstagen gegen die Deutschen.

Wie die Befreiung genau abgelaufen ist, erfährt man nicht. Der Film konzentriert sich verständlidherweise auf die „Aktion der Humanität, der puren Menschlichkeit“, wie Skriebeleit sagt. Im Deutschen Reich habe es Vergleichbares nicht gegeben, „auch nicht kurz vor Kriegsende“. Dabei habe es, wie das tschechische Beispiel zeigt, Handlungsspielräume gegeben.