Blick in die Ausstellung von Architekt Alfredo Thiermann in Stuttgart. Foto: BDA/Kim Fohmann

Mit Schallwellen Gebäude und ihre Bewohner erobern: Alfredo Thiermann, Architekt und Stipendiat der Villa Massimo, befasst sich in der Schau „Radio Activities“ im Stuttgarter BDA-Wechselraum mit dem spannenden Verhältnis von Medien und Architektur.

Wer den Raum besetzt, das Haus, die Zimmer, besitzt die Macht, versucht sie auszuspielen zumindest. Manchmal durch körperliche Präsenz, manchmal durch rein mediale – insofern ist eine Ausstellung über „Radio Aktivitäten“ in einem Raum für Architektur wie dem BDA Wechselraum des Bundes deutscher Architektinnen und Architekten nahe des Stuttgarter Hauptbahnhofes nicht so überraschend wie zunächst vermutet.

Heute wird durch das Internet politische Rede weltweit empfangen, eher durch Schrift und Bild via X, das jüngst noch Twitter hieß, via Facebook, Instagram und Tiktok. Der Kampf um politischen Einfluss durch Medien, die nicht auf Zeitungspapier angewiesen waren, begann weit früher. Mit dem gesprochenen, manchmal auch gesungenen Wort, wie Alfredo Thiermann, Architekt und Professor für Geschichte und Theorie der Architektur in Lausanne sowie Rompreisträger 2022/23 der Villa Massimo, erforscht hat.

Blick in die Ausstellung. Foto: BDA/Kim Fohmann

Das Radio ist seit seiner Erfindung ein Mittel der Mächtigen, um Einfluss auf die da draußen, auf die Menschen zu nehmen – und mit ihm sind es auch die Gebäude, in denen Sendungen produziert werden: die Rundfunkanstalten.

Die Ausstellung, in der die auf Ziegeln ausgestellten Radios interessantes Rauschen erzeugen, ist mit Bildern, Skizzen und Plänen zeitlich gegliedert. Ohne das ausliegende, auf Englisch verfasste Booklet erschließt sich vieles freilich eher schwer. Wer das Glück einer persönlichen Führung hat, erfährt, was Thiermann während seiner Recherchen in Archiven weltweit herausgefunden hat.

Zunächst, dass gleich zu Beginn der Radiogeschichte Deutschland selbst seine Kolonien in Afrika beschallt hat. In der Weimarer Republik wurde das Radio groß. Das Haus des Rundfunks diente als Vorbild für Rundfunksender wie die BBC in England. Fatal größer dann, als die NSDAP an die Macht kam und damit auch Macht übers Radio bekam. Rasch begann der Ausbau von Sendeanstalten in ganz Deutschland, um Hetze und Parolen möglichst gut hörbar in die Wohnzimmer der Deutschen hineinzubrüllen.

Wer erreicht die deutschen Wohnzimmer?

Als der Naziterror nach zwölf Jahren endete, begann sofort der Häuserkampf und der Frequenzenstreit, „Krieg im Äther sozusagen“, wie Alfredo Thiermann sagt. Das kommt einem heute maximal für eine History-Netflix-Serie tauglich vor, war aber kriegerische Realität: Die Sowjets besetzten für einige Zeit das Berliner Haus des Rundfunks, entworfen 1929 von Hans Poelzig für die Reichs-Rundfunk-Gesellschaft; die Amerikaner hielten dagegen, 1949 ging RIAS (Radio In The American Sector) an den Start, beliebtester Sender in West – und Ost. Doch der Kalte Krieg und die Frage, wer erreicht die deutschen Wohnzimmer und die dort lauschenden Menschen, ging erst richtig los.

Erziehung durch Klassik

Weil das Haus des Rundfunks im Westen lag, baute die DDR In Ostberlin als Gegenreaktion 1952 das größte Rundfunkgebäude der Welt, das Funkhaus Berlin Nalepastraße, entworfen von Franz Ehrlich. Am Bauhaus studiert, kam er 1933 bis 1945 in Haft, entwarf als Gefangener fürs NS-Regime unter anderem das Tor zum Konzentrationslager Buchenwald. Nach dem Krieg arbeitete er als Architekt in der DDR und bespitzelte Kollegen. Gleichzeitig habe er, so hat Thiermann recherchiert, den in USA lebenden ehemaligen Bauhaus-Direktor und Architekten Walter Gropius darum gebeten, ihn aus der DDR herauszuholen.

Als Gegenprogramm zu den unsichtbaren Wellen, mit denen der Klassenfeind die Bürger mit Pop und Jazz beschallte, sendete die DDR klassische Musik auf Höchstniveau, mit der die Genossinnen und Genossinnen daheim – und international in befreundeten und unterdrückten Bruderstaaten – musikalisch und moralisch ertüchtigt werden sollten.

Nach dem Fall der Mauer endeten bald auch die ideologischen Radiokämpfe. Das Funkhaus besitzt weiterhin (Aus)Strahlkraft, und statt Mikrofonen, die dort überall platziert waren, dürfen nun auch öfter einmal Menschen dort entstehende Musik live hören.

Info

Ausstellung
Radio Activities. Architecture and Broadcasting in Cold War Berlin von Alfredo Thiermann im BDA-Wechselraum in der Friedrichstraße 5 in Stuttgart ist noch bis zum 16. August zu besichtigen, Öffnungszeiten sind Di-Fr von 14 bis 18 Uhr und auf Anfrage. Die Ausstellung ist Teil des Festivals „Sommer der Künste – Villa Massimo zu Gast in Stuttgart“.

Buch
Ausführlicher als in der Ausstellung sind Thiermanns Recherchen in dem Buch „Radio-Activities. Architecture and Broadcasting in Cold War Berlin“ nachzulesen, das im August 2024 im Verlag MIT Press erscheint.