Die aktuellen Themen Flucht und Vertreibung haben 2016 die deutschen Kurotoren Peter Cachola-Schmal, Oliver Elser und Anna Scheuermann beschäftigt. Durch das ungeliebte Bauwerk weht ein frischer Wind.
Venedig - So respektlos ist noch kaum jemand mit dem Deutschen Pavillon auf dem Ausstellungsgelände der Biennale umgegangen. Abgearbeitet haben sich mehr oder weniger alle an dem ungeliebten Bauwerk, das seine heutige Gestalt einem Umbau 1938 unter nationalsozialistischer Regie verdankt – bis hin zu Forderungen nach Abbruch und Neubau in irgendwie „demokratischeren“ Formen. Der Künstler Hans Haacke hängte auf der Kunstbiennale 1993 ein Hitler-Foto auf und zertrümmerte die Bodenplatten, die Kuratoren der vorigen Architekturbiennale verschnitten die wuchtige NS-Architektur mit Elementen des Bonner Kanzlerbungalows von Sep Ruf.
Das Kuratorenteam vom Deutschen Architekturmuseum in Frankfurt hat nun einfach garagentorgroße Löcher in die Fassade des Padiglione Germania gebrochen – und sich selber gewundert, dass der italienische Denkmalschutz diesen brachialen Eingriff zuließ. 48 Tonnen Ziegelsteine, die aus dem Mauerwerk herausgehauen wurden, warten drinnen, sauber aufgeschichtet zu Sitzbänken und einem Info-Tresen, auf ihren hoch und heilig versprochenen Wiedereinbau nach Ablauf der Biennale.
Vom Einwanderungsland Deutschland
Mal frische Luft reinzulassen, das ist hier ein hochsymbolischer Akt. Nicht nur, dass man auf einmal aus diesem Haus, das seinen Ort stets ignoriert hat, auf das glitzernde Wasser der Lagune und den Park hinausblicken kann – im Kontext des deutschen Biennale-Themas „Making Heimat – Germany, Arrival Country“ gewinnt dieser Akt der Öffnung eminent politische Bedeutung: Deutschland, ein Einwanderungsland. Angelehnt an das Buch „Arrival City – Die neue Völkerwanderung“ des kanadischen Autors Doug Saunders, der den Kuratoren auch beratend zur Seite stand, haben Peter Cachola-Schmal, Oliver Elser und Anna Scheuermann das seit 2015 meistdiskutierte und -umstrittene Thema aufgegriffen: Flüchtlinge und Zuwanderer.
Im einen – architektonischen – Teil widmet sich die Ausstellung den Flüchtlingsunterkünften und Erstaufnahmeeinrichtungen, wie sie derzeit überall in Deutschland aus dem Boden schießen. Das Deutsche Architekturmuseum sammelt sie ohne Rücksicht auf Qualitätskriterien in einer Datenbank und zeigt eine Auswahl von rund fünfzig Bauten, darunter auch Beispiele aus Ostfildern, Reutlingen und Tübingen. Dass unter allen Beispielen sich aber kaum eines findet, das für eine weitere Verwendung und auf Dauer gebaut ist, verwundert weiter nicht. Zu komfortabel will man es den Neuankömmlingen nicht machen, das ist die unausgesprochene, aber unmissverständliche Botschaft dieser Behelfsbauten. 2017 sollen sie in einer aktualisierten Fassung von „Making Heimat“ im Deutschen Architekturmuseum zu sehen sein.
Statt Plänen und Modellen gibt es billige weiße Plastikstühle
Ansonsten verzichtet die Präsentation auf alles, was im Normalfall unverzichtbarer Bestandteil von Architekturausstellungen ist, es gibt keine Pläne, keine Modelle, keine Entwurfsskizzen. Stattdessen billige, weiße Plastikstühle, einen Ayranausschank zur Eröffnung und dazu Wirklichkeitsreports aus deutschen Städten: bewusst kunstlos an die Wände geklebte Fotos und bunte Schriftzüge mit Kernsätzen zum Gelingen von Einwanderung. Stuttgart steht dabei exemplarisch für einen wirtschaftsstarken Ballungsraum, in dem Arbeit als Integrationsmotor funktioniert. Zum Ankommen in der neuen Gesellschaft braucht es neben Jobs bezahlbare Wohnungen, Gewerbeflächen, Schulen, gute Verkehrsanbindungen, Netzwerke von Einwanderern – und eine Kultur der Toleranz.
Dass genau diese unter dem Flüchtlingsansturm seit dem vergangenen Sommer abhanden zu kommen droht, dass der Aufstieg der neuen Rechten mit der massenhaften Migration und Angst vor Überfremdung zusammenhängt, dass das Land politisch zerrissen ist wie selten zuvor, blenden die Ausstellungsmacher nach dem Goodwill-Motto „Jetzt erst recht!“ weitgehend aus. Andererseits sind da die Löcher. Unbeschädigt wird das Haus Deutschland aus dieser Zuwanderungswelle nicht hervorgehen, sagen sie. Es wird vielleicht einiges kaputtgehen. Aber: Es eröffnen sich zugleich neue, attraktive Perspektiven und es weht ein frischer Wind, der manchmal einen Hauch von Blütenduft hereinträgt. Also, entspannt euch, Leute!